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Filmkritik: "Predestination": Zeitreise: Mitten hinein ins Paradox

Science-fiction-Filme spielen gern damit, ihre Protagonisten in die Vergangenheit zu schicken. Paradoxen Situationen, die sich daraus ergeben, gehen sie aber lieber aus dem Weg. "Predestination" ist anders: Der Film manövriert seinen Protagonisten gezielt in eine besonders absurde Lage.

Zeitreisen sind ein beliebtes Thema von Romanen und Filmen, weil sich mit ihnen trefflich die Gegenwart kritisieren lässt. Frühere Autoren mussten zu diesem Zweck noch nicht auf sie zurückgreifen. Jonathan Swift etwa konnte stattdessen für seine Satire "Gullivers Reisen", erschienen 1726, ferne Länder erfinden, um sie dem zeitgenössischen England als Spiegel vorzuhalten. Doch unbekannte irdische Territorien, auf die wir phantastische Szenarien projizieren könnten, sind Mangelware geworden. Und so schickte der englische Schriftsteller H. G. Wells bereits 1895 den Protagonisten seines Buchs "Die Zeitmaschine" weit in die Zukunft, um ihn dort den dystopischen Endzustand des Kapitalismus erleben zu lassen.

Die Erfindung von (literarischen) Zeitreisen fordert allerdings einen hohen Preis. Scharfsinnigen Menschen fiel sehr schnell auf, dass zumindest die Manipulation der Vergangenheit unauflösliche Widersprüche in der wirklichen Welt auslösen würde. Nehmen wir an, jemand reist in der Zeit zurück, um seinen Großvater umzubringen, bevor dieser seine künftige Frau und damit die Großmutter des Zeitreisenden trifft. Im Augenblick des Mordes würde er aber die Voraussetzung für seine Tat zerstören, nämlich seine eigene Existenz. Kann sie also überhaupt stattfinden?

Dieses sogenannte Großvaterparadox ist schwer oder gar unmöglich aufzulösen. Die meisten Zeitreisefilme gehen ihm und anderen Paradoxien darum aus dem Weg oder befassen sich, wie der Kultfilm "Zurück in die Zukunft" (1985), mit ihrer Vermeidung. Darin überredet Marty McFly bei einem Ausflug in die Vergangenheit seinen zaudernden Vater, Martys Mutter den Hof zu machen, weil sonst die eigene Existenz gefährdet wäre.

Der australische Film "Predestination" aus dem Jahr 2014 geht einen anderen Weg: Sorgfältig und konsequent baut er ein besonders fatales Zeitreise-Paradox auf. Den Zwillingsbrüdern Peter und Michael Spierig (Buch und Regie) gelingt dabei das seltene Kunststück, die eigentlich unmögliche Handlung plausibel und logisch zu präsentieren.

Aber was genau heißt denn "eigentlich unmöglich"? Dem berühmten Astrophysiker Stephen Hawking zufolge verbietet die Quantentheorie Zeitreisen nicht grundsätzlich. Allerdings würden die Gesetze der Physik so zusammenwirken, dass sie Ausflüge in die Vergangenheit extrem unwahrscheinlich machen. Mit dem "Erfinder" der multiplen Universen (siehe Die Parallelwelten des Hugh Everett) ließe sich auch argumentieren, dass die Ankunft eines mordlustigen Zeitreisenden in der Vergangenheit den Beginn einer alternativen Geschichtslinie markiert, eine Parallelwelt, in der ein rätselhafter, nie aufgeklärter Mord geschieht. In dieser würde der Mörder überleben, der Weg in seine ursprüngliche Gegenwart wäre ihm aber versperrt.

Rein mathematisch gesehen liegen die Dinge ein wenig einfacher. Für rückwärts gerichtete Zeitreisen hat sich unter Wissenschaftlern der Begriff einer geschlossenen zeitartigen Kurve eingebürgert (CTC, Closed Timelike Curve), bei der es sich vereinfacht gesagt um eine Art Zeitschleife handelt. Und tatsächlich finden sich Lösungen der Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, die solche CTCs beschreiben. Dass sie auch in der Realität existieren, ist damit allerdings nicht belegt. Zumal diese Lösungen so exotische Zustände der Raumzeit voraussetzen, dass ein Mensch darin kaum überleben könnte.

Falls aber doch, wäre allen Arten von seltsamen Ereignissen Tür und Tor geöffnet. Angenommen, die 2030 geborene Maria würde zu einem Fan der Beatles und träumte davon, ihre Stars live zu erleben. 2062 stiehlt sie eine Zeitmaschine aus dem Museum und steuert das Jahr 1962 an. Dort verliebt sie sich, kehrt nie zurück und stirbt hochbetagt im Jahr 2007. Die Zeitmaschine vermacht sie dem Museum, denn sonst könnte sie das Gerät später nicht stehlen. Damit erzeugt sie ein weiteres Paradox, eine sogenannte Kausalschleife, denn die Maschine existiert zwischen 1962 und 2062, ohne dass jemand sie gebaut hätte. Danach aber wäre sie für immer verschwunden.

Eines der (zahlreichen) Probleme dieses Szenarios: In Marias Geschichte scheint der Grundsatz der Kausalität verletzt, dem zufolge alles eine Ursache haben muss. Weil aber die Relativitätstheorie CTCs zumindest im Prinzip zulässt, steht möglicherweise unser Verständnis von Kausalität in Frage.

In "Predestination" ist es nun der Protagonist John, ein Agent des geheimnisvollen Temporal Bureau, der mitten in solche Paradoxa gerät. Als Zeitreisender soll er Verbrechen verhindern – darunter auch solche, die bereits geschehen sind. Verbotenerweise setzt er seine Zeitmaschine überdies in eigener Sache ein. Bei einem Ausflug in die Vergangenheit überredet er sein früheres Ich, als Zeitagent anzuheuern. Seine Sorge, ob berechtigt oder nicht: Falls er scheitert, würde es ihn selbst, den Zeitagenten John, niemals geben. Er wäre in einer Zeitlinie gefangen, die gar nicht erst beginnt, und verschwände vielleicht wie ein Spuk, sobald sein früheres Ich einen anderen Lebensweg einschlägt.

Dieses sogenannte Vorbestimmungsparadox (engl.: predestination paradox) zieht sich durch den ganzen Film. Immer wieder lenkt John, beherrscht von der Vorstellung, seine "richtige" Vergangenheit sichern zu müssen, frühere Versionen seiner selbst auf den vorgezeichneten Weg, und verheddert sich in immer verwickelteren Gedankengängen. "Was passiert", fragt er irgendwann angstvoll, "wenn ich eines Tages nicht mehr weiß, wie meine Zukunft wird?" Am Ende mutiert John selbst zum ultimativen Paradox: Wie Marias Zeitmaschine beginnt seine Existenz ohne äußere Ursache, und endet, ohne Spuren zu hinterlassen – er ist quasi die Inkarnation einer Kausalschleife.

Auch wenn die Actionszenen sehr sparsam verteilt sind, die Spannung sich über lange Strecken in Grenzen hält und nur derjenige Zuschauer den Faden behält, der ständig mitdenkt: Predestination ist absolut sehenswert. Wohl noch nie hat ein Science-fiction-Film die unvermeidlichen Paradoxa der Zeitreisen so klug und konsequent in den Mittelpunkt seiner Handlung gerückt.

Predestination. Regie und Buch: Michael und Peter Spierig. Australien, 2014.

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