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Filmkritik: "Deepwater Horizon": Öl aus der Tiefsee: Nach dem Blowout ist vor dem Blowout

Die US-Regierung dereguliert die Ölindustrie. So gewinnt die Verfilmung der Ölkatastrophe von 2010 im Golf von Mexiko überraschend schnell wieder an Aktualität.
Deepwater Horizon (2016) – Official Teaser Trailer - Mark Wahlberg

Veröffentlicht am: 23.03.2016

Laufzeit: 0:02:15

Sprache: englisch

Lionsgate ist ein in Kanada gegründetes Medienunternehmen, das unter anderem Filme vertreibt.

Die Herstellung US-amerikanischer "Energiedominanz" ist das erklärte Ziel der Regierung von Präsident Donald Trump, und dafür ist ihr fast jedes Mittel recht. Seit Ende Dezember 2017 fallen in den USA immer mehr Regulierungen für Öl- und Gasbohrungen, sowohl zu Lande als auch im Ozean. Mehr als 90 Prozent des amerikanischen Kontinentalschelfs soll für solche Vorhaben freigegeben werden.

Zugleich sollen die Anforderungen an die Sicherheit schwimmender Ölbohrplattformen zurückgeschraubt werden – ein sicheres Rezept für Katastrophen. Dabei hat sich die Natur im Golf von Mexiko noch immer nicht von der schlimmsten und teuersten Ölkatastrophe der amerikanischen Geschichte erholt: der Havarie einer britischen Ölbohrplattform im Golf von Mexiko im Jahr 2010.

Trumps Pläne verschaffen dem Katastrophenfilm "Deepwater Horizon" des US-Regisseurs Peter Berg aus dem Jahr 2016 überraschend schnell wieder eine fast gespenstische Aktualität. Denn der Action-Thriller zeigt eindringlich, warum es keine gute Idee ist, ausgerechnet die Anforderungen an die sogenannten Blowout-Preventer zu lockern, wie es die Trump-Regierung jetzt vorhat.

Rückblick: Am 20. April 2010 erlebte die Crew der schwimmenden Bohrinsel "Deepwater Horizon" vor der Küste von Louisiana einen Blowout. Bei dem gefürchteten Ereignis, gewissermaßen der größte anzunehmende Unfall (GAU) in der Ölindustrie, schießt ein hoch entzündliches Gemisch aus Öl und Gas unkontrolliert durch das Bohrloch nach oben. Die Gefahr war bekannt. Gerade bei Tiefbohrungen lasten dicke Gesteinsschichten auf den Öllagern und setzen sie unter enormen Druck. Ein am Meeresboden installierter turmhoher Blowout-Preventer sollte den Überdruck unter Kontrolle halten. Als er aber wirklich gebraucht wurde, versagte eines seiner Elemente nach dem anderen. Das Öl spritzte in einer Fontäne über die Plattform, das Gas löste eine heftige Explosion aus und setzte die Anlage in Brand. Elf Menschen starben in der Flammenhölle. Die Bohrinsel sank, und aus dem Bohrloch am Meeresboden in 1500 Meter Tiefe begannen gigantische Mengen Rohöl zu sprudeln.

Erst nach 87 Tagen gelang es, das Leck abzudichten. Bis dahin waren fast 800 Millionen Liter Öl ausgeströmt, hatten über 1700 Kilometer Küste verseucht und Seevögel, Fische, Krebse, Muscheln und Delphine zugrunde gehen lassen. Bis Ende 2017 bezahlte der verantwortliche britische Konzern BP mehr als 63 Milliarden US-Dollar an Strafen und Entschädigungen.

Zum Vergleich: Die Regierung Trump wirbt damit, dass die Industrie durch die verringerten Sicherheitsanforderungen binnen zehn Jahren 228 Millionen US-Dollar sparen werde. Der Film konzentriert sich auf die letzten Stunden vor der Katastrophe bis zur Evakuierung der Bohrinsel, als technische Unzulänglichkeiten, Zeitdruck, übertriebene Sparsamkeit und menschliche Fehlentscheidungen zur Katastrophe führten. Als spannendes und bildgewaltiges Spektakel angelegt, hält er sich dennoch eng an die tatsächlichen Ereignisse. Das Drehbuch geht sogar in technische Einzelheiten: Welcher Druck ist erlaubt? Welcher Zement wird zur Abdichtung verwendet? Welche Prüfroutinen sind vorgeschrieben?

Deutlich wird insbesondere, dass BP gegenüber seinem Auftragnehmer Transocean, der die "Deepwater Horizon" betrieb, auf schnellere Arbeit drängte. Budget und Zeitrahmen der Bohrung waren bereits überschritten, jeder zusätzliche Tag kostete den Konzern mehr als eine Million US-Dollar. So wurden vorgeschriebene Prozeduren abgekürzt oder unterlassen. Der Blowout-Preventer war von zweifelhafter Qualität und überdies bei einem vorangegangenen Bohrunfall beschädigt worden – aber anschließend weder überprüft noch repariert worden.

Regisseur Peter Berg fängt auch die menschliche Komponente des Unlgücks sehr gut ein. Er schildert das harte Leben an Bord einer Bohrinsel und nimmt sich Zeit, um die Funktion ihrer Komponenten und die Aufgaben der Besatzung vorzustellen. Minutiös verfolgt er die zunächst kleinen, dann aber lawinenartig zunehmenden Abweichungen von der Normalität. Als die Verantwortlichen endlich begreifen, dass die Katastrophe unabwendbar ist und nur noch begrenzt werden kann, treffen sie ihre Entscheidungen zu langsam. Sie klammern sich an gewohnte Abläufe und leiten Notfallprozeduren erst ein, als diese schon nicht mehr greifen können. Statt die Besatzung der Plattform aber anzuklagen, zeigt der Film nur ihr allzu menschliches Versagen.

Eine Dokumentation kann und will "Deepwater Horizon" nicht ersetzen. Lieber setzt er die explodierenden Generatoren, das durchzündende Erdgas und schließlich die brennenden Ölfontänen spektakulär in Szene – und auch den von Mark Wahlberg gespielten Chefelektriker Mike Williams, der zumindest auf der Leinwand stets entschlossen und überlegt handelt.

Dass der Film diese Ereignisse dramatisiert, ohne sie zu übertreiben, ist seine große Stärke. Zwar analysiert er weder die strukturellen Probleme des Geschäfts mit dem Öl im Vorfeld der Katastrophe noch das Versagen von BP bei der Eindämmung des Ölaustritts. Doch macht er mehr Menschen klar, als es jeder Dokumentation gelänge, wie leichtsinnig es ist, die Vorschriften wieder zu lockern.

2010 rächte sich die Hybris der Staaten, Konzerne und Gesellschaften, die auf billiges Öl drängen und das Zähmen übermächtiger Naturkräfte mitsamt der Verantwortung für unsere Umwelt an Konzerne delegieren. Aber allein im Golf von Mexiko gibt es mehr als 2000 Bohrlöcher, und es werden ständig neue niedergebracht. Die Menschheit hat nichts dazugelernt.

Nur die Küste Floridas ist sicher: Die Trump-Regierung hat jüngst beschlossen, dass dort weiterhin nicht gebohrt werden darf – um den Tourismus nicht zu gefährden. In diesem Staat betreibt Donald Trump seinen Golfclub Mar-a-Lago. Er liegt direkt am Strand.

Weitere Filme: Pretty Slick (Dokumentation) und Dirty Energy (Dokumentation)

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