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News: Wenig Abwechslung im Regenwald

In den vergangenen drei Jahrzehnten ging die Fläche des tropischen Regenwaldes in alarmierendem Tempo zurück. Farmer, Viehzüchter und die Holzindustrie haben Millionen Hektar abgeholzt, und erst in letzten Jahren wurde der dem Ökosystem zugefügte Schaden sichtbar. Eine neue Studie zeigt nun erstmalig, daß auf Wiesen und Weiden stehengelassene Bäume die Reproduktion in naheliegenden verbliebenen Wäldern dominieren können, indem sie ein einen genetischen Engpaß erzeugen. Da die Systeme des tropischen Regenwaldes wohl viel komplexer sind, als bisher angenommen, könnte es notwendig sein, bei der Bewahrung der Wälder neue Wege einzuschlagen.
"Der Schlüssel liegt in dem Verständnis, wie viel genetischer Austausch zwischen den Waldfragmenten besteht", sagte James Hamrick von der University of Georgia. "Beim Verlust solcher Fragmente verlieren wir auch genetische Vielfalt, denn der Austausch zwischen ihnen trägt dazu bei, diese Vielfalt aufrecht zu erhalten."

Die genetische Vielfalt ist sowohl für pflanzliche wie auch tierische Gemeinschaften von großer Bedeutung. Farmer haben über Jahrhunderte hinweg Feldfrüchte und Nutztiere gezüchtet, um eine gesunde Vielfalt der Eigenschaften von Pflanzen und Tiere zu erhalten. Dank der modernen Technik zur Bestimmung der genauen genetischen Beschaffenheit einzelner Lebewesen verstehen die Wissenschaftler heute viel besser, wie die Gene in den Populationen weitergegeben werden und das genetische Material sich vermischt.

Hamrick und sein Doktorand Preston Aldrich untersuchten Symphonia globulifera, eine Baumgattung, die in einem bisher wenig untersuchten prämontanen Regenwaldgebiet im südlichen Costa Rica vorkommt. Es handelt sich um einen schattenverträglichen, zur Kronendachschicht gehörigen Baum mit hellroten Blüten, die vor allem durch Kolibris bestäubt werden. Fledermäuse verbreiten den Samen, indem sie die Früchte fressen und die Samen dann durch den Guano an ihren Raststätten weitergeben. Wie viele andere tropische Territorien bestand auch das Gebiet, auf welches sich die Studie der Wissenschaftler bezieht, aus fragmentierten Waldteilen und einigen großen Bäumen der entsprechenden Art, die in der Nähe alleine auf offenem Weideland standen (Science vom 3. Juli 1998). Auf den Wiesen gab es weder Sämlinge noch junge Bäume von Symphonia globulifera, was auf die schlechten Umgebungsbedingungen für Keimung und Wachstum hinweist.

Die sich hieraus ergebene Frage lautet: Welche Bäume sind dann die "Eltern" jener Sämlinge, die in den Waldfragmenten wuchsen? Bis vor zehn Jahren wäre es fast unmöglich gewesen, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Inzwischen gibt es Techniken, die den Forscher befähigten, die genaue genetische Zusammensetzung individueller Pflanzen in einem Ökosystem zu bestimmen. Doch auch heute ist das Problem eher entmutigend: In diesem Fall gab es über 800 mögliche Elternpaare.

"Indem wir versuchten, die Eltern festzustellen, mußten wir die gleiche Technik anwenden wie bei der gerichtsmedizinischen Analyse zur Bestimmung der Elternschaft eines Kindes", erklärte Hamrick. "Das konnten wir nur tun, weil es Preston gelang, die Techniken für unsere spezifische genetische Analyse selbst zu entwickeln." Der Durchbruch kam mit der Verwendung von als Mikrosatelliten bezeichneten DNA-Segmenten als spezifische Marker für S. globulifera. Mittels dieser Markergene konnten Aldrich und Hamrick Stammbäume einzelner Sämlinge und Jungbäume in einem Waldfragment von 1 ha auf ihrem 38,5 ha großen Forschungsterritorium aufstellen. Die Wissenschaftler kannten die genetische Zusammensetzung aller ausgewachsenen Bäume im Studiengebiet, insgesamt 42. Die Ergebnisse der genetischen Analyse waren äußerst verblüffend. Von den fast 250 aus dem Waldsegment untersuchten Sämlingen, stammten annähernd 68 Prozent von den auf Wiesen stehenden Exemplaren ab – also nicht von ausgewachsenen Bäumen in den Fragmenten selbst. Mehr noch: Von den von Wiesenbäumen abstammenden Sämlingen waren 77 Prozent das Produkt von nur zwei Bäumen. Die im Waldfragment befindlichen ausgewachsenen Bäume produzierten weniger als 5 Prozent der Sämlinge in ihrer eigenen Umgebung. Die Bedeutung dieser Entwicklung ist darin zu sehen, daß die genetische Vielfalt der Sämlinge im Waldsegment in der Tat verhältnismäßig niedrig ist. "Wenn man die Anzahl der Sämlinge nur oberflächlich betrachtet, könnte man denken, es handele sich um eine gesunde Nachwuchsrate", bemerkte Hamrick. "In Wirklichkeit tritt hier ein ökologisch schädlicher Effekt zutage, denn es existiert ein Inzucht-Potential in den nachfolgenden Generationen."

Die Wissenschaftler haben verschiedene Theorien darüber aufgestellt, warum die Bäume auf den Wiesen solch einen starken Einfluß auf die Verteilung der Gene haben. Zunächst einmal konkurrieren diese Pflanzen kaum miteinander um Sonnenlicht und Nährstoffe, wodurch Blüte und Frucht hervorragende Eigenschaften erhalten. Zweitens kann der Reichtum an Blüten mehr Kolibris zur Bestäubung anlocken. Und schließlich können die Fledermäuse die Früchte leicht aufpicken und sie von den Wiesenbäumen zu den Waldfragmenten transportieren, wo sie sie fressen und so durch den Guano die Samen zurück in den Boden des Waldes transportierten.

Nach Meinung der Wissenschaftler enthält die Studie wichtige Aussagen für den Erhalt und die Wiederherstellung von Wäldern. Sie zeige auch, daß der Einfluß der Abholzung von Waldteilen weitaus zerstörender sei als die einfache Entfernung einzelner Bäume. Zumindest bei dieser Baumgattung führte die Fragmentierung des Waldes zur Möglichkeit eines ensthaften Verlustes der genetischen Vielfalt im Untersuchungsgebiet.

Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, daß Gebiete, die in puncto Wiederbewaldung gesund erscheinen, auf längere Zeit bezogen ganz und gar nicht gesund sein könnten. In der Zukunft könnten Probleme auftreten, die sich aus der genetischen Drift und der Inzucht ergeben. Den amerikanischen Farmern ist das hierdurch entstehende Dilemma bereits bekannt, sind sie doch in den 70er Jahren nur knapp einem Disaster entgangen, das auf Überbepflanzung mit Mais mit zu geringer genetischer Vielfalt zurückzuführen war.

Es wird immer schwieriger, so die Wissenschaftler, allgemeine Aussagen über die Genbewegung in Populationen von Waldbaumgattungen zu treffen. Den Botanikern zufolge, fangen wir jetzt erst an zu verstehen, was mit der Zeit mit der genetischen Vielfalt in natürlichen Populationen geschieht, und auch, warum dies geschieht. "Eines der bedeutenden Dinge, die uns diese Studie demonstriert hat, besteht darin, daß das oberflächliche Bild einer Region noch nicht die ganze Geschichte erzählt", sagte Hamrick. "Jede Situation besitzt einmalige Charakteristika, die es äußerst schwierig machen zu sagen, wie sich Tropenbäume in einer bestimmten Situation verhalten werden. Oder einfach ausgedrückt, unser Studiengebiet sah gesund aus, war es indes überhaupt nicht."

Siehe auch

  • Spektrum der Wissenschaft 9/93, Seite 70
    "Bewirtschaftung des Regenwaldes"

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