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News: Dem Virus eine lange Nase gezeigt

Auch Viren lassen sich 'an der Nase herumführen' - wenn nur der richtige Köder ausgelegt wird. Wissenschaftler erproben eine Arznei, die Viren dazu bringt, in der Nase an künstlich zugeführte Rezeptoren zu binden. Ihren Ergebnissen nach lassen sich auf diese Weise die Symptome einer allgemeinen Erkältung signifikant verringern. Viele Betroffene würden in Jubel ausbrechen, falls bald tatsächlich ein Nasenspray ausreicht, damit das Schniefen nur noch halb so schlimm ist.
In der Vergangenheit versuchten Wissenschaftler die für die meisten Erkältungen verantwortlichen Rhinoviren zu bekämpfen, indem sie direkt in die Replikation eingriffen. MIt dieser Methode war ihnen aber wenig Erfolg beschieden. Aufgrund der enormen Anzahl aktiver Virenstämme sind auch Impfungen nicht realisierbar. 1984 entdeckten die Forscher indes, daß die meisten Rhinoviren in den Körper eindringen, indem sie an einen Rezeptor auf der Oberfläche von Schleimhautzellen binden, an das sogenannte interzelluläre Adhäsionsmolekül (ICAM-1). Damit war ein neuer Angriffspunkt gefunden. Die Wissenschaftler versuchten die Viren in eine "falsche Richtung" zu locken: Sie sorgten dafür, daß möglichst viele statt an das Adhäsionsmolekül der menschlichen Zellen an künstlich zur Verfügung gestellte Rezeptoren banden. Damit waren diese Krankmacher unschädlich.

In den folgenden Jahren entwickelten Wissenschaftler eine als Tremacamra (früher BIRR 4) bezeichnete Arznei entwickelt, die eine lösliche Form eines solchen Rezeptors darstellt. Ronald Turner von der Medical University of South Carolina stellte zusammen mit Kollegen verschiedener Laboratorien das biotechnische Schnupfenmittel schließlich auf die Probe. 198 freiwillige Versuchspersonen meldeten sich, und so konnten vier randomisierte Tests durchgeführt werden. Einigen Probanden wurde Tremacamra (Bericht des National Public Radio als RealAudio) als Nasenspray oder als in die Nase einzuführendes Pulver verabreicht – jeweils entweder kurz vor oder kurz nach einer Infektion der Versuchsteilnehmer mit dem Rhinovirus. Andere dagegen erhielten nur einen Placebo. Die Teilnehmer wurden regelmäßig nach der Schwere der Symptome befragt: also nach der Stärke des Niesens, des Gefühls einer verstopften Nase, Schmerzen in Hals und Kopf, Husten, Unwohlsein oder Frösteln. Die Forscher verteilten auch vorher abgewogene Papiertaschentücher und sammelten sie nach Gebrauch durch die Versuchsteilnehmer wieder ein. Anhand des Gewichtsunterschiedes wurde die Menge der Nasenausscheidungen festgestellt.

Das Ergebnis läßt Schnupfenpatienten hoffen: Bei den am Ende in die Effektivitätsstudie einbezogenen 177 Probanden zeigten die tatsächlich mit dem Arzneimittel behandelten insgesamt 45 Prozent weniger Symptome als die Placebo-Patienten. Die Anzahl der Versuchspersonen mit einer "klinischen Erkältung" – diese wurde anhand einer bestimmten Anzahl von Symptomen definiert – ging um 23 Prozent zurück. Auch die Nasenausscheidungen verringerten sich um insgesamt 56 Prozent. Ob das Medikament vor oder nach einer Infektion verabreicht wurde, veränderte die jetzt in einer Fachzeitschrift veröffentlichten Versuchsergebnisse kaum (Journal of the American Medical Association vom 19. Mai 1999, Abstract).

"Das Konzept, einen löslichen Rezeptor zu verwenden, um einen Virus zu blockieren, ist schon verlockend", sagt Kenneth McIntosh vom Children's Hospital der Harvard Medical School in Boston. "Dies ist einer der wenigen Fälle, in denen eine solche Methode angewandt wurde, und der einzige, bei dem sie sich als erfolgreich beim Menschen erwiesen hat. Die Herangehensweise beeinhaltet große Möglichkeiten für [die Behandlung] vieler Virusinfektionen."

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