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News: Computermodell zur Plattentektonik

Es ist nur ein Kratzer, den die Forscher der Erdoberfläche zugefügt haben. Gerade 12  Kilometer tief ist das tiefste Loch, das die Geophysiker zur Erforschung des Erdinneren haben bohren können. Doch allein die äußerste Hülle der Erde mißt circa 100  Kilometer Dicke, darunter liegt bis in etwa 2900 Kilometer Tiefe der sogenannte Erdmantel, der auf dem äußeren flüssigen und dem inneren festen Erdkern ruht. Aber nicht nur räumlich, auch zeitlich sind die Hindernisse auf dem Weg zur Lösung der Frage, wie sich die Erde formte, unüberwindlich. Nun wurde ein Computermodell vorgestellt, das die Bewegung der Erdplatten durch Konvektionsströmungen selbstkonsistent erklärt.
Jahrmillionen dauern die Gestaltungsprozesse, zu lang, als daß Forscher sie verfolgen könnten. Um Details zu klären, müssen sich Wissenschaftler ihre eigene Welt schaffen. Mit Hilfe von Superrechnern modellieren sie Möglichkeiten, wie sich die Verschiebung der Erdplatten erklären läßt. Einer von ihnen ist der Geophysiker Prof. Ulrich Hansen von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, der seine Erkenntnisse gerade im britischen Forschungsjournal Nature vorstellte.

Seine Simulationen sollen klären, wie die Platten, aus denen die äußere Erdhülle besteht, gebildet werden und wie sie sich bewegen. Die sogenannte Plattentektonik hat als Begriff die von Alfred Wegener Anfang des Jahrhunderts entdeckte Kontinentalverschiebung abgelöst – weil durchaus nicht alle Erdplatten Kontinente tragen. Reiben sich die Platten aneinander, so entstehen Erdbeben. Die Grenzen der Erdplatten sind so nahezu identisch mit den Erdbebengürteln auf der Erde.

Mit Hilfe seines niederländischen Kollegens Dr. Ron Trompert hat Hansen nun am Computer ein Modell entwickelt, das die Entstehung und Bewegung der Erdplatten durch Konvektionsströmungen selbstkonsistent simuliert. "Konvektionsströmungen treten überall in der Natur auf", erklärt Hansen. "Wenn Sie beispielsweise in einem Topf eine Suppe erwärmen, so werden ab einer bestimmten Heizrate Strömungen in der Suppe einsetzen." Im Gegensatz zur Suppe aber bestehen die Erdplatten aus festem Gestein. Auf kurzfristige Belastungen reagiert es wie ein elastischer Körper, über lange Zeiträume, in diesem Fall über 100 Millionen Jahre, wie ein zäher Körper. "Eine Kerze läßt sich leicht durchbrechen. Doch wenn man sie so auf einen Tisch legt, daß sie über den Rand hinausragt, wird sie sich in Folge der Schwerkraft langsam nach unten verbiegen", erläutert Hansen.

Um für die Gesteine des Erdmantels ein ähnliches Verhalten im Modell zu erreichen, ist die Wahl der Rheologie, insbesondere der Zähigkeit, entscheidend. Hansen und Trompert haben sich in ihren Vorgaben für eine extreme Abhängigkeit der Zähigkeit von der Temperatur entschieden. Mit der Annahme, daß heißes Material etwa 100 000mal weniger zäh ist als kaltes, gelang ihnen eine Simulation, in der sich Erdplatten spontan bildeten und wieder abtauchten. Bisher mußte dieses Merkmal der Plattentektonik von Wissenschaftlern wie von einem Deus ex machina vorgegeben werden.

Im Szenario von Hansen treten viele der plattentektonischen Phänomene auf, die auch in der Realität beobachtet werden. Es kommt zur Ausbildung von Rücken an der Erdoberfläche, aus denen heißes Material aufsteigt, feste Platten bildet, die sich im Modell wie in der Realität mit etwa vier Zentimetern pro Jahr bewegen, und nach Erkalten in Subduktionszonen wieder absinkt. Bedeutsam ist diese Simulation, um zu klären, wie Erdbeben entstehen oder wie sich der Planet und damit beispielsweise auch die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre entwickelt.

Ganz lassen sich die Simulationen von Hansen und Trompert noch nicht auf die Realität übertragen: Die Prozesse im Computer laufen viel regelmäßiger ab als das im Erdinneren der Fall wäre. So müssen weitere Faktoren ins Modell eingebaut werden, um es realistischer zu machen. Bisher fehlen beispielsweise die Kontinente – im Computer entstehen nur ozeanische Platten. Die Kontinentalplatten aber reagieren anders. Sie nehmen zwar an der Plattentektonik teil, sinken bei Abkühlung aber nicht wieder ab, weil sich auf ihnen alles leichte Material angesammelt hat. Ebenfalls noch nicht berücksichtigt hat Hansen die Radioaktivität, die wiederum Temperatur und damit Zähigkeit des Gesteins beeinflußt. Doch ist ein Modell, das alle Faktoren der Wirklichkeit berücksichtigt, so nützlich wie eine Landkarte im Maßstab 1:1.

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