Direkt zum Inhalt

News: Supersymmetrie auf dem Prüfstand - Experiment gelungen

Völlig unterschiedlich oder doch eigentlich gleich? In verschiedenen Bereichen der Physik beschreiben Theorien 'supersymmetrische' Eigenschaften der Natur. So postulieren Kernphysiker, daß sich supersymmetrische Modelle auch auf Atomkerne anwenden lassen. Einem internationalen Team von Wissenschaftlern ist es nun erstmals gelungen, die theoretische Vorhersage auch experimentell nachzuweisen. Mit nur einem einzigen Modell konnten sie durch mathematische Transformationen die Spektren von vier Atomkerne produzieren, welche über die Theorie der Supersymmetrie miteinander verbunden sind.
Supersymmetrie ist nicht gleich Supersymmetrie. Ausgehend von den gleichen mathematischen Grundlagen haben mehrere Teildisziplinen der Physik Theorien entwickelt, die zwar analoge Aussagen treffen, aber unterschiedliche Systeme betrachten und somit bei der Interpretation von Ergebnissen nicht miteinander verwechselt werden sollten.

Die Theorie der Supersymmetrie in der Teilchenphysik zum Beispiel ist für Physiker deshalb so interessant, weil sie eine Verbindung zwischen allen bekannten Elementarteilchen liefert und so viele komplizierte Wechselwirkungen einfacher erklärt. Denn diese Theorie geht davon aus, daß es anstelle der bisher angenommenen zwei Gruppen von Elementarteilchen, nämlich Bosonen und Fermionen, nur eine einzige Gruppe gibt, deren Vertreter ineinander überführt werden können. Sie besagt, daß eigentlich doppelt so viele Teilchen im Universum existieren sollten, wie bislang vermutet wird, da die Elementarteilchen als Zwillingspaare auftreten. So sind zum Beispiel die Quarks, aus welchen sich Protonen und Neutronen zusammensetzen, mit hypothetischen Teilchen verbunden, die Squarks genannt werden, und Gluonen, welche die Quarks zusammenhalten, haben als Zwillinge die Gluinos.

Wissenschaftler nehmen an, daß alle diese supersymmetrischen Doppelgänger extrem schwer sind und es einer großen Menge an Energie bedarf, um sie im Labor zu produzieren. Die bisher existierenden Teilchenbeschleuniger jedenfalls können keine Energie erreichen, die hoch genug wäre, um zusätzlich zu den bekannten Teilchen supersymmetrische Partner zu produzieren. Die Forscher werden sich daher noch mindestens bis zum Jahr 2005 gedulden müssen. Dann geht mit dem Large Hadron Collider bei CERN in der Schweiz der Prototyp einer neuen leistungsfähigeren Generation von Teilchenbeschleunigern ans Netz, der auch Supersymmetriepartner sichtbar machen soll.

Auch Kernphysiker beschäftigen sich mit dem Übergang von Bosonen und Fermionen. Allerdings betrachten sie keine Elementarteilchen, sondern Atomkerne mit einer großen Zahl von Neutronen und Protonen. Ihre Vielteilchensysteme sind natürlich dementsprechend komplizierter, aber sie lassen sich zugleich mit geringerem experimentellen Aufwand vermessen.

Schon vor acht Jahren hat Jan Jolie von der Universität Fribourg in der Schweiz an einer theoretischen Möglichkeit gearbeitet, die Effekte der Supersymmetrie in Kernen sichtbar zu machen, indem man die Fermion-Boson-Wechselwirkungen in schweren Atomen beobachtet. Mit einer algebraischen Transformation sollte es möglich sein, einen Kern mit einer geraden Anzahl von Protonen und Neutronen (gerade-gerade), zwei Kerne mit einer ungeraden Anzahl von entweder Protonen oder Neutronen (gerade-ungerade oder ungerade-gerade) und einen Kern mit einer ungeraden Zahl von Protonen und Neutronen (ungerade-ungerade) ineinander übergehen zu lassen – nach den Regeln der Supersymmetrie.

Sowohl Protonen als auch Neutronen haben einen Spin 1/2. Also hat ein Kern, der aus einer geraden Anzahl von Protonen und Neutronen besteht, insgesamt einen ganzzahligen Spin und gilt deshalb als Boson. Ein Kern mit einer ungeraden Anzahl von Protonen oder Neutronen hat immer einen halbzahligen Spin und ist daher ein Fermion. Die Supersymmetrie verbindet diese Kerne zu sogenannten Quartetten. Für Jolie besteht ein ideales Quartett aus Platin-194 (gerade-gerade), Gold-195 (ungerade-gerade), Platin-195 (gerade-ungerade) und Gold-196 (ungerade-ungerade).

Was theoretisch funktionierte, sollte nun auch experimentell bestätigt werden. Und in der Tat haben Gerhard Gnaw von der Ludwig-Maximilians Universität in München, Christian Günther von der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, Nigel Warr von der University of Kentucky in den USA zusammen mit Jolie und weiteren Kollegen einen Weg gefunden, um Supersymmetrie in Kernen nachzuweisen. In einem Teilchenbeschleuniger feuerte das Forscher-Team polarisierte Deuteronen (ein Kern aus einem Proton und einem Neutron) auf eine dünne Folie von Gold-197, das aus 79 Protonen und 118 Neutronen besteht. Dadurch wechselte ein Neutron aus dem Goldkern zum Deuteron und bildete mit ihm einen Tritiumkern aus zwei Neutronen und einem Proton. Zurück blieb Gold-196 mit einem Neutron weniger. Den Tritiumkern analysierten die Wissenschaftler mit einem Magnetspektrographen, um seine Energie und seinen Spin zu bestimmen. Daraus ließen sich wiederum Rückschlüsse auf den Anregungszustand des Goldkerns ziehen.

Die Forscher bestimmten auf die gleiche Weise noch das Spektrum von Platin-195, die Daten für die beiden anderen Kerne des Quartetts waren bereits aus früheren Publikationen bekannt. In ihren anschließenden Berechnungen wiesen sie nach, daß sie mit den Transformationen aus der Theorie der Supersymmetrie über einhundert angeregte Zustände von allen vier Kernen zugleich beschreiben konnten. Angesicht der Genauigkeit ihrer Ergebnisse und der wenigen Parameter in den Gleichungen schließen die Wissenschaftler, daß die niedrigsten angeregten Zustände dieser schweren Kerne tatsächlich durch das Konzept der Supersymmetrie miteinander verbunden sind – der erste Nachweis von Supersymmetrie in einem natürlichen System. "Dieser Befund ist extrem wichtig, denn er führt das experimentelle Vorhandensein der Supersymmetrie in der Physik ein", sagt Francesco Lachello, der während der achtziger Jahre mitgeholfen hat, das Modell in der Kernphysik zu entwickeln.

Auch Teilchenphysiker dürften erfreut sein, daß endlich ein Fall von Supersymmetrie in der Natur belegt ist. Ihre Bemühungen um die berühmte "Theorie für alles" profitieren zwar nicht direkt von den Ergebnissen an den Atomkernen, doch alleine das Gefühl, "irgendwie auf der richtigen Fährte zu sein" ist von Zeit zu Zeit recht beruhigend.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.