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Der Mathematische Monatskalender: Mary Fairfax Somerville war das Vorbild von Ada Lovelace

Ihr Vater war besorgt, »das abstrakte Denken würde den zarten weiblichen Körperbau verletzen«. Dennoch konnte sich Mary Fairfax Somerville heimlich mit Mathematik beschäftigen.
Eine weibliche Hand schreibt mathematische Formeln auf
Wegen ihres Geschlechts wurde Mary Fairfax Somerville daran gehindert, sich der Wissenschaft zu widmen. Und auch sie selbst unterschätzte ihre Fähigkeiten.

Mary wuchs als fünftes von sieben Kindern des schottischen Marineoffiziers (und späteren Vizeadmirals) William George Fairfax und seiner Frau Margaret in Burntisland auf, einem kleinen Ort am Firth of Forth. Drei ihrer Geschwister starben bereits in jungen Jahren. Wie in dieser Zeit üblich erhielten nur die Söhne der Familie eine umfassende Schulbildung, die auf ein Studium oder eine militärische Karriere vorbereitete. Der Vater war oft monatelang abwesend und kümmerte sich daher kaum um seine Kinder. Die Mutter hielt eine besondere schulische Bildung für ihre Töchter für überflüssig.

Als der Vater wieder einmal nach längerer Abwesenheit nach Hause kam, stellte er fest, dass seine inzwischen zehnjährige Tochter Mary kaum lesen, nicht schreiben und auch nicht rechnen konnte. Er war so schockiert, dass er Mary für ein Jahr auf ein teures, schlecht geführtes Internat schickte – es war der einzige Vollzeitunterricht ihres Lebens. Froh darüber, als diese Zeit endlich vorüber war, beschloss sie, alle Bücher zu lesen, die ihr in der Hausbibliothek in die Hände fielen. Mit Hilfe einer kommentierten Caesar-Ausgabe brachte sie sich selbst Latein bei.

In den folgenden Jahren wurde sie auf ihre zukünftige Rolle als Ehefrau in ihrer Gesellschaftsschicht vorbereitet; dazu gehörten neben der obligatorischen Handarbeit und dem Kochunterricht auch Gesellschaftstanz, Klavierspiel sowie Zeichnen und Malen. Eines Tages entdeckte Mary Fairfax in einem Artikel eines Frauenmagazins seltsame Symbole; von ihrem Zeichenlehrer erfuhr sie, dass es sich hierbei um »Algebra« handeln würde. Sie besorgte sich ein Algebrabuch sowie die »Elemente« des Euklid und arbeitete diese mit der Unterstützung ihres jüngeren Bruders durch (der einen umfassenden Unterricht durch einen Privatlehrer erhielt). Als ihr Vater das herausfand, verbot er ihr diese Beschäftigung, da er die Sorge hatte, dass »die Belastung des abstrakten Denkens den zarten weiblichen Körperbau verletzen« würde. Ihre Mutter und andere weibliche Verwandte hielten ihr Interesse an Mathematik ebenfalls für ein »unweibliches Verhalten«. Unbeeindruckt von dieser Kritik setzte Mary Fairfax ihr Selbststudium heimlich fort.

Der mathematische Monatskalender

Ihre wissenschaftlichen Leistungen sind weit verbreitet, doch wer waren die Mathematik-Genies, die unser Verständnis der Welt nachhaltig prägten? Für seine Schüler hat Heinz Klaus Strick, ehemaliger Leiter des Landrat-Lucas-Gymnasiums in Leverkusen-Opladen, den »mathematischen Monatskalender« geschrieben und mit passenden Briefmarken der vorgestellten Personen ergänzt. Alle spannenden Lebensläufe, skurrilen Porträts und unglaublichen Geschichten hinter den namhaften Persönlichkeiten finden Sie nun auch hier.

Mit 24 Jahren wurde sie mit Samuel Greig verheiratet, einem entfernten Verwandten, der zuvor in Diensten der russischen Marine stand. Als Greig eine Anstellung in London fand, zog das Paar in die britische Hauptstadt. Der Ehemann zeigte keinerlei Verständnis für die wissenschaftliche Neugier seiner Frau – da er aber häufig abwesend war, konnte sie ihre Studien weiter fortsetzen. Als Greig nach drei Jahren starb, kehrte Mary mit ihren zwei Söhnen wieder nach Schottland zurück.

Als Witwe kann sie sich ihren Studien widmen

Mit einem kleinen Vermögen konnte sie sich nun als Witwe – wann immer dafür Zeit war – mit den wissenschaftlichen Themen beschäftigen, die sie interessierten. Ermutigt durch John Playfair, Professor für Naturphilosophie an der Universität Edinburgh, und mit Unterstützung durch William Wallace, später Mathematikprofessor der Universität, studierte sie unter anderem Newtons »Principia« und die »Mécanique Céleste« von Pierre-Simon Laplace. Bei einem Preisausschreiben einer mathematischen Zeitschrift gewann sie eine Silbermedaille.

»Ich bin überzeugt, dass Frauen fähig sind, einen höheren Platz in der Schöpfung einzunehmen als den, der ihnen in meinen frühen Tagen zugewiesen wurde und der sehr niedrig war«Mary Fairfax Somerville, Mathematikerin

1812 heiratete Mary ihren Cousin, den weit gereisten Militärarzt William Somerville; in dieser Ehe wurden weitere vier Kinder geboren. Im Unterschied zu ihrem ersten Ehemann unterstützte Somerville das wissenschaftliche Interesse seiner Frau, und ermunterte sie, Altgriechisch zu lernen. Playfair weckte das Interesse des Ehepaars an Themen aus Geologie und Mineralogie; Mary begann ein Studium der Botanik.

1816 wechselte William Somerville auf eine leitende Position in London, wo er als Mitglied in die Royal Society aufgenommen wurde. In diesen Gesellschaftskreisen konnte Mary nun jede Gelegenheit zu wissenschaftlichen Gesprächen nutzen. Im Rahmen einer Reise, die das Ehepaar nach Paris, in die Schweiz und nach Italien führte, knüpften sie zahlreiche Kontakte zu den Mitgliedern der wissenschaftlichen Akademien. Hierdurch bestärkt, war Mary inzwischen zu der Überzeugung gekommen, »dass Frauen fähig sind, einen höheren Platz in der Schöpfung einzunehmen als den, der ihnen in meinen frühen Tagen zugewiesen wurde und der sehr niedrig war.«

Mary Fairfax Somerville

1826 erschien ihr erster Beitrag in den »Philosophical Transactions« – über die magnetischen Eigenschaften der violetten Lichtstrahlen im Sonnenlicht. Ihre Ansätze, die sich letztlich nicht alle als richtig herausstellten, gaben Anregungen für weitere Untersuchungen, unter anderem durch François Arago, mit dem sie in freundschaftlichem Kontakt stand.

Aus einer Zusammenfassung wird ein ganzes Buch

Nach dieser ersten Veröffentlichung wurde sie gefragt, ob sie bereit wäre, eine populäre Zusammenfassung der »Mécanique Céleste« von Laplace für die philanthropische Society for the Diffusion of Useful Knowledge (Gesellschaft zur Verbreitung von nützlichem Wissen) zu verfassen. Mary Somerville beließ es jedoch nicht bei einem Aufsatz über das Laplace'sche Werk, vielmehr übersetzte sie das gesamte Buch ins Englische und versah es mit ausführlichen Kommentaren, auch zu den mathematischen Grundlagen.

Da diese Fassung zu umfangreich war für die Zeitschrift, veranlasste der befreundete Astronom John Herschel (Sohn von William Herschel) einen Verleger, das Buch drucken zu lassen. 1830 erschien es unter dem Titel »The Mechanism of the Heavens« – und wurde ein großer finanzieller Erfolg. Es erschien in zehn Auflagen (auch als Raubkopie in den Vereinigten Staaten). Die von ihr ergänzten Kommentare wurden sogar ins Deutsche und Italienische übersetzt.

Für das Buch verfasste sie als Einleitung eine eigenständige Abhandlung (»A Preliminary Dissertation«), in der sie anschaulich den Aufbau unseres Sonnensystems beschrieb und erläuterte, wie das Planetensystem von der Schwerkraft gesteuert wird. Allerdings durfte sie ihr Buch nicht selbst in der Royal Society vorstellen – das musste ihr Ehemann für sie übernehmen. (Die erste Frau, die in der Royal Society vortragen durfte, war die Mathematikerin und Elektroingenieurin Hertha Ayrton im Jahr 1904; und trotz der gesetzlichen Vorschrift des »Sex Disqualification Removal Acts« von 1919 nahm die Royal Society erst ab dem Jahr 1945 Frauen als Mitglieder auf.)

Ein Vorbild für Ada Lovelace

Zum Freundeskreis der Somervilles gehörte unter anderem die Witwe von Lord Byron. Zu deren Tochter Ada, der späteren Augusta Ada King Countess of Lovelace, entwickelte Mary Somerville eine besondere Beziehung. Sie lud die 18-jährige Ada nicht nur zu gemeinsamen Konzertbesuchen ein, sondern gab ihr vielfältige wissenschaftliche Anregungen. Mary Somerville wurde für Ada zum Vorbild, dem sie nacheifern wollte.

Als Nächstes veröffentlichte Mary Somerville 1834 ein Buch, das es in dieser Form noch nicht gegeben hatte: »On the Connexion of the Physical Sciences« (Über den Zusammenhang der physikalischen Wissenschaften) – ein Überblick über den Stand der Forschungen in den Fächern Chemie, Astronomie und Physik sowie über die diesen Fächern zu Grunde liegenden Prinzipien und Methoden. Für den Universalgelehrten William Whewell war das Buch Anlass für eine Wortschöpfung: In einer wohlwollenden Rezension des Werks verwendete er als Erster den Begriff »scientist« (an Stelle der bisher üblichen Begriffe »men of science« oder »natural philosopher«).

1835 wurde Mary Somerville – zusammen mit Caroline Herschel, der Schwester William Herschels – als Ehrenmitglied in die Royal Astronomical Society aufgenommen. Die beiden waren die ersten Frauen, denen diese Ehre zuteilwurde. Die britische Regierung gewährte ihr in Anerkennung ihrer Verdienste eine jährliche Pension in Höhe von 200 Pfund, die später auf 300 Pfund erhöht wurde.

Ich bin mir bewusst, dass ich selbst nie eine Entdeckung gemacht habe, ich hatte keine Originalität. Ich habe Beharrlichkeit und Intelligenz, aber kein Genie. Dieser Funke vom Himmel ist meinem Geschlecht nicht vergönnt«Mary Fairfax Somerville, Mathematikerin

Nach der Erkrankung ihres Mannes lebte Mary Somerville von 1838 an überwiegend im klimafreundlicheren Italien, wo sie mit großer Ausdauer (»wenn ich heute bei der Lösung eines Problems keinen Erfolg habe, dann nehme ich es morgen wieder in Angriff«) weitere Bücher verfasste, unter anderem das erste Buch über »Physical geography, Molecular and Microscopic Science«. Eine Arbeit über Quaternionen konnte die 91-Jährige schließlich nicht mehr vollenden.

Trotz einer großen Zahl von Auszeichnungen, zuletzt auch in Italien, zog sie am Ende ihres Lebens eine eher pessimistische Bilanz für ihr Geschlecht: »Ich bin mir bewusst, dass ich selbst nie eine Entdeckung gemacht habe, ich hatte keine Originalität. Ich habe Beharrlichkeit und Intelligenz, aber kein Genie. Dieser Funke vom Himmel ist [meinem] Geschlecht nicht vergönnt ... « Die Royal Bank of Scotland ehrte Mary Somerville im Jahr 2017 durch Abdruck ihres Porträts auf einer 10-Pfund-Note.

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