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News: Anrechnungsverfahren gefährdet Fortschritte beim Klimaschutz

Der "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" (WBGU) übergibt heute ein Sondergutachten an den Staatssekretär im Bundesumweltministerium Erhard Jauck. In seinem Bericht "Die Anrechnung biologischer Quellen und Senken im Kyoto-Protokoll: Fortschritt oder Rückschlag für den globalen Umweltschutz?" kommt das Expertengremium zu dem Ergebnis, daß das Kyoto-Protokoll trotz gravierender Mängel bei der Anrechnung von Quellen und Senken ein Meilenstein für den globalen Klimaschutz ist.
Die in Kyoto vereinbarten Anrechnungsverfahren bewertet der "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" als kontraproduktiv für das langfristige Ziel der Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen. Die Art und Weise wie Aufforstung, Wiederaufforstung und Entwaldung auf die Erfüllung der Minderungspflicht für den Kohlendioxidausstoß angerechnet werden können, ist nicht vereinbar mit dem Ziel des Klima-, Boden- und Biosphärenschutzes. Insbesondere fördern unklare Definitionen und Probleme bei der Feststellung von Emissionen einen Mißbrauch der Vereinbarungen, betonen die Wissenschaftler in ihrem Bericht "Die Anrechnung biologischer Quellen und Senken im Kyoto-Protokoll: Fortschritt oder Rückschlag für den globalen Umweltschutz?" . Nur wenn für jedes Land eine vollständige Kohlenstoffbilanz erstellt wird und die Anrechnungszeiträume lückenlos aufeinander folgen, sind Fortschritte für den Klimaschutz zu erwarten.

Mit dem 1997 in Kyoto verabschiedeten Protokoll zur Klimarahmenkonvention ("Kyoto-Protokoll") wurden erstmals mengenmäßig bestimmte und verbindliche Reduktionsverpflichtungen für Treibhausgase vereinbart. Demnach können biologische Quellen und Senken für Treibhausgase auf die Reduktionsverpflichtung eines Landes angerechnet werden, soweit sie auf Aufforstung, Wiederaufforstung und Entwaldung zurückgehen. Senken für Treibhausgase nehmen Kohlendioxid auf, während Quellen für Treibhausgase Kohlendioxid freisetzen.

Reduktionsverpflichtung wird verwässert

Die Senken für das Treibhausgas Kohlendioxid werden bei dem jetzigen Anrechnungsverfahren nur bei der Feststellung der erreichten Reduktionen berücksichtigt, also innerhalb des Verpflichtungszeitraumes von fünf Jahren (2008-2012). Bei der Berechnung der Bezugsgröße im Jahr 1990 bleiben die Senken unberücksichtigt. Die erlaubten Gesamtemissionen eines Landes sind hierdurch höher. Da die Reduktionsverpflichtungen in Prozent der Bezugsgröße vereinbart wurden, erhöht sich mit der Bezugsgröße automatisch die erlaubte Emission. Dadurch wird die Reduktionsverpflichtung verwässert, da die vereinbarten prozentualen Emissionsminderungen zwar gleich, die absoluten Minderungen aber niedriger ausfallen.

Treibhausgas-Reduktion durch Senken mit Unsicherheiten verbunden

Die Wissenschaftler betonen überdies, daß die durch Senken erreichbare Reduktion des Treibhausgasausstoßes mit vielen Unsicherheiten verbunden ist. Senken können schon bei geringfügigen Klimaänderungen ihre Fähigkeit zur Aufnahme von Kohlendioxid verlieren und sich zu Erzeugern dieses Treibhausgases, also Quellen, wandeln. Wie das WBGU-Sondergutachten zeigt, können Landökosysteme auch nur begrenzt Kohlendioxid aufnehmen und sind daher nicht beliebig als Senke nutzbar. Langfristig kann der energiebedingte Ausstoß von Treibhausgasen hierdurch nicht ausgeglichen werden. Wenn es dennoch bei dem bisherigen Berechnungsverfahren bleibt, so sollten möglichst wenige weitere Senken zur Anrechnung zugelassen werden oder es sollte eine Gesamtkohlenstoffbilanz erstellt werden, wie es einige Länder bereits fordern.

Anreiz zur Rodung von Urwäldern verhindern

Da die erreichten Emissionsminderungen erst zwischen 2008 und 2012 gemessen werden, könnte es auch zu einem Mißbrauch der Vereinbarungen von Kyoto kommen. Denkbar wäre beispielsweise, daß ein Land seine Primärwälder rodet, wiederaufforstet und dann aufgrund des hohen Wachstums von Jungbeständen ab 2008 wieder eine Senke besteht. Ein Land könnte versuchen, sich eine derartige Senke auf seine Reduktionsverpflichtung anrechnen zu lassen und würde dann für seine Forstpolitik doppelt belohnt: durch die wirtschaftliche Nutzung des Primärwaldes und die vermeintliche Möglichkeit, sich die Wiederaufforstung als Senke anrechnen zu lassen. Dies würde den Zielen des Umweltschutzes krass widersprechen. Deshalb empfehlen die Wissenschaftler, eine Anrechnung von Wiederaufforstung nur dann zuzulassen, wenn dabei Flächen bepflanzt werden, die 1990 noch keinen Wald trugen. Die Verpflichtungsperioden sollten unbedingt lückenlos aufeinander folgen.

Ähnlicher Mißbrauch sollte bei der Anrechnung von Aufforstungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern auf die Reduktionsverpflichtungen der Industrieländer ausgeschlossen werden. Solche Aufforstungsmaßnahmen sollten nur anrechenbar sein, soweit sie zu einer Verbesserung der Geamtkohlenstoffbilanz führen. Die Möglicheit der Anrechnung von Aufforstungsmaßnahmen darf keinesfalls einen Anreiz zum Abholzen bilden. Daher hält es der Beirat für sinnvoll, mit der Anrechnung von Aufforstungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern zu warten, bis diese Länder selbst Reduktionsverpflichtungen unterliegen.

Methoden der Anrechnung verbessern

Eine Anrechnung von Senken sollte erst dann möglich sein, wenn die Umsetzung der Verpflichtungen durch die Industriestaaten nachvollziehbar und vergleichbar geworden ist. Hier begrüßt der Beirat die Entscheidung der Vorkonferenz für den nächsten Klimagipfel in Buenos Aires, den Zwischenstaatlichen Ausschuß über Klimaänderungen (IPCC) mit einem Sonderbericht zu beauftragen. Dieser Sonderbericht sollte die methodischen Probleme bei der Anrechnung von Senkenschutzmaßnahmen untersuchen und dabei auch die möglichen Auswirkungen auf Biodiversität und Böden sowie auf die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen berücksichtigen.

Bestehende Spielräume für den Klimaschutz nutzen

Der Beirat empfiehlt die Spielräume des Kyoto-Protokolls dafür zu nutzen, Klimaschutz, Schutz von Ökosystemen und Bodenschutz zu integrieren und vorhandene Chancen für den Schutz von Senken, das heißt vor allem für Wälder und Feuchtgebiete, abzusichern und auszubauen. Insgesamt ist auf eine Auslegung und Anwendung des Kyoto-Protokolls nach Treu und Glauben hinzuwirken, die den Vertragszweck Klimaschutz optimiert. Maßnahmen, die langfristig dem Klimaschutz widersprechen, dürfen nach Meinung des WBGU nicht auf die Reduktionsverpflichtungen angerechnet werden, selbst wenn sie formal unter den Wortlaut des Protokolls fallen sollten.

Globale Umwelt- und Entwicklungspolitik besser koordinieren

Bislang gibt es keine hinreichende Abstimmung zwischen den verschiedenen Zielen globaler Umwelt- und Entwicklungspolitik. Es ist beispielsweise nicht geprüft worden, ob das Kyoto-Protokoll Anreize bietet, die den Zielen der Biodiversitätskonvention und der Desertifikationskonvention zuwiderlaufen könnten. Auch die anderen bedeutsamen Verhandlungsprozesse wie zum Beispiel das Zwischenstaatliche Forum über die Wälder sind nicht berücksichtigt worden. Hier wird nach Ansicht der Wissenschaftler ein grundsätzlicher Abstimmungsmangel der globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik deutlich.

Das Kyoto-Protokoll: verbindliche Reduktionsverpflichtungen für Treibhausgase

Im Kyoto-Protokoll der Klimarahmenkonvention wurden verbindliche Reduktionsverpflichtungen für Treibhausgase festgeschrieben. So wurde die Europäische Union (EU) dazu verpflichtet, bis 2008-2012 ihre Emissionen um 8 Prozent zu vermindern, bezogen auf das Jahr 1990. Die Industriestaaten ("Anlage-I-Staaten") insgesamt müssen ihre Emission, bezogen auf 1990, um mindestens 5% reduzieren.

Im Kyoto-Protokoll wurde auch vereinbart, bei der Anrechnung der Reduktionsverpflichtungen Ökosysteme als Quellen beziehungsweise Senken von Treibhausgasen mit zu berücksichtigen. Reduziert werden müssen dabei Emissionen aus Energie (einschließlich Verkehr), Industrie, Landwirtschaft und Abfallbehandlung. Die Anrechnung von Quellen und Senken durch Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft ist zunächst auf Aufforstungen, Wiederaufforstungen und Entwaldungen beschränkt, die ab 1990 durchgeführt wurden. Die Verrechnung von Quellen und Senken mit Reduktionsverpflichtungen für Treibhausgase war während der Verhandlungen für das Kyoto-Protokoll umstritten.

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