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Das ewige Hirn

Die biologische Uhr tickt – ohne Zweifel. Mit dem Klischee aber, Altern sei gleichbedeutend mit Abbau, Vergessen und Depression, räumt Martin Korte, Professor für Neurobiologie an der TU Braunschweig, mit seinem Buch "Jung im Kopf" gründlich auf.

Hartnäckig hält sich beispielsweise der Mythos der Midlife-Crisis: Bei einer kleinen Gruppe von Malern wurde beobachtet, dass sie um das 50. Lebensjahr herum ihren Malstil änderten und fortan dunklere Farben nutzten. Kurzerhand deklarierte man dies als typisch für Menschen im vierten und fünften Lebensjahrzehnt – obwohl wissenschaftliche Studien nur für etwa fünf Prozent der Menschen eine entsprechende Lebenskrise in diesen Jahren belegen können.

Manches von dem, was Korte an Erkenntnissen der Hirnforschung zusammenträgt, entpuppt sich als altbekannte Redensart. Über die Weisheit, die mit den Lebensjahren wachsen soll, beispielsweise wissen wir nach der Lektüre so viel wie vorher, nun aber mit akademischen Garantievermerk: Sie wird mit dem Alter tatsächlich größer, ohne dass dies aber ein Automatismus wäre.

Überraschend ist dagegen, was der Autor über die Nonne Schwester Bernadette berichtet, die mit 85 Jahren verstarb und in kognitiven Tests bis zuletzt sehr gut abschnitt. Ihr posthum der Wissenschaft vermachtes Gehirn wies allerdings deutliche Anzeichen demenztypischer Abbauprozesse auf, doch weil sie ihr Gehirn stets geistig forderte – unterstützt von einer klugen Lebensführung – profitierte sie von der so genannten kognitiven Reserve. Sie entsteht, weil ein geübtes Gehirn sparsam arbeitet und nie alle verfügbaren Kapazitäten nutzen muss. Besitzt ein Gehirnbezirk altersbedingt nicht mehr genug Rechenkapazität, um seine Aufgaben zu erfüllen, schaltet es vom Altersprozess unbeeinträchtigte Gehirnareale hinzu.

Gerade diese uneinheitliche Gehirnalterung sieht Korte als Ursache dafür, dass einige Eigenschaften sich überhaupt erst im Alter vollständig entfalten, etwa die emotionale Intelligenz und Gelassenheit. Dennoch vermeiden sie es, das Alter schönzureden. Weil das Arbeitsgedächtnis nachlasse, seien alte Menschen leichter ablenkbar und das Multitasking falle ihnen schwerer. Ein ganzes Kapitel ist den Erkrankungen des alternden Gehirns gewidmet: Neben der Demenz sind dies beispielsweise die Parkinson-Erkrankung und Schlaganfälle.

Das biologische Grundlagenwissen und die gesammelten Erkenntnisse der Altersforschung vermitteln Martin Korte – mit Mitautorin Gaby Miketta – auf unterhaltsame Art und Weise, die auch dem Leser ohne Vorwissen gut zugänglich ist. Von der eigentlichen Hirnforschung spannen sie schließlich den Bogen bis zu den sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen, die beeinflussen, wie Menschen älter werden und wie sich ihr Leben im Alter gestaltet. Überhaupt liest sich das Buch als Plädoyer dafür, Altern als "veränderte Lebenssituation" und nicht lediglich als Endpunkt einer Entwicklung zu begreifen.

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