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News: Leistungsdruck läßt Kinder immer öfter 'ausrasten'

'Psychische Störungen bei Kindern nehmen zu', warnte ein Grazer Wissenschaftler im Rahmen der Ärztetage Velden. Seinen Worten zufolge zeigen Studien in verschiedenen Ländern der westlichen Welt, daß zehn bis fünfzehn Prozent aller Kinder an behandlungsbedürftigen Entwicklungsstörungen leiden.
Die stärkste Zunahme ist laut dem Kinderarzt und Kinderpsychiater Michael Millner von der Karl-Franzens-Universität Graz bei aggressiven Störungen zu verzeichnen, auch Angststörungen werden häufiger. Die Ursachen seien vielfältig. So sei zum Beispiel das Leben "schneller" geworden – zu schnell für die Entwicklung der Kinder; Eltern hätten weniger Zeit für ihre Kinder und seien öfter berufsbedingt abwesend.

Eine große Rolle spiele auch die gespannte Situation am Arbeitsmarkt, die sich innerhalb der Familie als Leistungsdruck äußert. Millner sagt: "Die Kinder spüren diesen Leistungsdruck nicht erst in der Schule, sondern häufig schon im Kindergarten, gerade, wenn sie in manchem nicht der Entwicklungsnorm entsprechen – und reagieren darauf mit Aggression".

Eltern machen sich mehr Sorgen um die Berufschancen ihrer Kinder: "Häufig werden die Kinder schon im Kindergarten unter diesem Gesichtspunkt beurteilt und leichte Entwicklungsauffälligkeiten werden als Katastrophe empfunden. Die Bandbreite dessen, was als ,normal' gilt, ist schmäler geworden," so Millner. Das hat auch Konsequenzen für größere Probleme: "Es ist wieder schwieriger geworden, entwicklungsverzögerte, verhaltensauffällige oder behinderte Kinder zu integrieren."

Viele Verhaltensstörungen lassen sich aber durchaus wieder einrenken. Ausschlaggebend für jeden Versuch ist der Zeitpunkt: "Je früher die Therapie beginnt, umso größer sind die Chancen," betont der Mediziner, "in keiner späteren Lebensphase sind Körper, Geist und Seele einer so raschen Folge von Entwicklungen und Veränderungen unterworfen." Ein Spezialkindergarten könne mehr bewirken als Einrichtungen für aggressiv verhaltensgestörte Jugendliche.

Deshalb haben Millner und Kollegen auf der Basis einer Studie vorgeschlagen, den Mutter-Kind-Paß um eine psychosoziale Untersuchung im frühen Vorschulalter zu erweitern: "Wenn so eine Untersuchung erst einmal zur selbstverständlichen Reihenuntersuchung geworden ist, fiele auch die elterliche Schwellenangst weg, das Kind wegen zum Beispiel auffälligen Verhaltens untersuchen zu lassen". Bisher ist es bei der Idee geblieben. "Leider liegt unser Vorschlag schon viele Monate bei den zuständigen Stellen", bedauert der Experte.

Zu den Schwierigkeiten, die Grenzen einer Behandlung psychischer Störungen zu akzeptieren, sagt Millner: "Die Fortschritte in vielen Gebieten der Medizin haben dazu geführt, daß auch im Bereich der Psyche fast alles für machbar gehalten wird. Eltern stellen manchmal völlig unrealistische Anforderungen." Davon betroffen sind zum Beispiel Logopäden oder Physiotherapeuten.

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