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Die vergessene Schlacht

Das Jahr 235 erwies sich für die Geschichte Roms als einschneidend. Im Frühjahr wurde Kaiser Severus Alexander (geb. 208) in der Nähe von Mainz ermordet. Soldaten erhoben daraufhin Maximinus Thrax (172-238) zum neuen Herrscher über das antike Imperium. Damit endete die Zeit des so genannten Prinzipats – jener Herrschaftsstruktur, die kaiserliche Macht mit republikanischen Traditionen zusammenführen sollte. Es begann die Zeit der Soldatenkaiser. Das Schicksalsjahr 235 steht nun im Fokus einer großen Ausstellung im Landesmuseum Braunschweig mit dem vorliegenden Buch als Begleitband.

Anlass der Ausstellung und des Buchs war ein Fund, den Laienforscher vor einiger Zeit auf dem Harzhorn gemacht hatten, einem Gebirgszug am westlichen Rand des Harzes. 2002 hatten sie dort ein Relikt entdeckt, das sie ursprünglich für einen mittelalterlichen Leuchter hielten. Das Stück stellte sich später jedoch als römischer Pferdeschuh aus dem 3. Jahrhundert heraus. Inzwischen sind am Harzhorn mehr als 2700 weitere Artefakte gleichen Alters aufgetaucht. Aus ihnen – allen voran aus Münzen und einer Legionsbezeichnung auf einer römischen Pionieraxt – geht so gut wie sicher hervor, dass römische Truppen hier im Jahr 235 in schwere Gefechte gerieten.

Die Legionäre und ihre Hilfstruppen waren offenkundig auf dem Rückweg von der "Schlacht im Moor" gewesen, die in Schriftquellen wie der "Historia Augusta" erwähnt wird. Bis ins Jahr 2008 schenkte man diesem Ereignis kaum Beachtung; die Forscher glaubten, es sei ein unbedeutendes Scharmützel zwischen Truppen des Thrax und Germanen gewesen. Zwar schrieben die antiken Historiker, Thrax sei bei diesem Unternehmen 300 bis 400 römische Meilen weit in germanisches Gebiet vorgedrungen, allerdings hielt man das für übertrieben. Deshalb verkürzte der französische Philologe Claude de Saumaise (1588-1653), der 1620 die "Historia Augusta" erstmals drucken ließ, die ursprüngliche Entfernungsangabe auf 30 bis 40 Meilen.

Das hatte zur Folge, dass man den Ort der Schlacht nahe Mainz vermutete. Befördert wurde diese Annahme von der im 19. Jahrhundert aufkeimenden Vorstellung, die Germanen hätten die Römer in der Varusschlacht (9 n. Chr.) aus den "deutschen Landen" vertrieben – wonach ein späteres raumgreifendes Vordringen der Römer auf germanisches Gebiet unplausibel erschien. Inzwischen aber beweisen die Funde vom Harzhorn, dass die "Schlacht im Moor" nicht bei Mainz stattfand, sondern viel weiter im Norden: wenigstens 250 Kilometer von der Grenze des römischen Reichs entfernt. Auf dem Rückmarsch von dort wurden die Römer offensichtlich am Harzhorn in weitere Kämpfe mit den Germanen verwickelt.

Der reich bebilderte Band präsentiert zahlreiche Funde von dem Gebirgszug. Renommierte Fachwissenschaftler beschreiben darin detailliert und gut verständlich die schriftlichen und archäologischen Quellen. Der Leser erfährt, wie römische Soldaten des 3. Jahrhunderts marschierten und kämpften, welche Gebiete sie auf dem Weg zur Schlacht hin und von dort wieder zurück durchzogen und was vermutlich am Harzhorn geschah. Jedes einzelne Kapitel ist hochspannend.

Neben dem Wissen um das eigentliche Geschehen auf dem Gebirgszug vermittelt das Buch einen Überblick über ein Stück römisch-germanische Geschichte und darüber, was die Methoden der Archäologie zu leisten vermögen. Deutlich wird dabei unter anderem, dass Geschichtsschreibung nicht objektiv ist, aber manchmal von archäologischen Befunden korrigiert werden kann. So hatte der Philologe Claude de Saumaise die Entfernung zur Schlacht im Moor nicht grundlos verkürzt, wie etwa der Alt-Philologe Martin Hose darlegt. Wahrscheinlich handelte es sich bei den ursprünglich angegebenen 300 bis 400 Meilen tatsächlich um eine Übertreibung römischer Chronisten. Denn Kaiser Maximinus Thrax wurde am Ende seiner dreijährigen Regierungszeit verdammt. Man zerstörte seine Statuen, Bilder, Porträts und Ehrenzeichen, und die antiken Geschichtsschreiber stellten ihn als 2,50 Meter großen "Halbbarbaren" dar, der jeden Tag angeblich 26 Liter Wein trank und 20 Kilogramm Fleisch verzehrte. Vermutlich ist in diesem Zusammenhang auch die Reichweite seines Feldzugs verzerrt beschrieben worden. Doch selbst wenn es keine 300 Meilen waren – mit stolzen 250 Kilometern drang Thrax im Jahre 235 immer noch erstaunlich weit nach Germanien ein. Und so dokumentiert der Band das Ende jenes Mythos, laut dem die Römer nach der Varusschlacht nicht mehr zu raumgreifenden militärischen Operationen nördlich ihres Imperiums in der Lage gewesen seien.

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