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Filmkritik: "Sie sind verdammt": Strahlenresistent ins postapokalyptische Zeitalter

In einem wieder beklemmend aktuell erscheinenden Science-Fiction-Film von 1963 sucht der Staat sein Heil vor der Atomkatastrophe in der Wissenschaft – und lässt zugleich jegliche Moral vermissen.
Trailer: The Damned – Sie sind verdammt (1963)

Veröffentlicht am: 1963

Laufzeit: 0:02:45

Sprache: englisch

Die 1934 gegründete britische Produktionsfirma Hammer Film Productions ist vor allem für ihre Gothic- und Horrorfilme bekannt.

Der 1963 veröffentlichte Science-Fiction-Film "Sie sind verdammt" ("The Damned") des amerikanischen Regisseurs Joseph Losey ist heute weitgehend vergessen. Zu Unrecht: Seine spannend erzählte Warnung vor dem Wahnsinn der Regierenden im Schatten eines drohenden Atomkriegs ist immer noch aktuell. Der unpassende Trailer deutet zwar eher auf einen Prügelfilm mit Schockeffekten hin. Vermutlich wollte die britische Produktionsfirma Hammer Films, die ihr Geld bis dahin vor allem mit Gothic-Horror-Filmen verdient hatte, damit ihre Fans bei der Stange halten.

Nach einem Atomunfall elf Jahre vor Beginn der Filmhandlung werden in England neun Babys mit besonderen Eigenschaften geboren. Die ionisierende Strahlung der radioaktiven Substanzen, die ihr Körper eingelagert hat, kann anderen Menschen gefährlich werden, ihnen selbst jedoch nichts anhaben. Ihre niedrige Körpertemperatur wiederum fällt nur demjenigen auf, der ihre Haut berührt. Ansonsten erscheinen sie körperlich und geistig vollkommen normal.

Der britische Staat erkennt das Potenzial der strahlenresistenten Kinder und bringt sie in eine geheime militärische Forschungseinrichtung. Von der Außenwelt gänzlich isoliert, werden sie dort auf ihre Bestimmung vorbereitet: Nach der nuklearen Apokalypse, die Militärs und Politiker für unvermeidlich halten, sollen sie die Erde neu besiedeln.

Eine Wahnidee, keine Frage: Neun Kinder, aufgewachsen in Isolation, würden in den Trümmern einer zerstörten Zivilisation nicht lange überleben, geschweige denn genügend genetische Diversität in eine künftige Population einbringen. Dennoch halten die Verantwortlichen unbeirrbar an ihren Plänen fest; Außenstehende, die über das Projekt stolpern, werden zum Schweigen gebracht. Und so nimmt die Prä-Apokalypse ihren Lauf. Der alles vernichtende Atomkrieg ist noch nicht ausgebrochen, aber die verblendeten Regierungen der Atomstaaten bereiten ihn so konsequent vor, dass er unausweichlich kommen muss. Diese unter Intellektuellen in den 1960er Jahren weitverbreitete Befürchtung übersetzt "The Damned" in beklemmend intensive Bilder und wird damit zu einem sehenswerten Zeitdokument.

Der Film verzichtet dabei auf vordergründige Schockeffekte. Stanley Kubricks "Dr. Seltsam" von 1964 entlarvte das damalige "Gleichgewicht des Schreckens" (mutual assured desctruction, MAD) mit den Mitteln der grotesken Übertreibung als labiles Konstrukt, das jederzeit in der Katastrophe enden kann. Losey geht subtiler vor. Seine verstörende Wirkung erzielt "The Damned", indem er seinen Zuschauern immer tiefere Blicke auf den methodischen Wahnsinn hinter der Fassade eines scheinbar wohlgeordneten Staatswesens gewährt. Politiker, Militärs und Wissenschaftler, so deutet er an, haben es insgeheim längst aufgegeben, den Untergang der Zivilisation zu verhindern, und planen bereits für die Zeit danach.

Aus wissenschaftlicher Sicht hat der Plot allerdings einige Schwächen. Als der Film 1961 entstand, erschien der Gedanke durchaus plausibel, dass Kinder im Mutterleib sich an radioaktive Strahlung gewöhnen könnten – so wie der Körper lernt, Gifte zu tolerieren, wenn deren Dosis langsam genug gesteigert wird (Stichwort Mithridatisation).

Doch davon kann nicht die Rede sein. Die Zellen von ungeborenen Kindern teilen sich sehr häufig, sodass sich Schäden im Genmaterial, die durch Strahlen ausgelöst werden, schnell ausbreiten. Einen durch Gewöhnung induzierten Schutz gibt es nicht, auch eine Abschirmung der DNA vor Strahlung ist auf Zellebene schlicht unmöglich.

Zumindest denkbar ist hingegen, dass eine Absenkung der Körpertemperatur – wie bei den Kindern im Film – die Strahlenresistenz verbessert. Kälte verringert die Teilungsrate von Zellen, was ihnen mehr Zeit für die Reparatur von Strahlenschäden verschafft. Solche Reparaturmechanismen sind in unseren Körpern ständig am Werk (siehe SciViews-Videorezension Die Zelle als Heimwerker).

Andererseits: Menschen sind keine wechselwarmen Reptilien. Eine dauerhaft um mehr als etwa fünf Grad Celsius verringerte Körpertemperatur stört die Feinabstimmung der Stoffwechselprozesse und führt binnen weniger Tage zum Tod. Die Kinder wären also kurz nach ihrer Geburt gestorben.

Regierungen aber, denen der moralische Kompass verloren gegangen ist, kennt auch der heutige Zuschauer des Films. Angesichts des fahrlässigen Umgangs mit Atomkriegsdrohungen und Klimakatastrophen muss man durchaus damit rechnen, dass führende Politiker und Militärs die gegenwärtige Welt bereits abgeschrieben haben und nur noch an ihrer Machtbasis für den Tag danach zimmern. So gesehen, erscheint das Grundthema des Films gerade heute beklemmend aktuell.

Sie sind verdammt. VoD, DVD und Blu-ray, Großbritannien, 1963. Regie: Joseph Losey

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