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News: Verschiedene HIV-Stämme in Blut und Sperma

In einer neuen Untersuchung fanden Wissenschaftler heraus, daß die HI-Viren im Blut von Männern nicht zwangsläufig mit denen im Sperma der Träger übereinstimmen. Die Entdeckung könnte zu neuen Therapieansätzen führen: Es wird nicht länger genügen, die Viren im Blut infizierter Männer zu bekämpfen - genauso muß sichergestellt werden, daß die Erreger im Sperma auf Medikamente reagieren.

Pietro Vernazza vom Kantonsspital St. Gallen und Joseph J. Eron von der University of North Carolina begannen ihre Arbeit mit einer Versuchsgruppe aus 44 Männern, die sich gerade mit HIV infiziert hatten und die sofort eine AIDS-antiretrovirale Therapie erhalten hatten. Unter diesen Patienten fanden die Forscher elf, die sowohl in Blut als auch im Sperma meßbare Virenkonzentrationen aufwiesen, die für die Studie in Frage kamen. Diese elf Versuchspersonen gaben über einen Zeitraum von drei Jahren in regelmäßigen Abständen Blut- und Spermaproben ab.

Die Wissenschaftler untersuchten die Proben auf HIV. Bei ihrer Analyse konzentrierten sie sich auf bestimmte Teile der genetischen Ausstattung des Virus, von denen bekannt ist, das sie von Stamm zu Stamm variieren. Dabei entdeckten die Forscher, daß acht Probanden Viren in sich trugen, die unterschiedliche Resistenzen gegen eines oder mehrere der antiviralen Medikamente zeigten, die in der AIDS-Therapie verwendet werden. Abgesehen davon, daß diese Resistenzen an sich beunruhigend sind, konnten die Wissenschaftler anhand der Widerstandsfähigkeit unterschiedliche Stämme des Virus identifizieren.

Überraschenderweise fanden sie bei sieben der Männer mit resistenten HI-Viren verschiedene Stämme in Sperma und Blut. Außerdem entdeckten sie, daß bei zwei Patienten, deren Blut-Viren gegen Protease-Hemmer immun waren, die Erreger im Sperma von diesen Mitteln angegriffen wurden. Vernazza und Eron schlossen aus dieser Beobachtung, daß die Protease-Hemmer nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten in die männlichen Reproduktionsorgane eindringen konnten. Bei einem anderen Probanden waren die Sperma-Viren immun gegen AZT, während diese Resistenz bei seinen Blut-Viren erst später auftrat (AIDS vom 22. Oktober 1998).

Die Wissenschaftler vermuten jetzt, daß Geschlechtsorgane und Blutgefäßsystem von Männern praktisch zwei voneinander unabhängige Kompartimente darstellen. Entsprechend müssen sie getrennt behandelt werden, besonders unter dem Gesichtspunkt der AIDS-Therapie: Medikamente beeinflussen die Viren in den beiden Kompartimenten sicherlich unterschiedlich.

Die Entdeckung hat viele Konsequenzen: Zuerst muß die Vorstellung von einer einzigen Virenpopulation zugunsten eines Modells aufgegeben werden, das in allen männlichen HIV-Trägern zwei verschiedene Populationen annimmt. Zum zweiten ist es sehr wahrscheinlich, daß die Viren in den männlichen Reproduktionsorganen nicht, wie bisher angenommen, aus dem Blut stammen, sondern stattdessen an Ort und Stelle entstehen. Wie HIV es allerdings schafft, sich im "genitalen" Kompartiment zu vermehren, ist noch immer unklar. Möglicherweise greift es zu diesem Zweck andere Zellen als die CD4-Lymphozyten an, die im Blut seine bevorzugte Beute sind.

Vernazza und Eron treten jetzt für therapeutische Strategien ein, bei denen die Viren sowohl im Blut als auch im Sperma bekämpft werden. Sie erinnern daran, daß zukünftige AIDS-Patienten sich mit letzteren infizieren, da HIV noch immer hauptsächlich durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen wird. Das bedeuted, daß eine Konzentration auf die Viren im Sperma einen direkten Einfluß auf das Infektionsrisiko hätte.

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