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Springers Einwürfe: Maschinen, die voneinander lernen

Die verblüffenden Leistungen künstlicher Intelligenz (KI) setzen derzeit aufwändiges Training durch Menschen voraus. Nun werden Systeme kooperierender KI-Einheiten entworfen, die sich selbstständig weiterbilden.
Illustration eines künstlichen Hirns auf einem Computer. Digitaler Verstand. Visualisierung des Konzepts der künstlichen Intelligenz des Gehirns
Ähnlich wie unsere Sinnesorgane das Gehirn mit bereits gefilterten Signalen versorgen, könnte ein dauerhaft lernfähiges KI-Netz mit vorsortierten Informationen beliefert werden.

Wir Menschen sind selbstverständlich gewohnt, von frühester Kindheit an miteinander Informationen zu teilen und ein Leben lang voneinander zu lernen. Eine Menschwerdung ohne wechselseitigen Erfahrungsaustausch erscheint uns undenkbar – andernfalls entstünden mythische Kreaturen wie die von Tieren aufgezogenen Wolfskinder oder der legendäre Kaspar Hauser.

Moderne KI-Systeme wie das große Sprachmodell ChatGPT sind solch einsam gezüchtete Wesen. Sie können zwar, nachdem sie monatelang mit Daten gefüttert worden sind, auf Wunsch plausible Texte und Bilder generieren. Doch nach Ende der Trainingsphase lernen sie nichts mehr hinzu. Darum beginnen sie, je aktueller die an sie gestellten Anforderungen werden, immer öfter zu fabulieren und zu halluzinieren – und ein verbessertes Nachfolgemodell bleibt wiederum auf die aufwändige Schulung durch menschliche Pauker angewiesen.

Menschliche Fähigkeiten wachsen durch lebenslanges soziales Lernen. Könnten sich nach diesem Vorbild auch künstliche Systeme in wechselwirkenden Gruppen vervollkommnen? Nach Auskunft einer Gruppe um den Computerwissenschaftler Andrea Soltoggio von der britischen Loughborough University werden die Voraussetzungen dafür bereits entwickelt.

Gesucht sind Lernalgorithmen, die nicht mehr zwischen einer fluiden Trainingsphase und einer quasi festgefrorenen Anwendungsphase unterscheiden, sondern die sich fortwährend verbessern und sich problemlos überraschende Ereignisse und Daten einverleiben können. Damit der Rechenaufwand für derart flexible und distribuierte Systeme nicht überhandnimmt, kommt so genanntes Edge Computing zum Einsatz: Neue Daten werden nicht mehr sofort an einem zentralen Ort gesammelt und verarbeitet, sondern zunächst an den Rändern (englisch: edge) des Netzes gespeichert und dezentral vorsortiert. Das entspricht etwa der Erstverarbeitung von Umweltdaten in den Sinnesorganen von Tieren und Menschen, wodurch das zentrale Nervensystem teilweise von der Aufgabe entlastet wird, die Umwelt zu analysieren und sich zu ihr zu verhalten.

Ein derart dauerhaft lernfähiges Netz besteht somit aus zahlreichen Elementen oder Agenten, die jeweils Wissen sammeln und miteinander teilen. Erste Prototypen unter der Bezeichnung ShELL (für shared experience lifelong learning) werden bereits getestet. Als Anwendungen nennen die Forscher militärische Erkundung des Gefechtsfelds, unbemannte und bemannte Erforschung des Weltraums, personalisierte Medizin sowie die dezentrale Abwehr von Cyberattacken.

Finanziert wurde die Arbeit von der Behörde DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency), die für die US-Streitkräfte forscht. Ähnlich wie beim frühen Arpanet, aus dem später das Internet hervorging, steht das Interesse im Vordergrund, durch eine dezentrale Struktur sowohl Rechenkapazität und Energie zu sparen als auch die Anfälligkeit für zufällige oder absichtliche Störungen zu minimieren.

Die Studie verschweigt nicht den Pferdefuß: Ein autonom handelndes Netz von künstlich intelligenten Agenten birgt das Risiko, sich allein schon durch seine undurchsichtige Binnenstruktur gegen menschliche Intervention und Kontrolle zu verselbständigen. Die kollektive KI gemahne, so die Autoren, an die gespenstischen Borg aus »Raumschiff Enterprise«, die den Menschen bekanntlich mit den Phrasen »Sie werden assimiliert« und »Widerstand ist zwecklos« begegnen.

Das Team um Soltoggio versucht zu beruhigen. Da die einzelnen Agenten im ShELL-Modell autonom agieren, sei sogar mehr Verlass auf ihr quasi demokratisches Verhalten als bei den üblichen zentralisierten KI-Systemen. Eine KI, die das Teilen von Informationen kultiviert hat, wäre womöglich sogar in der Lage, uns Menschen verständlich mitzuteilen, was sie da eigentlich genau tut.

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  • Quellen

Soltoggio, A. et al.:A collective AI via lifelong learning and sharing at the edge. Nature Machine Intelligence 6, 2024

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