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Krampfhaft jung bleiben

Wer will heute noch erwachsen werden? Die US-Philosophin Susan Neiman postuliert eine weitverbreitete Abneigung dagegen. Bei vielen Jüngeren herrsche die Auffassung vor, dass es ab 30 eigentlich nur noch bergab gehe. Für sie gelte es deshalb vor allem, die Jahre bis dahin zu genießen.

Neiman, die in Yale und Tel Aviv wirkte und heute in Potsdam lehrt, stützt sich sowohl auf empirische Studien als auch auf philosophische Werke, allen voran Kants "Kritik der reinen Vernunft". Dennoch darf man ihre These bezweifeln. Gerade die "ökologisierten" Post-68er, bei denen man Vorbehalte gegenüber dem "Establishment" noch am ehesten vermutet, fügen sich tatkräftig in den Kreis der Erwachsenen ein: Viele von ihnen gehören zum besserverdienenden Bürgertum.

Natürlich haben markenfixierte Zeitgenossen, die stundenlang nach dem neuesten Smartphone anstehen, etwas Kindisches an sich. Deshalb scheinen Unternehmer und auch Politiker derlei Hedonismus durchaus zu unterstützen: Infantile Konsumenten lassen sich nun einmal leichter beeinflussen als mündige Bürger. Doch wenn Neiman gegen solche Verbraucher zu Felde zieht, greift sie eher den entfesselten Neoliberalismus an als die Weigerung, erwachsen zu sein.

Alt und zornig ist traurig

Laut der Autorin ist die Kindheit gekennzeichnet durch eine naive Bejahung der Welt und die Fähigkeit zum Staunen. Den Erwachsenen seien diese Eigenschaften abhanden gekommen. Dazwischen liege die Skepsis der Jugend. Sie ist Neiman zufolge nötig, um die infantile Gutgläubigkeit zu überwinden. Gelänge es aber nicht, sie zu abzustreifen, verharre man in einer Ablehnungshaltung, die zu Verschwörungstheorien neige. Dann verbittere man zunehmend und bemühe sich nicht um Verbesserung.

Von Kant dagegen könne man lernen, dass Vernunft und Erfahrung dabei helfen, sowohl die Kindheit als auch die Jugend hinter sich zu lassen. Die Philosophie erweise sich somit als Anleitung zum Erwachsenwerden. Bildung, Arbeit und das Herumkommen in der Welt seien dabei sehr wichtig. All diese Gedanken klingen nicht besonders aufregend, und sind es auch nicht.

Die Autorin möchte gegen das Vorurteil ankämpfen, das Alter bringe in erster Linie Leiden und Borniertheit mit sich. Empirische Studien hätten ergeben, dass die Menschen im Alter zufriedener werden, während das gelobte Jahrzehnt zwischen 20 und 30 für viele eine schwierige Lebensphase bedeute. Vor allem aber hätten alte Menschen den Vorteil einer großen Lebenserfahrung sowie eines geschärften Urteilsvermögens. All das lasse sich nicht lehren, man müsse es üben. Und je länger man das mache, umso besser werde man darin. Neiman beschreibt die späteren Lebensabschnitte mit den Worten: "Älter werden heißt erkennen, dass keine Zeit unseres Lebens die beste ist, und den Entschluss fassen, jeden Moment erreichbarer Freude zu genießen. Sie wissen, dass sie alle vergehen werden, und Sie empfinden das nicht länger als Betrug."

Trotz manchem interessanten Gedanken bringt das Buch unterm Strich nicht viel Neues und wirkt zudem oft belehrend. Wenn Neiman Kritik äußert, dann überwiegend harmlos. Daher bleibt der Ertrag der Lektüre recht begrenzt.

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