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Den kleinen grauen Zellen lauschen

Das menschliche Gehirn ist ein merkwürdiges Ding. Es ist ausgesprochen groß und komplex aufgebaut, ziemlich störungsanfällig, frisst jede Menge Energie und hat nahezu unbegrenzte Einsatzmöglichkeiten. Warum das so ist, erklären namhafte Wissenschaftler in einer mehrteiligen Hörserie des Südwestrundfunks.

Zum Beispiel damit, dass die frühen Hominiden in einer Umwelt lebten, die an ihr Denkvermögen erhöhte Anforderungen stellte. Weil unsere Vorfahren sich darauf verlegt hatten, Werkzeuge und Waffen herzustellen, und darauf angewiesen waren, ihr Handeln zu planen und abzustimmen, benötigten sie technische und soziale Intelligenz. Nach einer anderen Theorie waren es vor allem die für das komplexe gesellschaftliche Miteinander erforderlichen Fähigkeiten wie Kommunikation und Perspektivenwechsel, welche die geistige Weiterentwicklung vorangetrieben haben. Wieder andere Forscher vermuten, dass ein großes Gehirn vor allem wichtig war, um Bären, Löwen oder Säbelzahntiger zu überlisten.

Für diese Hypothese spricht das Ergebnis eines der Experimente, von denen die Hörserie berichtet. Schon dreijährige Kinder können demnach einschätzen, was Tiere wissen. Ihnen wurde eine Puppe vorgeführt, die Süßigkeiten aus einer Schachtel nahm und an einer anderen Stelle versteckte. Danach wurden sie gefragt, wo eine andere Puppe, die den Vorgang nicht beobachten konnte, nach den Süßigkeiten suchen würde. Sie deuteten ohne zu zögern auf das Versteck. Doch als man die Puppen unter anderem durch einen Löwen ersetzte, fiel bei den meisten Kindern der Groschen: Die Tiere konnten natürlich nicht wissen, wo sie suchen sollten.

Solche Theorien zur Entwicklung des Gehirns verkennen in den Augen des Bremer Hirnforschers Gerhard Roth jedoch das Wesentliche: "Die großen Schübe in der Menschheitsentwicklung wurden ohne großes Gehirn gemacht, und der eigentliche große Sprung zum modernen Menschen ist ohne Gehirnvergrößerung geschaffen worden."

Das Ich-Bewusstsein, die Einheit von Körper und Geist, ist Roth zufolge nicht selbstverständlich: Viele Schizophrene etwa haben in akuten psychotischen Phasen den Eindruck, dass ihnen ihre Gedanken von außen eingegeben werden. Das Gefühl von Einheit entstehe, wenn das Gehirn eine Handlung plant und feststellt, dass sie tatsächlich ausgeführt wurde.

Unser Denkorgan ist eben, wie der Titel dieser Radioproduktion schon sagt, ein Wunderwerk. Und diese sechs CDs sind eine Wundertüte mit Ergebnissen aus allen Ecken und Winkeln der Wissenschaft. Wie hat sich das menschliche Gehirn entwickelt? Wie kommunizieren Neurone miteinander? In welchem Verhältnis stehen Gefühl und Vernunft zueinander? Gibt es einen freien Willen? Was passiert, wenn wir uns verlieben?

Diese Fragen und noch viele mehr behandeln unterhaltsam ein Dutzend Radio- Features. Rede und Antwort stehen dazu in zahlreichen Interviews bekannte Forscher aus den Gebieten Gehirn und Geist, vom Philosophen Thomas Metzinger über den Emotionsforscher Antonio Damasio und den Biologen Rupert Sheldrake bis hin zu einem Zen-Lehrer. Das Ergebnis ist eine exzellente Einführung in den aktuellen Stand der Hirnforschung, die keinerlei Vorkenntnisse voraussetzt.

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  • Quellen
Gehirn&Geist 7–8/2007

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