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Mykologie: Von Becquerel bis Knollenblätterpilz - fünf Fragen rund um Pilze

Der Herbst ist Pilzzeit. Taugen Pilz-Apps? Kann man Pilze wieder aufwärmen? Und wie wirken ihre Gifte?
Pilze im Korb im herbstlichen Wald

Welche Inhaltsstoffe machen sie schmackhaft und haben einen gesundheitlichen Mehrwert?

Das Aromagefüge von Pilzen ist facettenreich und je nach Pilzart und -alter sowie zudem noch zwischen Kappe und Stiel unterschiedlich ausgeprägt. Auf jeden Fall trägt der Gehalt an Aminosäuren zu dem als fleischartig oder auch würzig beschriebenen Pilzaroma bei. Das stammt zum einem aus dem teils hohen Gehalt an Glutaminsäure, die als Geschmacksverstärker wirkt. Diese Aminosäure findet sich in großen Mengen etwa in Shiitakepilzen. Aber auch schwefelhaltige Aminosäuren bilden beim Braten fleischähnliche Aromen. Überdies finden sich in Pilzen zahlreiche flüchtige Substanzen – allein aus Champignons wurden 150 Aromen extrahiert. Als Leitsubstanz für den pilzigen Geschmack gilt 1-Octen-3-ol, das vor allem beim Anschneiden freigesetzt wird, wobei dieser Alkohol im Reinzustand sogar eher muffig riecht und erst in Kombination den typischen Geschmack verleiht. Des Weiteren machen zahlreiche Duftstoffe jedes Pilzbukett einzigartig. Duft und Geschmack des Pfifferlings werden etwa als pfirsich- oder aprikosenartig beschrieben, der Steinpilz ist hingegen eher nussig. Einige Pilze schmecken pfefferartig, brennend oder bitter. Diese Charakteristika helfen durchaus auch, Pilze zu bestimmen.

Steinpilz | Zu den begehrtesten und schmackhaftesten Pilzen gehört der Steinpilz: Sein charakteristisches Aussehen macht ihn fast unverwechselbar.

Neben ihrem Wohlgeschmack werden Pilze auch deshalb geschätzt, weil sie gesund sind. Es gibt mindestens 700 Arten weltweit, denen eine Heilwirkung nachgesagt wird. So sollen Beta-Glucane in der Zellmembran von Pilzen Nerven schützen, Cholesterin senken, das Immunsystem stärken und Krebs vorbeugen. Pilzlektine und antimikrobielle Peptide gehen gegen Bakterien und Viren vor. Sterole wirken gegen Herzkrankheiten, und phenolische Verbindungen bewahren vor Allergien. Tatsächlich sind einige Pilzinhaltsstoffe schon in der pharmazeutischen Entwicklung recht weit gediehen. Die Mykotherapie ist vor allem in Japan und China beliebt. Auch hier zu Lande gibt es Nahrungsergänzungsmittel etwa auf Basis des Schopftintlings (Coprinus comatus), die gegen hohen Blutzucker helfen sollen. Siegmar Berndt von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) warnt jedoch: "Für einen Wirkungsnachweis dieser Präparate beim Menschen fehlen Langzeitstudien." Er plädiert für den Konsum von ganzen Pilzen, erst dann bekomme man alle wertvollen Inhaltsstoffe mit.

Denn die Waldgewächse liefern obendrein alle essenziellen Aminosäuren – wichtig vor allem für Veganer –, viele Ballaststoffe, wenig Fett, dafür Spurenelemente wie Selen und Magnesium, B-Vitamine, Vitamin D und E. Allerdings variieren die Gehalte stark je nach Art, Standort oder Alter. Vitamin D findet sich beispielsweise nicht in Kulturpilzen. Und Studien mit gezüchteten Austernpilzen deckten auf: Die Kappen haben mehr Eiweiß, die Stiele mehr Kohlenhydrate und Ballaststoffe. Insgesamt wird Pilzessern tatsächlich eine bessere Gesundheit bescheinigt. Ob das an den Pilzen liegt oder einem insgesamt ausgewogeneren Speiseplan – oder der häufigen Bewegung an der frischen Luft –, ist jedoch völlig ungewiss.

Wie wirken Giftpilze im Körper? Welche Gesundheitsschäden drohen? Was tun, wenn man Vergiftungserscheinungen spürt?

Schwere Vergiftungen rühren in Deutschland fast immer von der fatalen Ähnlichkeit zwischen beispielsweise dem Grünen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) und dem Wiesenchampignon (Agaricus campestris) her: Betroffene spüren zuerst meist Magen-Darm-Beschwerden einige Stunden nach der Pilzmahlzeit, gleichzeitig greifen Zyklopeptide wie das Amanitin (benannt nach dem Gattungsnamen der Knollenblätterpilze) Leberzellen an und führen unbehandelt zu tödlichem Leberversagen. Das Gift wird auch durch Kochen nicht zerstört.

Fliegenpilze | Auch Fliegenpilze sind prinzipiell unverwechselbar. Dennoch finden sie bisweilen den Weg in den Kochtopf: Sie können Magenverstimmungen und Halluzinationen auslösen.

Andere Arten wie der Fliegen- oder der Pantherpilz bilden Nervengifte wie Ibotensäure oder Muscarin. Innerhalb einer Stunde kommt es zu Schweißbildung, Atemnot oder Zuckungen. "Aber meist sind die Betroffenen am nächsten Tag nach einem Fliegenpilzmahl außer Gefahr", schreibt Ewald Gerhardt in seinem Buch "Pilze: Treffsicher bestimmen in drei Schritten". Nur der Pantherpilz (Amanita pantherina) enthält so viele Neurogifte, dass man vom Verzehr sterben kann. Auch das bekannte Psilocybin greift die Nerven an; es wirkt halluzinogen und kommt in Rauschpilzen wie den Kahlköpfen und Düngerlingen vor. Bei starken Beschwerden muss man sofort einen Arzt oder den Giftnotruf konsultieren und Reste der verspeisten Pilze mitnehmen. Von Hausmitteln wie Kohletabletten oder Salzwasser rät Gerhardt dringend ab.

Am häufigsten sind jedoch Vergiftungen, die lediglich Verdauungsbeschwerden zur Folge haben. Die dafür verantwortlichen Inhaltsstoffe sind laut Gerhardt noch nicht vollends erforscht. Einige kennt man jedoch schon, etwa das Crustulinol im Flockigstieligen Rettich-Fälbling (Hebeloma sinapizans). Für manche Personen können auch Speisepilze schlecht verträglich sein. "Dafür sind vermutlich Gene verantwortlich", sagt Pilzexperte Berndt. Das auch vom Außenskelett von Insekten bekannte Chitin in den Pilzzellwänden ist beispielsweise ein Grund, warum Pilze allgemein als schwer verdaulich gelten. Obendrein können allergische Reaktionen wie die Shiitake-Dermatitis auftreten. Der Standort der Pilze kann ebenfalls Probleme mit sich bringen. "Wiesenchampignons auf einer Golfwiese können zum Beispiel mit Herbiziden belastet sein und zu Unverträglichkeitsreaktionen führen", sagt Berndt.

Durch die neueste Forschung werden auch immer wieder als essbar gehandelte Pilze als giftig eingestuft. So erging es etwa dem Grünling (Tricholoma equestre), der lange als Delikatesse galt. In den 2000er Jahren kam es jedoch zu schweren Vergiftungsfällen nach mehrmaligen Grünlingsmahlzeiten. Die Betroffenen erlitten eine so genannte Rhabdomyolyse – dabei lösen sich nach ersten allgemeinen Beschwerden wie Schwindel oder Rückenschmerzen die Muskelstränge auf, was zu Nierenversagen und Tod führen kann. 2010 identifizierte der Mykologe Kimiko Hashimoto die Giftsubstanz: Cycloprop-2-en-carbonsäure. Das Bundesinstitut für Risikoforschung rät seither vom Sammeln und Verspeisen des Grünlings ab.

Grünling | Er galt als guter Speisepilz, hat sich aber später als giftig herausgestellt: Der Grünling kann eine tödliche Muskelschwäche auslösen.

Petteri Nieminen, Biologe an der University of Eastern Finland, fütterte angeregt von diesen Funden Mäuse mit dem Grünling, aber auch mit anderen Speisepilzen wie Steinpilz, Pfifferling, Champignon, Shiitake und Austernpilz. Bei den Versuchstieren waren zwar bei jedem Pilz bestimmte Leitsubstanzen erhöht, die auf einen gestörten Leber- und Muskelstoffwechsel hindeuten. Beide Organe waren histologisch jedoch unauffällig. "Es braucht wohl eine individuelle Sensitivität und eine größere Menge, damit auch von essbaren Pilzen Gefahren ausgehen", so Nieminen.

Etwa 40 Prozent der Pilzvergiftungen sind sogar "unecht": Es wurden keine ungenießbaren Arten verspeist, vielmehr wurden eigentlich essbare Pilze in Plastiktüten gesammelt, wo sie schnell verderben, oder in zu altem Zustand verzehrt. "Dann zersetzen sich die Proteine, und Bakterien bilden so genannte Mykotoxine", sagt Berndt. Das hat Magen-Darm-Probleme zur Folge, manchmal sogar eine Hepatitis.

Pilzbestimmung: Stimmt es, dass Röhrenpilze per se ungiftig und Lamellenpilze giftig sind? Helfen Pilz-Apps?

Es ist richtig, dass es bei den mitteleuropäischen Röhrlingen ungenießbare, aber keine lebensbedrohlich giftigen Arten gibt. Die unbekömmlichen sind so bitter, dass niemand mehr als einen Happen davon essen kann. Zudem sind diese wie etwa der Gallenröhrling (Tylopilus felleus) relativ einfach erkennbar. Für Anfänger sind die Röhrlinge also eingeschränkt empfehlenswert. Allerdings verwehrt man sich damit den Genuss von wohlschmeckenden Lamellenpilzen und ungefährlichen wie Pfifferlingen, Großem Riesenschirmling oder der Krausen Glucke.

Von Pilz-Apps raten Experten ab. Die DGfM hat etwa im Jahr 2015 sieben auf dem Markt befindliche Pilz-Apps getestet. Das Fazit: "Keines der getesteten Produkte kann einen unerfahrenen Anwender sicher durch die verwirrende Vielfalt an Pilzarten und Fruchtkörperformen geleiten, die wir im Wald finden." Beispielsweise beinhaltet keine der Apps bei der Suche alle 25 Giftpilzarten, die die DGfM als Maßstab anlegt. Immerhin warnen alle Apps vor dem Grünling. Häufige und dramatische Verwechslungen sind dagegen bei allen Apps erläutert, so dass die DGfM-Experten meinen: "Lieber mit irgendeiner App unterwegs als ganz ohne Hilfsmittel."

Welche Pilze sind noch radioaktiv belastet – und wo?

Das Bundesamt für Strahlenschutz rät, in den bayerischen Gebieten südlich der Donau nicht "in die Schwammerln zu gehen", da hier auf Grund des Reaktorunglücks von Tschernobyl im Jahr 1986 noch hohe Strahlenbelastungen mit Zäsium-137 zu finden sind. In der letzten Analyse aus dem Jahr 2014 waren manche Speisepilze mit 1000 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) Pilze stark verstrahlt. Besonders hohe Ausschläge am Geigerzähler verursachten: Mohrenkopfmilchling, Semmelstoppelpilz, Trompetenpfifferling und der Wohlriechende Schneckling. In den Handel dürfen nur Lebensmittel mit einem maximalen Gehalt von 600 Bq/kg gelangen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät darum, nicht mehr als 250 Gramm Wildpilze pro Woche zu verzehren; zumal sich auch Schwermetalle wie Quecksilber und Kadmium in den Waldgewächsen anreichern können. Vor allem Pilze, die an Straßenrändern wachsen, sind häufig stark belastet.

Krause Glucke | Die Krause Glucke gehört zwar zu den Lamellenpilzen, welche praktisch alle Giftpilze Mitteleuropas umfassen. Dennoch ist sie ein hervorragender und bekömmlicher Speisepilz.

Siegmar Berndt hält den DGE-Grenzwert für Wildpilze, die aus strahlenbelasteten Gebieten stammen, für zu hoch. Denn: "Auch geringste Strahlendosen haben im Körper schädigende Wirkung." Einig sind sich die Experten darin, dass Schwangere und Kleinkinder vorsichtshalber gar keine belasteten Wildpilze essen sollten. Schweizer Wissenschaftler geben jedoch zumindest für Trüffelfans Entwarnung. Sie untersuchten die Fruchtkörper von Tuber aestivum aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien und Ungarn auf Zäsium-137. Alle Gourmetknollen lagen unter 2 Bq/kg.

Zubereitung: Darf man Pilze roh essen – oder wieder aufwärmen?

Kulturpilze wie Champignons, Shiitake oder Austernseitlinge, aber auch die Wildpilze Kaiserling und Steinpilz gelten in geringen Mengen als roh essbar, solange sie frisch sind. Alle anderen Wildpilze soll man mindestens 15 Minuten durchgaren, manche wie der Hallimasch (Gattung Armillaria) werden sogar nur durch Erhitzen überhaupt essbar. Zudem können Wildpilze Eier des Fuchsbandwurms tragen; diese werden erst durch das Kochen abgetötet.

Pilze jeder Art kann man heute getrost noch einmal aufwärmen. Die Warnung stammt aus Großmutters Zeiten und war damals richtig – heute, in Zeiten von Kühlschränken, ist sie obsolet. Der Hintergrund: Pilze sind wegen ihres hohen Wasser- und Eiweißgehalts sehr leicht verderblich. Mikroorganismen können sich darauf rasch vermehren und Mykotoxine bilden, wenn die Reste nicht ausreichend kühl gelagert werden. Wenn diese dann ein zweites Mal aufgewärmt werden, können sie Magen-Darm-Probleme auslösen. Wer also etwas vom Pilzgericht übrig hat, sollte dies flugs abdecken und in den Kühlschrank stellen. "Länger als 24 Stunden sollte es aber dort nicht lagern", so Berndt.

Hinweis: Verlassen Sie sich bitte nicht allein auf Pilzbestimmungsliteratur, und lassen Sie im Zweifel jeden Fund von einem Pilzsachverständigen begutachten!

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