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Warkus' Welt: Das komplizierte Problem des Bewusstseins

Das menschliche Bewusstsein stellt Forscher vor zahlreiche Rätsel. Noch schwieriger wird es allerdings, wenn man über Artgrenzen hinaus über Bewusstsein nachdenkt: Wie wäre es, eine Fledermaus oder ein Oktopus zu sein? Eine Kolumne.
Schwimmender Oktopus im Meer vor einem Riff
Bei Oktopoden verarbeitet das Nervensystem in den Armen Informationen, die von den Saugnäpfen aufgenommen werden, und kontrolliert Bewegungen, ohne dass dabei zum Teil Informationen mit dem Gehirn ausgetauscht werden. Was bedeutet das für das Bewusstsein?
Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Es lässt sich an vielem, wenn nicht gar an allem zweifeln. Dieser radikale Zweifel hat eine große philosophische Tradition: Sind meine Wahrnehmungen nicht nur unzuverlässige Informationen? Sind Naturgesetze nicht bloß statistische Korrelationen, die nie Sicherheit liefern können? Und Moralvorstellungen, die man mir als rational begründet verkaufen will, in Wahrheit schöngeredete Emotionen oder Machtinteressen?

Eines, worauf sich immerhin viele Philosophen einigen können, ist, dass es Bewusstsein gibt, und zwar wenigstens eins, nämlich das jeweils eigene. Man kann in René Descartes’ Worten sagen: »Ich denke, also bin ich.« Doch selbst, wenn man das Denken nicht als zentrale Bewusstseinsleistung ansieht, kann man sich immer noch darauf zurückziehen, dass man Empfindungen hat, die Welt um sich herum und sich selbst also erfährt. Ich befinde mich irgendwo, ich befinde mich irgendwie. Mein Bewusstsein markiert ein Ich, ein Jetzt, ein Hier.

Aber ist dieses Ich-jetzt-hier-Sein, dieses Empfinden, Befinden, Denken stets völlig neutral oder hat es eine bestimmte Färbung oder Geschmacksrichtung? Diese könnte etwa damit zusammenhängen, dass wir Menschen sind und keine Wale, keine Roboter oder – um ein berühmtes Beispiel herauszuziehen – keine Fledermäuse. In seinem zum Klassiker gewordenen Aufsatz »What Is It Like to Be a Bat?« aus dem Jahr 1974 argumentiert der amerikanische Philosoph Thomas Nagel, dass wir niemals wirklich wissen können, was Bewusstsein ist, ohne zu beachten, wie es sich aus der Innenperspektive anfühlt. Wir können so viele naturwissenschaftliche Fakten über das Gehirn, das Nervensystem und den Sinnesapparat einer Fledermaus sammeln, wie wir wollen. Wir können sogar versuchen, uns als Menschen so gut wie möglich vorzustellen, wie es wäre, Flughäute zu haben und in der Dunkelheit mit Hilfe von Echoortung Insekten zu jagen. Wie es aber wirklich ist, eine Fledermaus zu sein, werden wir aus der Außensicht nicht in Erfahrung bringen.

Diese Überlegung lässt sich weiterspinnen. Die meisten Menschen würden vermutlich davon ausgehen, dass das Bewusstsein einer Fledermaus ähnlich dem menschlichen einen einzelnen »Ich-jetzt-hier«-Punkt hat. Was wäre aber, wenn es Wesen gäbe, auf die das gar nicht zutrifft? In seinem aktuellen Roman »Die Stimme der Kraken« beschäftigt sich der Sciencefiction-Autor Ray Nayler mit einer hypothetischen Zivilisation intelligenter Oktopoden, die eine Sprache, eine Kultur und ein eigens Sozialgefüge entwickelt haben. In einer Hinsicht ähneln sie aber immer noch den Kraken, die wir kennen: Große Teile ihrer Wahrnehmung und ihrer Handlungssteuerung sind im Nervensystem ihrer acht teilweise autonom agierenden Arme lokalisiert.

Im futuristischen Setting des Buchs kann sich eine der Protagonistinnen halbwegs vorstellen, wie sich das anfühlen könnte, weil sie Erfahrungen mit KI-Systemen hat, bei denen sie über eine neurale Schnittstelle einen Schwarm teilautonomer Drohnen steuern lässt. Wir verfügen über eine solche Technik bislang nicht. Die Problemstellung wird am Beispiel des Romans recht klar: Es könnte Formen des Bewusstseins geben, die nicht nur hinsichtlich der Art und Weise, wie sie sich zur Welt verhalten, stark vom menschlichen Geist abweichen, sondern auch hinsichtlich ihrer inneren Struktur. (Nayler bezieht sich in seinem Roman übrigens ausdrücklich auf Nagel.)

Das alles hält weder Naturwissenschaftler noch Philosophinnen davon ab, sich weiter intensiv mit menschlichen und nichtmenschlichen Bewusstseinsvorgängen auseinanderzusetzen. Möglicherweise müssen wir den Aspekt des Selbsterlebens dabei ganz ausklammern, weil es hoffnungslos ist, sich in ein fremdartiges Bewusstsein hineinversetzen zu wollen. Vielleicht hilft uns auch Nagels Vorschlag weiter, erst einmal klein anzufangen und Begriffe zu entwickeln, mit denen man etwa von Geburt an blinden Menschen erklären könnte, wie sich das Sehen anfühlt. Das ist schwierig genug: Obwohl bereits 50 Jahre seit dem Erscheinen von Nagels Aufsatz vergangen sind, hat anscheinend noch niemand einen geeigneten Ansatz dafür gefunden.

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