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News: Regeneration von Gehirnzellen

Es war eine der scheinbar unumstößlichen Wahrheiten der Humanbiologie: Das menschliche Gehirn kann abgestorbene Nervenzellen nicht ersetzen. Nun werden Tausende Mediziner und Biologen wohl umlernen müssen. Bei der Behandlung des Gehirns verstorbener Krebspatienten mit einer Substanz, die sich teilende Zellen markiert, stellten Wissenschaftler fest, daß in einem bestimmten Gehirnbereich neue Zellen entstanden sind, die wie Nervenzellen aussehen. Sollte es sich tatsächlich um Neuronen handeln, würden daraus ungeahnte Ansätze für die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen entstehen.
Forscher am Salk Institute for Biological Studies in La Jolla, Kalifornien, unter der Leitung von Fred Gage fanden in fünf verstorbenen Krebspatienten Hinweise für eine Vermehrung von Zellen des Gyrus dentatus – einem Bereich des Gehirns, der an Lernen und Erinnerung beteiligt ist (Nature Medicine vom November 1998).

Die Patienten im Alter zwischen 50 und 80, die am Sahlgrenska Universitätshospital in Schweden behandelt wurden, hatten intravenöse Injektionen von Bromodesoxyuridin (BrdU) erhalten, um auf diese Weise die Proliferation von Tumorzellen zu überprüfen. BrdU ist eine Substanz, die sich teilende Zellen markiert, indem sie selbst in neu synthetisierte DNA eingebaut wird. Bei der Autopsie der Gehirne dieser BrdU-markierten Patienten nutzte Gages Team die seltene Gelegenheit, nach Anzeichen für eine Zellteilung im Gyrus dentatus Ausschau zu halten. Die Forscher wollten Berichten über die Bildung neuer Neuronen – der sogenannten Neurogenese – im entsprechenden Teil des Gehirns von Ratten und Affen nachgehen.

Obwohl die meisten Zellen sich dauernd teilen, wurde das Säugetiergehirn lange als eine von Geburt an anatomisch fertig angelegte Struktur angesehen. In den letzten zwei Jahrzehnten haben Tierstudien diese Annahme jedoch widerlegt, zuerst mit der Entdeckung von Neurogenese bei Ratten, dann bei Meerschweinchen und kürzlich bei Krallenaffen. Nichts, so schien es, konnte jedoch das Dogma erschüttern, daß irgendwo im Verlaufe der Evolution die höheren Primaten ihre regenerative Fähigkeit verloren hatten, um ihre neuronale Festverdrahtung zu schützen.

"Jetzt zeigt unsere Studie ein für alle mal, daß im menschlichen Gehirn Zellgenese vorkommt", schwärmt Gage, "und daß das menschliche Gehirn im Verlaufe des gesamten Lebens das Potential zur Selbsterneuerung behält." Er mahnt jedoch auch zur Vorsicht: "Obwohl unsere Ergebnisse zeigen, daß einige der neu erzeugten Zellen überleben und sich zu Zellen entwickeln können, die wie Neuronen aussehen, haben wir noch nicht bewiesen, daß diese neu erzeugten Zellen auch funktionsfähig sind."

Trotzdem ist dies nach Ansicht von Professor Elizabeth Gould von der Princeton University "eine sensationelle Entdeckung". Sie hatte Anfang des Jahres eine ähnliche Entdeckung an Krallenaffen gemacht. "Nun können wir weitermachen und versuchen herauszufinden, warum diese Zellen sich regenerieren, ob etwas ähnliches in anderen Gehirnbereichen stattfindet und wie wir diesen Prozeß beeinflussen können."

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