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Aminosäuren aus dem All

Im Jahr 1953 kochten Stanley Miller und Harold Urey die Ursuppe: Mit einem Gasgemisch aus Methan, Ammoniak, Kohlenmonoxid, Wasserstoff und Wasserdampf simulierten sie die Atmosphäre einer sauerstoffarmen Urerde.

Anschließend lösten sie darin durch elektrische Entladungen chemische Reaktionen aus. Ihre Ergebnisse zeigten, dass sich die Erde vor rund vier Milliarden Jahren ihre Bewohner möglicherweise selbst zusammengekocht hat. Miller und Urey entdeckten nämlich Aminosäuren, die Bausteine der Proteine. Dies war der Nachweis dafür, dass organische Moleküle aus anorganischem Material entstehen können. Aminosäuren sind chiral. Von jeder Aminosäure gibt es also zwei spiegelbildliche Varianten, vergleichbar mit einer linken und einer rechten Hand.

Im Miller-Urey-Experiment wurden auch beide Sorten nachgewiesen. Der Haken ist dabei, dass auf der Erde ausschließlich Organismen mit Aminosäuren linker Händigkeit existieren. Über den Ursprung dieser Asymmetrie der Natur wird seitdem genauso gerätselt wie über eine weitere Frage: Was, wenn unsere Aminosäuren überhaupt nicht irdischen Ursprungs wären?

Der Murchison-Meteorit ist im Jahr 1969 in Australien gefallen. In ihm konnten eindeutig mehrere Arten von Aminosäuren kosmischen Ursprungs nachgewiesen werden. Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Aminosäuren teilweise razemisch waren, das heißt beide Chiralitäten kamen gleich häufig vor, während bei anderen ein enantiomerischer Überschuss vorlag, somit traten linkshändige Aminosäuren häufiger auf als rechtshändige. Im All muss es also einen Mechanismus geben, der die Chiralität der Aminosäuren beeinflusst – und dieser Einfluss hat sich auf der Erde bis in jedes einzelne Protein fortgesetzt.

Dieser Mechanismus bildet den Drehund Angelpunkt des vorliegenden Titels. Ob die Aminosäuren auf der Erde oder im Weltall entstanden sind, wie die chirale Symmetrie gestört wurde, was diese Tendenz zur Homochiralität verstärkt haben könnte, erörtert Richard N. Boyd chronologisch: Die erste Hälfte des Buchs ist der Entstehung der Elemente gewidmet, von der primordialen über die stellare Nukleosynthese, bis zur Entstehung von Molekülen im interstellaren Medium. In der zweiten Hälfte geht der Autor nach einer kurzen Erläuterung zu Aminosäuren direkt auf die verschiedenen Theorien zur beobachten Homochiralität der irdischen Aminosäuren ein.

So besagt eine Hypothese, dass Aminosäuren in Gas- und Staubwolken um einen jungen Stern durch dessen teilweise zirkular polarisiertes Licht in ein anfänglich winziges chirales Ungleichgewicht gebracht wurden. Anschließend wird der Überschuss an Linkshändigkeit durch Autokatalyse verstärkt. Mehr als ein ganzes Kapitel aber widmet der Autor seinem eigenen Modell. Er schlägt vor, dass die durch eine Supernova-Explosion freigesetzten Neutrinos zahlreich genug seien, um bestimmte Kernreaktionen anzustoßen, die letztlich in linkshändigen Aminosäuren resultieren.

Der Untertitel "Might We All Be Aliens?" lässt einen weit reißerischeren Inhalt vermuten als das, was geboten wird. Dass der Autor Richard N. Boyd einen Einbeführungstext zur nuklearen Astrophysik verfasst hat, merkt man dem klaren und verständlichen Text an. Auch wer sich überhaupt nicht mit organischer Chemie auskennt, wird keinerlei Schwierigkeiten haben, den Ausführungen zu folgen.

Ein wenig schade finde ich, dass Boyd seinem eigenen Modell sehr viel Platz einräumt – obwohl es als Einziges der vorgestellten Modelle noch überhaupt nicht empirisch überprüft wurde. Als Laie hat man kaum die Möglichkeit, die Qualität dieses oder der anderen vorgestellten Modelle einzuschätzen – bei diesen weist Boyd nämlich auf die Unstimmigkeiten hin, bei seinem eigenen hingegen nicht.

Ein Manko ist die wenig liebevolle Redaktion – so sind die Bilder zwar farbig, zum Teil aber schlecht aufgelöst. Außerdem verweist Boyd des Öfteren als Referenz auf Wikipedia-Artikel – das weckt Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Texts und an der Sorgfalt, die er beim Schreiben desselben aufgewendet hat. Allerdings verschafft das Buch dem an Astrobiologie interessierten Leser auf klare und unaufgeregte Weise eine sehr gute erste Einführung in die Materie und ist daher zu empfehlen.

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  • Quellen
Sterne und Weltraum 10/2012

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