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Lexikon der Neurowissenschaft: Stickoxid

Stickoxid s, Stickstoffmonoxid, Stickstoff(II)oxid, NO, E nitric oxide, ein gasförmiges Radikal (NO·), das auf enzymatischem Wege (Stickoxid-Synthase) im gesamten Organismenreich produziert und vielfältig als Biosignal wie auch als "Killerstoff" eingesetzt wird. Die Entdeckung, daß der dem Endothel entstammende, gefäßdilatierende Faktor ("endothelium derived relaxing factor", EDRF) mit NO identisch ist und über eine Aktivierung der Guanylatcyclase (Erhöhung der cGMP-Konzentration) wirksam wird, löste eine stürmische Entwicklung der NO-Forschung aus (Science-Umfrage 1992: "molecule of the year"; 1998 Nobelpreis an F. Murard, R.F. Furchgott und L.J. Ignarro für deren Pionierarbeiten). Dabei wurde zunehmend deutlich, daß es kaum einen physiologischen oder pathophysiologischen Prozeß gibt, der nicht wenigstens indirekt durch NO beeinflußt wird ( siehe Abb. ). – Direkt metabolisch wirksam ist NO neben seiner Aktivierungsfähigkeit für die Guanylatcyclase durch Hemmung verschiedener Enzyme: u.a. Glyceraldehyd-3-phosphatdehydrogenase, cis-Aconitase, Ribonucleotid-Reductase und Elektronentransportproteine der Atmungskette. Einmal gebildet, diffundiert NO frei durch das Gewebe, durch Zellmembranen offenbar nicht behindert. Sein Aktionsradius wird allerdings durch Reaktion mit Fänger-Molekülen (unter anderem Hämgruppen, so vor allem durch das Hämoglobin des Blutes, aber auch SH-Gruppen und Superoxid) begrenzt und ist für das Gewebe des Zentralnervensystems auf wenige Zelldurchmesser zu veranschlagen. Über Intermediärprodukte wird NO schließlich zu Nitrit und Nitrat oxidiert. Ein vor allem pathophysiologisch wichtiges NO-Derivat ist das Peroxynitrit (ONOO-), das sich in Form einer Adduktionsreaktion spontan und mit extrem hoher Geschwindigkeit aus NO und dem Superoxid-Radikal (O2·-) bildet (reaktive Sauerstoffspezies). Peroxynitrit hat gegenüber NO ein weit höheres oxidatives und zugleich auch toxisches Potential. – Im Nervengewebe sind drei NO-Quellen von besonderer Bedeutung: Nervenzellen, Endothelzellen und Mikrogliazellen. Die Fähigkeit, NO zu synthetisieren, ist für Neuronen der Wirbeltiere je nach Ausstattung mit der neuronalen Isoform der Stickoxid-Synthase sehr unterschiedlich ausgeprägt. Von Neuronen des peripheren Nervensystems wird NO in einer transmitterähnlichen Funktion freigesetzt, so von Nervenendigungen der NANC-Neuronen in den Wänden von Gefäßen und Bronchien (Dilatation durch Erschlaffung der glatten Muskulatur) oder in peripheren Organen zur Steuerung der Sekretproduktion. Das gastroenterale Nervensystem verfügt über auffallend viele NO-bildende Neuronen, die die Darmmotilität und die Sekretion steuern. Im Zentralnervensystem gibt es Regionen mit hoher Dichte an NO-positiven Neuronen, so in der Kleinhirnrinde und in einigen Kerngebieten des Hirnstamms. NO übernimmt hier vermutlich ebenfalls eine Neurotransmitter-Funktion. Im übrigen sind die NO-bildenden Neuronen über alle Hirnregionen hin schütter verteilt (1-2% der Neuronen). Ihre Fortsätze bilden jedoch ein extrem dichtes Fasernetz, das das gesamte Gehirn und Rückenmark durchzieht und vermutlich für die aktivitätsabhängige Steuerung der regionalen Durchblutung zuständig ist. Inwieweit NO als "retrograder Transmitter" an Langzeitpotenzierung und Langzeitdepression beteiligt ist, bedarf der weiteren Klärung. Ein neuromodulatorischer Effekt durch Beeinflussung der Transmitterfreisetzung (Glutamat, GABA, Dopamin) hingegen ist sehr wahrscheinlich. Auch wird dem NO eine Rolle bei der Bildung von Synapsen und der Angiogenese zugeschrieben. Neueren Erkenntnissen zufolge kann NO auch Apoptose verhindern, indem es Caspasen bindet und inaktiviert. – Gegenstand intensiver Forschung ist die Rolle von NO und seinen Folgeprodukten, vor allem des Peroxynitrits, bei neuropathologischen Prozessen, so bei neurodegenerativen Vorgängen (akut durch Ischämie, Hypoxie und Hypoglykämie, z.B. als Folge eines Schlaganfalls, wie auch chronisch bei primär neurodegenerativen Erkrankungen, u.a. Alzheimer-Krankheit und Parkinson-Krankheit, Chorea Huntington, amyotrophe Lateralsklerose), ferner bei Entzündungen, chronischen Schmerz-Zuständen, Migräne, Sucht-Entwicklung und Tumor-Bildung. Wichtigste Gegenspieler von NO und Peroxynitrit sind antioxidative/antinitrosative Schutzsysteme enzymatischer (z.B. Superoxid-Dismutase) und nicht-enzymatischer Art (Glutathion und andere Sulfhydrylverbindungen, Vitamin C und Vitamin E, ungesättigte Fettsäuren). – Für eine Reihe wirbelloser Tiere, vor allem Arthropoden, (Limulus, Drosophila melanogaster, Heuschrecken, Raubwanzen) ist ebenfalls eine neuronale NO-Produktion erwiesen. Neben cGMP-abhängigen werden auch cGMP-unabhängige Mechanismen bei der NO-vermittelten Neurotransmission diskutiert. – Mäuse mit einem Mangel an NO weisen auch ein verändertes Verhalten auf; vor allem das gezeigte Maß an Aggressivität zu verschiedenen Zeiten (z.B. während und nach einer Schwangerschaft) scheint betroffen zu sein. freie Radikale.

G.W.

Bei Tintenfischen scheinen ebenso wie bei Wirbeltieren NO-Signaltransduktionsmechanismen an der Kreislaufregulation beteiligt zu sein, wobei ein Acetylcholin-induzierter, endothelabhängiger Mechanismus, wie er für Wirbeltiere beschrieben wird, hier wahrscheinlich nicht vorliegt. Als mögliches Rezeptormolekül für NO wird bei Mollusken eine lösliche Guanylatcyclase (E soluble guanylate cyclase, sGC) diskutiert. Es ist davon auszugehen, das NO auch in peripheren Nerven synthetisiert wird.

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