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Gravitation: Ein Fallversuch der Superlative – und sein Problem

In der weltgrößten Vakuumkammer lässt Brian Cox Feder und Bowlingkugel fallen – und sorgt für Missverständnisse.
Brian Cox visits the world's biggest vacuum chamber - Human Universe: Episode 4 Preview - BBC Two

Veröffentlicht am: 24.10.2014

Laufzeit: 0:04:42

Sprache: englisch

Die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ist die weltweit größte nationale Einrichtung ihrer Art. Besonders gelobt werden ihre exzellenten Dokumentationen aus Natur, Technik und Wissenschaft.

Gravitation ist in einer wichtigen Hinsicht anders als alle anderen Kräfte. Wenn elektrische Kräfte wirken, kann man im Prinzip stets austesten, was da genau am Werk ist. Das elektrische Feld, das solche Krafteinflüsse übermittelt, beschleunigt unterschiedliche Teilchen unterschiedlich stark, je nach dem Verhältnis ihrer elektrischen Ladung und ihrer Masse. Die Gravitation dagegen beschleunigt alle Objekte im gleichen Maß.

In gewisser Weise ist Gravitation daher gar keine Kraft, sondern eher eine systematische Sammlung von Beschleunigungen. Diese besondere Eigenschaft war der Ausgangspunkt für Albert Einsteins Überlegungen zu seiner Gravitationstheorie, der Allgemeinen Relativitätstheorie, die er vor fast genau hundert Jahren der Fachwelt vorstellte.

Wer dies auf der Erde ausprobieren möchte, dem macht allerdings rasch die Luftreibung einen Strich durch die Rechnung. Ein Stein und eine Feder, so die klassischen Beispiele, fallen eben nicht mit genau der gleichen Beschleunigung einträchtig nebeneinander her zu Boden, stattdessen gleitet die Feder auf der Luft hin und her und benötigt eine deutlich längere Zeit zum Boden als der senkrecht nach unten fallende Stein.

Erst, wenn man diese Versuche im Vakuum durchführt, kann man direkt sehen, dass in der Tat alle Körper, die man an ein und demselben Ort loslässt, mit derselben Gravitationsbeschleunigung fallen. Der Klassiker unter den Videos zum Thema ist diese kurze Sequenz hier. Sie zeigt den Astronauten Dave Scott, der im Rahmen der Apollo-15-Mission auf dem Mond landete, wie er eine Feder und einen Hammer fallen lässt, die tatsächlich gleichzeitig – und aufgrund der geringeren Schwereanziehung des Mondes langsamer, als wir es von der Erde für einen Hammer gewohnt sind – zu Boden fallen. (Die NASA hat dafür eigens eine Hammer and feather-Seite eingerichtet.)

Jetzt hat die BBC diesen Fallversuch in der weltgrößten Vakuumkammer nachgestellt – für ihr Programm Human Universe mit Brian Cox, dessen Vorschau hier zu sehen ist. Die Vakuumkammer ist Teil der Space Power Facility der NASA am Glenn Research Center in Cleveland, Ohio, und mit ihren 30,5 Meter Durchmesser und 37,2 Metern Höhe ein beeindruckendes Bauwerk – errichtet, um Weltraumfahrzeuge und ihre Bestandteile unter realistischen Bedingungen im Vakuum zu testen.

Fast 12 Millionen Zugriffe auf YouTube zeigen, dass die BBC mit diesem Filmclip, der derzeit die Runde in den sozialen Medien macht, eine breite Zuschauerschaft erreicht. Gut so!

Der Clip hat allerdings auch eine Eigenschaft, die mich stört. Für meinen Geschmack sind die Präsentationen von Brian Cox sowieso immer etwas zu salbungsvoll, etwas zu sehr auf Effekt getrimmt. Das mag zum Teil Geschmackssache sein, wenn es etwa um die spannungsvolle Musik geht, den dramatischen Countdown, die Kamera, die über das "Restricted Area – Authorized Personnel only" hinweg den Kontrollraum anpeilt. Zum Teil bleiben aber auch andere Ansprüche auf der Strecke.

Man mag noch darüber hinwegsehen, dass Cox Galilei die entsprechenden Fallversuche zuschreibt – die eigentlichen Messungen führte Galilei wohl an rollenden Körpern auf schiefer Bahn aus (was die Abläufe deutlich verlangsamt); dass er Objekte vom schiefen Turm von Pisa fallen ließ, ist nur nachträglich überliefert und wahrscheinlich eine Legende.

Was ich Cox und seinem Team aber wirklich übelnehme, ist, dass sie den gemeinsamen Fall von Feder und Bowlingkugel dann nur in Zeitlupe zeigen. Dabei ist das Potenzial für Missverständnisse einfach zu groß. Wir sind aus Filmen und aus Berichterstattung über Raumfahrt gewohnt, dass Astronauten langsam dahinschweben, kennen die verlangsamten Bewegungen der Astronauten, die auf dem Mond wandern, oder Stanley Kubricks Raumstationen-Ballett in der Anfangssequenz von "2001 – Odyssee im Weltraum". Die Aufnahmen aus einer Kammer, über die man zuvor erfährt, dass sie Weltraumbedingungen simuliert, nur in extremer Zeitlupe zu zeigen, knüpft an genau diese Sehgewohnheiten an. Wie viele von den Millionen Menschen, die das Video einfach nur nebenbei sehen, nehmen dabei, ohne näher darüber nachzudenken, irrtümlich den Eindruck mit, dass auch diese langsame Geschwindigkeit ein Teil der dort simulierten Bedingungen ist – und dass Cox und die anderen (wie die Schnittsequenz nahelegt) live dem extrem langsamen Fall zusehen, während sie in Wirklichkeit Aufnahmen von Hochgeschwindigkeitskameras sehen?

Vielleicht funktioniert diese Sequenz in der fertigen Sendung ja anders. Aber zumindest in dieser Vorschau opfern die Macher die Chance, Verständnis für grundlegende Physik zu erzeugen, den dramatischen Effekten. Und das ist bei einer solchen Produktion, exzellent und an beeindruckendem Schauplatz gefilmt, jammerschade. An dieser Stelle hat das qualitativ sauschlechte Video mit dem Apollo-15-Astronauten dann doch die Nase vorn.

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