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News: Krach mit Folgen

Wer lautem Lärm ausgesetzt ist, kann in seinem Gehör bleibende Schäden davontragen. Im Gegensatz zur altersbedingten Schwerhörigkeit kann kein Hörgerät den so verursachten Schaden korrigieren. Doch wie genau vollzieht sich die Hörschädigung?
Anders Fridberger und seine Kollegen vom Karolinska Institutet sowie vom Karolinska Hospital in Stockholm (Schweden) erstellten jetzt erstmalig eine dynamische Beschreibung jener Veränderungen im Ohr, die nach dem Einwirken von lautem Lärm ablaufen. Sie schlagen ferner eine Methode vor, wie das Gehör vor permanenter Schädigung geschützt werden kann. Die Erkenntnisse der schwedischen Wissenschaftler erschienen in der Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Sciences" vom 9. Juni 1998)

Die meisten der bisherigen Studien über den lärmbedingten Verlust der Hörfähigkeit hatten sich auf die Schädigung bestimmter sensorischer Strukturen des Innenohrs konzentriert. Anscheinend können laute Geräusche die winzigen Stereocilien auf den Spitzen der sensorischen Haarzellen schädigen. Dabei handelt es sich um äußerst kleine Bündel fingerähnlicher Vorsprünge, die den Schall aufnehmen und ihn in ein elektrisches Nervensignal umwandeln.

Ein akustisches Trauma schädigt jedoch nicht nur die Stereocilien. Es kann auch die sensorischen Haarzellen selbst angreifen und dadurch eine Veränderung des Hörempfindens auslösen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Diese Schädigung ist eben deshalb noch gefährlicher, denn im Gegensatz zu den Stereocilien bleiben die Zellen sowie die Hörfähigkeit dauerhaft geschädigt.

Fridberger und seine Kollegen haben jetzt herausgefunden, was den Defekt an den Haarzellen hervorruft. Ihren Erkenntnissen nach erhöht eine akustische Überreizung – also im Grunde der Lärm – die Menge des sich in den Haarzellen des Ohres befindlichen Calciums und verringert außerdem die Größe des entstehenden Nervenimpulses. Der Fluß der Calciumionen ist für die Weitergabe von Botschaften in der Zelle bedeutend. Verlassen die Ionen aber die Zelle nicht schnell wieder, können sie irreparable Schäden verursachen. Zusätzlich zu den Calciumveränderungen kommt es zu einer dynamischen Kontraktion des gesamten Hörorgans.

Die Forscher maßen diese Veränderungen im Innenohr des Meerschweinchens. Dieses hat – wie andere Säugetiere auch – eine dem menschlichen Innenohr sehr ähnliche Struktur. Die Wissenschaftler bestimmten die Veränderungen der Empfindsamkeit, der Form und der chemischen Zusammensetzung, nachdem das Ohr Lärmschüben eines durchschnittlichen Schalldruckpegels von 130 Dezibel ausgesetzt worden war. Zum Vergleich: Dieser Wert steht in etwa zwischen der Lautstärke einer Kettensäge und eines Rockkonzerts.

Die Gesamtheit aller Elemente, die bei der Umwandlung eines Geräusches in ein Nervensignal im Gehirn eine Rolle spielen, wird als Cortisches Organ bezeichnet. Das Organ besteht aus drei Hauptstrukturen: den Haarzellen, den Stützzellen und den Enden der Gehörnervenfasern. Die Kontraktion der gesamten Struktur war in den meisten Fällen innerhalb von etwa einer halben Stunde reversibel.

Bei den Haarzellen gibt es zwei unterschiedliche Formen. Wir unterscheiden zunächst eine Reihe innerer Haarzellen, die mit Abstand die meisten Schallinformationen zum Gehirn leiten. Doch dann gibt es noch drei Reihen äußerer Haarzellen. Obwohl diese zahlenmäßig überwiegen, spielen sie beim Transport der Schallinformationen nur eine kleine Rolle. Anscheinen "justieren" sie das Ohr, ändern also dessen Empfindsamkeit dahingehend, daß es innerhalb der dynamischen Bandbreite, die es Tag für Tag erlebt, am effektivsten arbeitet.

Es sind die äußeren Haarzellen, in denen sich anscheinend Calcium ansammelt. Während der von den Wissenschaftlern durchgeführten Untersuchungen war permanent ein solcher hoher Calciumpegel vorhanden. Er hat auch langfristige Auswirkungen: Ein anhaltend hoher Calciumspiegel wirkt auf Zellen toxisch und kann Veränderungen der Struktur, ja vielleicht sogar den Tod der Zelle auslösen.

Diese Erkenntnisse könnten eines Tages dazu beitragen, die Hörschädigung zu begrenzen, jedoch nur, wenn die Behandlung bald nach der Lärmeinwirkung einsetzen kann. "Heute sind die Möglichkeiten, die Wiederherstellung der Hörempfindlichkeit nach einer Schädigung durch Lärm zu erhöhen, noch äußerst begrenzt", sagen die Forscher. "Das Blockieren des Zugangs für Calciumionen könnte ein Mittel zur Begrenzung der schädigenden Folgen des Lärms darstellen."

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