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Buchkritik zu »Theben - heilige Stadt der Pharaonen«

Rund 200 Kilometer unterhalb des ersten Nil-Katarakts bei Aswan (Assuan) und 675 Kilometer südlich von Kairo liegt zu beiden Seiten des Nils "die größte Ruinenstätte der Welt", wie Eduard Meyer (1855–1930), Autor der ersten umfassenden Geschichte des Alten Ägypten, es 1887 formulierte.Als etwa um 730 v. Chr. die homerische Ilias niedergeschrieben wurde, hatte die Stadt bereits eine über 1300 Jahre lange Tradition als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum – und einen sagenhaften Ruf: In der Vorstellung des Helden Achilleus überstiegen nur der Sand am Meer und der Staub auf den Straßen den Reichtum, den die Stadt aufbieten konnte. Sie beherrschte Oberägypten, zeitweise sogar ganz Ägypten unter Einschluss von Syrien und dem Nordwesten Mesopotamiens. Ihre unscheinbaren Anfänge liegen im Alten Reich (2715–2192 v. Chr.).Die Griechen nannten sie Thebai, in Anlehnung an die mächtige mykenische Metropole in Mittelgriechenland. So klang ihnen wohl der Name eines Quartiers der ägyptischen Stadt auf dem Westufer des Nils: Djemet, womit das Symbol des Urhügels gemeint war, der aus dem Nilwasser aufsteigt. Die Ägypter selbst nannten die Stadt Waset nach einem als Szepter geformten Fetischsymbol, dem Wahrzeichen der Stadt und ihrer Umgebung. In der Sprache des Alltags hieß sie schlicht No ("Stadt"), und so erscheint Theben auch in den Schriften des Alten Testaments. In hellenistischer und römischer Zeit nannte man Theben, indem man den hier heimischen Gott Amun mit Zeus bzw. Iupiter gleichsetzte, Diospolis Megale bzw. Magna.Besonders dicht besiedelt waren die Stadtteile im fruchtbaren Schwemmlandstreifen am Ostufer des Nils. Der Stadtkern entwickelte sich im Bereich um das Heiligtum der Göttin Mut von Ascheru bei Al-Karnak. Etwa drei Kilometer südlich lag der Amun-Tempel; dort entstand auf dem Boden zweier römischer Lager später die Stadt Al-Uqsur (Luxor). Am Westufer entwickelte sich dagegen auf sandigem und felsigem Boden eine regelrechte "Totenstadt" mit all dem lebenden Personal, das für die Pflege der Gebäude und der Totenkulte notwendig war.Die moderne Überbauung am Ostufer – außer Al-Uqsur unter anderem die Dörfer Al-Karnak und Medinet Habu – hat bisher den Tatendrang der Archäologen gebremst. Am Westufer war das Gelände für die moderne Siedlungsentwicklung erheblich ungünstiger. Die Ruinen des alten Theben sind hier durchwegs noch unüberbaut, und so wissen wir über die antike Weststadt erheblich besser Bescheid.Ausgehend von Napoleons Ägyptenfeldzug (1798–1801), der 1822 folgenden Entzifferung der Hieroglyphen auf dem Stein von Rosette durch Jean-François Champollion (1790–1832) und der westwärts gewandten Öffnung Ägyptens unter dem Wali Muhammad Ali (1769–1849) präsentiert sich die internationale Ägyptologie heutzutage auf Grund zahlreicher wissenschaftlicher Grabungen, zusätzlich stimuliert durch den Bau der Aswan-Dämme (1902 und 1970), mit immer neuen Funden und Erkenntnissen im Rampenlicht des öffentlichen Interesses.Die ersten wissenschaftlichen Grabungen in Theben leitete 1895 bis 1917 Georges Legrain (1845–1917); er hat auf dem Terrain von Theben bis heute verschiedene französische, italienische (in Deir el-Medine), amerikanische und polnische (in Deir el-Bahri) Nachfolger gefunden. Einer der führenden italienischen Ägyptologen, Sergio Donadoni, der schon mit verschiedenen Werken zu Themen der altägyptischen Gesellschaft, Religion und Kunst hervorgetreten ist, stellt nun in einem umfangreichen Buch die Monumente von Theben mitsamt den notwendigen Fotografien und Zeichnungen vor. Der sorgsam gestaltete, anregend geschriebene Kommentar wirft – wie der Autor mit Nachdruck betont – mehr Fragen auf, als er Antworten zu geben vermag. Das Bildmaterial ist ganz vorzüglich, die deutsche Übersetzung durch Eva Ambros angemessen, der technische Apparat – ein zurückhaltendes Glossar, eine chronologische Übersicht über die altägyptische Geschichte und eine disziplinierte Bibliografie – ist gut zu nutzen.Eine Landkarte von Ägypten, die dem übrigen Niveau der Publikation entspricht, und ein Sachregister wären hilfreich gewesen. Doch vermag diese Kritik den positiven Gesamteindruck nicht ernstlich zu trüben.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 11/00

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