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News: Artbildung zum Zuschauen

Vögel derselben Art sind genetisch normalerweise fast identisch, da sich Tiere aus verschiedenen Populationen immer wieder untereinander paaren. In Korsika haben Wissenschaftler aber zwei Lebensgemeinschaften von Blaumeisen gefunden, die fast Baum an Baum leben, sich aber nicht vermischen. Unterschiedliche Umweltbedingungen haben die Verhaltensweisen und auch das Aussehen der Tiere so verändert, daß sich womöglich zwei Arten daraus entwickeln werden.
Tiere, die zur selben Art gehören, pflanzen sich untereinander fort und tauschen so ständig ihr genetisches Material aus. Wenn dieser Austausch nicht mehr funktioniert, weil zum Beispiel eine Population durch zeitliche oder räumliche Hindernisse nicht mehr mit anderen Lebensgemeinschaften derselben Art in Verbindung steht, dann kann sich durch die Isolation eine neue Art mit einer eigenen genetischen Ausstattung entwickeln.

Dieser Grundsatz gilt auch für Vögel – Rotkehlchen aus Hamburg und München sollten sich genetisch sehr ähnlich sein und sich jederzeit paaren können. Jaques Blondel vom Centre National de Recherche Scientifique in Montpellier entdeckte jedoch auf der Mittelmeerinsel Korsika zwei Blaumeisengesellschaften, die nur 25 Kilometer voneinander entfernt vorkommen, aber aufgrund unterschiedlicher Lebensgewohnheiten völlig isoliert sind.

Der Grund ist das Angebot an Nahrung, denn Blaumeisen fressen Raupen, die in diesen Gebieten zu verschiedenen Zeiten auftreten. Die eine Blaumeisengruppe lebt in der Nähe von Muro in einem laubabwerfenden Eichenwald, in dem die Raupen Anfang Mai in Massen auftreten. Die andere Gruppe hat sich in einem immergrünen Wald in der Nähe von Pirio niedergelassen, wo vor Mitte Juni keine Raupen auftreten. Die Biologen stellten fest, daß die Jungen in den beiden Populationen jeweils genau dann schlüpfen, wenn gerade am meisten Nahrung vorhanden ist.

Außerdem sehen die Blaumeisen je nach Standort verschieden aus. Die Tiere aus Muro sind größer, haben längere Beine und Flügel, aber einen kürzeren Schnabel.

Blondel vermutet, daß natürliche Auslese zu zwei Populationen geführt hat, die sich an die jeweiligen Lebensbedingungen ihrer Umgebung angepaßt haben. Offensichtlich verlassen die kleinen, blau behelmten Gesellen ihren Wald nur selten, denn ansonsten hätte die Paarung mit den Artgenossen keine genetischen Unterschiede entstehen lassen. Von den 2500 Blaumeisen, die Blondel in dem Gebiet beringt hat, überschritt keine die Grenze zur benachbarten Gruppe. Auf Dauer könnten sich so aus den Nachbarn zwei eigene Arten entwickeln, meint er.

Der Ornithologe weist darauf hin, daß seine Ergebnisse erneut verdeutlichen, daß Naturschutz nicht nur Artenschutz ist, sondern auch ganze Populationen berücksichtigt werden müssen. "Biodiversität ist nicht nur eine Frage der Artenzahl, sondern auch eine Frage der ... Variation", sagt er.

Marcel Visser, ein Ökologe, der am Netherlands Institute of Ecology in Heteren an Blaumeisen forscht, stimmt Blondel zu. Allerdings seien auf dem Festland derart lokale Anpassungen sehr selten. Er vermutet, daß Inseln auch bei solchen Prozessen besondere Lebensräume sind. "Der Grad an Biodiversität mag auf Inseln eventuell sehr viel geringer sein", meint er.

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