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News: Zuviel für das Standard-Modell?

Wieder einmal macht die Natur sich einen Spaß daraus, die Teilchenphysiker zu necken. Deren sogenanntes Standard-Modell, mit dem sie die Welt der subatomaren Partikel zu erklären versuchen, hat in der Vergangenheit schon eine ganze Reihe von Erklärungsnotständen überstehen müssen - nun steht das nächste Problem vor der Tür: Nach der Theorie sollte beim Zerfall zweier Varianten des exotischen Kaons ein kleiner Unterschied auftreten. Versuche am bekannten Fermilab führen aber zu dem Schluß, daß wahrscheinlich die wirkliche Asymmetrie viel größer als theoretisch berechnet ist.
Ein kollektives Schlucken ging am 24. Februar 1999 durch die Reihen der Teilnehmer bei einem internen Seminar am Fermi National Accelerator Laboratory (Fermilab). Das Erstaunen ausgelöst hatte der Doktorand Peter Shawhan von der University of Chicago mit den Worten: "Wir kommen zu dem Ergebnis, daß Epsilon-Strich durch Epsilon gleich 0,0028 plusminus 0,00041 ist."

Um die Aufregung über diesen seltsamen Satz zu verstehen, werfen wir einen Blick zurück auf die Geschichte der Teilchenphysik: Im Jahre 1932 bemerkte Carl Anderson in seiner Nebelkammer die Spur eines Positrons – des Antiteilchens zum Elektron. Er hatte damit die Antimaterie entdeckt, von der am Anfang des Universums große Mengen vorhanden gewesen sein müssen. Heutzutage tritt sie dagegen nur noch in kosmischer Strahlung oder in den großen Beschleunigeranlagen der Physiker auf. Nach dem heutigen Standard-Modell – das beschreibt, warum Materie so ist, wie sie ist – gibt es zu jeder Art von Materie eine entsprechende Sorte von Antimaterie, beispielsweise zum Elektron das Positron, zum Quark das Antiquark und zum Kaon das Antikaon.

Die sogenannten "neutralen Kaonen" setzen sich aus einem strange quark und einem down quark oder Antiquark zusammen. 1964 sorgten sie für eine Überraschung, als ein Wissenschaftlerteam unter der Leitung von James Cronin und Val Fitch in Experimenten am Brookhaven National Laboratory feststellten, daß sich neutrale Kaonen und ihre Antiteilchen nicht gleich verhielten. Bis dahin hatten Physiker angenommen, die Eigenschaften von Materie und Antimaterie seien symmetrisch. Doch das Experiment zeigte eine Asymmetrie, die heute als CP-Verletzung bezeichnet wird.

Den damals beobachteten Effekt der CP-Verletzung kann man als Folge eines asymmetrischen Verhältnisses (oder einer quantenmechanischen Fluktuation) des neutralen Kaons und seines Antiteilchens beschreiben. Nach einer Hypothese, die eine "superschwache Kraft" postuliert, könnte der Zerfall des neutralen Kaons sogar ganz ohne CP-Verletzung ablaufen.

Seit 1964 erforschten Wissenschaftler auf der ganzen Welt, ob die Asymmetrie auch während des Zerfalls bestehen bleibt oder nur auf das Mischungsverhältnis zurückgeht. Als Maß für diese direkte Form der CP-Verletzung bestimmen sie das Verhältnis zweier verschiedener Zerfallsarten des Kaons, die Epsilon Strich und Epsilon genannt werden. Nach dem Standard-Modell sollte ein geringfügiger Unterschied zwischen den Wegen bestehen.

Die Physiker des KTeV-Experiments am Fermilab haben zwar erst zwanzig Prozent ihrer Daten ausgewertet, doch bereits mit den vorläufigen Resultaten steht ohne Zweifel fest, daß es eine direkte CP-Verletzung gibt. Dadurch kann die Hypothese von der "superschwachen Kraft" nicht korrekt sein. Allerdings ist der Wert von 0,0028 auch viel größer als er nach dem Standard-Modell hätte sein sollen.

Das vorläufige Ergebnis vom Fermilab liegt recht nahe an früheren Daten, die unter der Leitung von Heinrich Wahl am CERN gewonnen wurden. Dort läuft ein weiterer Versuch zur CP-Verletzung. Die Teilchenphysiker sind schon gespannt, welches Epsilon-Strich-zu-Epsilon-Verhältnis am Ende herauskommen wird. Und die Theoretiker stellen bereits Berechnungen an, wie sie die Experimente mit dem Standard-Modell in Einklang bringen können.

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