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Vater-Tochter-Gespräche

Als Mutter kenne ich das Gefühl aller Welt die Gespräche zwischen meinen Kindern und mir mitteilen zu wollen. Mein Freundeskreis wird diese Neigung sicher bestätigen. Mir ist auch schon aufgefallen, dass sie viele andere Mütter und Väter mit mir teilen. Wir sind über Kinderfragen begeistert, weil sie oft klüger sind als manche Antworten von Erwachsenen. Seit meine Kinder ihren Blick auf die Welt mit mir teilen, interessiere ich mich wieder für die fast vergessenen Dichter und Philosophen aus meiner Jugend.

Wolfram Eilenberger versucht die Weisheit, die sich in Kinderworten versteckt, einzufangen und gießt die Dialoge zwischen Tochter und Vater in sein viertes Buch "Kleine Menschen, große Fragen". Der Text auf der Rückseite preist den Inhalt als "anregend und kurzweilig", als "eine wunderbar spielerische und zugleich ernsthafte Einführung in das Philosophieren", und weckt mit diesen Worten Hoffnungen auf einen zweiten Jostein Gaarder.

Das fünfjährige Mädchen möchte wissen, wer der Autor der Geschichte "Ach, wie schön ist Panama?" ist, die sie sich mit ihrem Vater gemeinsam ansieht.
Vater: "Warum interessiert dich das denn, mit dem Autor?"
Tochter: "Einfach so, damit ich weiß, wer es ist."

Dieser Wortwechsel löst eine Reflektion des Vaters über die heutige Vermarktung des Autors als solchen aus: "Bereits wer die Frage nach dem Autor stellt, entlarvt sich damit als hörig gewordener Diener (...) Kannst du später alles einmal selbst nachlesen, wenn du erwachsen bist. Bei Autoren wie Michel Foucault oder Jacques Derrida. Echte Theoriefüchse sind das. Aus Frankreich. Gleich bei uns um die Ecke."

Diese Zitate sollen einerseits die Alltäglichkeit der Dialoge verdeutlichen und andererseits die Sprache, in der das Buch verfasst wurde. Und die ist Geschmackssache. Dabei lese ich Eilenbergers Artikel im "Cicero" sehr gerne. Das Stilmittel der durchgehend direkten Ansprache des Vaters an seine Tochter schafft eine erste Distanz zum Leser. Der Vater hört seinem Kind genau zu, setzt sich mit seinen Fragen auseinander und versucht sich den Antworten durch eine philosophische Betrachtungsweise zu nähern.

Eilenbergers Buch wirkt sehr persönlich und besteht aus selbstreflektorischen Passagen des Vaters an seine Tochter. Aufzeichnungen der Vater-Tochter-Gespräche inspirieren zu philosophisch angehauchten Assoziationsketten: "Ob das du bist, auf dem Ultraschallbild? Dieselbe, die du heute bist? Und wenn ja, dieselbe was? Dieselbe Person? Dasselbe ich? Derselbe Mensch? Dasselbe Individuum?" Die Antwort ist in bestem Falle überraschend: "Klar warst das schon du."

Die anschließenden Überlegungen Eilenbergers reißen die ethische Debatte über Embryoselektion und das große Thema der Identität an und sind im Großen und Ganzen für mich unbefriedigend. Die Ausflüge in die Philosophie sind mir zu kurz und zu knapp. Die Erzählungen, "wie das Leben selbst", zu nah an der alltäglichen Bedeutungslosigkeit.

"Warst Du damals schon eine Person? Ja oder nein? Hopp oder topp? Oder sollen wir es, anstatt feste Grenzen zu imaginieren, wie bei deinem schon damals geliebten Topfschlagen halten: wärmer, noch wärmer, heiß ... Dann warst du zu der Zeit bereits ein verdammt heißer Kandidat aufs Personsein."

Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Ausführungen weniger durch Fragen, sondern stärker durch philosophisches Wissen oder wenigstens Geschichten auszeichnen würden. Sie bedienen sich zwar häufig der grundlegenden Gedanken großer Philosophen, sind aber auch geprägt von einer Subjektivität, die ich als störend empfinde. Beobachten beide gemeinsam Hunde erfährt der Leser, dass Hunde entmündigte, kriecherische Viecher seien und dem Vater nicht ins Haus kommen: "Das kann ich meinem Kind einfach nicht antun."

Im zweiten Drittel des Buches verdichten sich die Parallelen zwischen philosophischen Fragestellungen und Fragen, die Kinder im Vorschulalter beschäftigen. Viele Eltern kennen das Ringen um die richtigen Antworten, wenn ihre Kinder ihnen die großen Fragen des Lebens stellen, zum Beispiel: "Wo ist Opa jetzt?"

Eilenberger beleuchtet nicht die philosophische Suche nach Antworten, sondern seine eigene. Der Leser bekommt einen Einblick in die Gedankenwelt eines Vaters, der sich mit den Fragen seines Kindes beschäftigt. Trotz der Sorgfalt, mit der Eilenberger die Gespräche mit seiner Tochter protokolliert, schafft das Buch es leider nicht, den Zauber im Gespräch mit Kindern einzufangen.

Leseempfehlung: *

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