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News: Vier Tage Krebs

Vom 12. bis zum 16. September 1999 fand in Wien der Europäische Krebskongress (ECCO 10) statt. Etwa 9000 Experten stellten die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Krebsmedizin vor. Das Resümee der Veranstaltung: Die Mediziner sind der Meinung, schonendere Chirurgie samt Strahlen- und Chemotherapie werden zukünftig die Erfolgsquoten von Krebsbehandlungen heben und gleichzeitig die Patienten weniger belasten. Schon in den letzten Jahren sei durch Kombinationstherapien die Überlebensrate deutlich gestiegen.
Wie groß das Krebsproblem zum Beispiel in Europa ist, geht aus folgenden Zahlen hervor: In ganz Europa (inklusive Osteuropa und der früheren UDSSR) starben im Vorjahr 1,77 Millionen Menschen an bösartigen Erkrankungen. Allein der schlecht behandelbare Lungenkrebs machte zwanzig Prozent aus. In der EU gab es 1997 rund 1,35 Millionen neue Krebserkrankungen, fast 900 000 Menschen erlagen solchen Leiden.

Eins wurde auf dem Kongreß in jedem Fall klar: Wundermittel sind nicht zu erwarten. Und auch einige Substanzen, von denen sich Mediziner positive Effekte versprochen hatten, hielten den Erwartungen nicht stand. Zum Beispiel wurde eine deutsche Studie präsentiert, die sich mit den Auswirkungen von Mistelextrakt auf das Überleben von Hautkrebs-Patienten beschäftigt (siehe auch "Keine Hilfe von Mutter Natur"). Den Ergebnissen zufolge, bringt diese Behandlung keine Vorteile für die Erkrankten. Auch prophylaktische Therapien gegen Rückfälle bei Lungenkrebs und Hals-Nasen-Ohren-Tumoren haben sich anscheinend als Fehlschlag erwiesen. Einer groß angelegten europäischen Studie nach ist weder durch die Gabe von Vitamin A noch der ebenfalls in diesem Zusammenhang angewandten Substanz N-Acetylcystein eine Steigerung der Überlebensrate möglich gewesen (siehe auch "Vitamin A nutzlos").

Bei Strahlentherapie und Chemotherapie zeigen sich verschiedene neue Ansätze. Zum einen profitieren die Patienten vom Fortschritt der Technik. Die Genauigkeit der computergesteuerten Bestrahlungsgeräte ermöglicht heute eine so exakte Einstellung auf Krebszellen, daß bei geringeren Nebenwirkungen höhere Strahlendosen verabreicht werden können. Nach Aussage des Vorsitzenden der Tagung Dieter Kogelnik profitieren zwei von drei Krebspatienen von der Strahlentherapie. Kogelnik nannte im besonderen als positive Therapieentwicklungen die Verabreichung der Gesamtstrahlendosis in kleineren "Portionen" und geringeren Intervallen, die Verkürzung der Behandlungsdauer bei schnell wachsenden Tumoren und die Verwendung neuer Strahlenarten (Hadronen, Ionen, Protonen). "Ionen und Neutronen erhöhen die biologische Wirksamkeit, während Ionen und Protonen zu einer präzisen Zielsteuerung der Strahlendosis beitragen", erläuterte Kogelnik. Kleinere Tumoren können womöglich sogar ganz ohne chirurgische Eingriffe behandelt werden. Ein Mediziner des Memorial Sloan Kettring Krebs-Zentrums in New York berichtete, daß durch Fokussierung auf den Tumor eine Erhöhung der Strahlendosis von 65 auf 90 Gray möglich gewesen sei und dadurch die Heilungsrate um die Hälfte gesteigert werden konnte.

Bei den Krebs-Medikamenten dürfte sich die Bandbreite deutlich erhöhen. Es werden eine ganze Reihe von Ansätzen verfolgt. Bei der Bekämpfung des Brustkrebs zum Beispiel sind gute Erfolge mit Östrogen-Rezeptor-Blockern wie Tamoxifen erzielt worden (siehe auch "Östrogen-Blocker sichert Überleben"). Hier entbrannte auch eine Diskussion über Sinn und Unsinn einer prophylaktischen Einnahme von Tamoxifen. Eine US-Studie hat ergeben, daß man mit der regelmäßigen Verabreichung von Tamoxifen bei gesunden Frauen etwa die Hälfte der sonst auftretenden Brustkrebsfälle verhindern könnte. Während einige Wissenschaftler nun für eine vorbeugende Verabreichung von Tamoxifen plädieren, sind andere – vor allem aufgrund der möglichen Nebenwirkungen wie einer verminderten Knochendichte oder einer gesteigerten Thrombosegefahr – strikt dagegen.

Vorgestellt wurden auch vorläufige Ergebnisse über den Einsatz des Östrogen-Blockers Exemestan. Nach einer amerikanischen Studie unter der Leitung von Jean-Marc Nabholtz von der Universität Alberte, war bei Frauen, die Exemestan verabreicht bekamen, im Vergleich zu einer mit Tamoxifen behandelten Gruppe die Gefahr für das Fortschreiten des Krebses um 44 Prozent geringer. Doch es gibt auch Untersuchungen, die solche Unterschiede nicht belegen (siehe auch "Neue Besen").

Eine immer wieder diskutierte Methode, Tumoren "auszuhungern", besteht darin, das Wachstum der Blutgefäße in ihnen und damit die notwendige Versorgung zu unterbinden. Dies kann zum Beipiel durch die Behandlung mit Angiostatin erreicht werden (siehe auch "Ohne Blut kein Wachstum"). Ebenfalls die Blutzufuhr unterbinden bestimmte monoklonale Antikörper wie der Tumor-Nekrose-Faktor alpha 1a. Eingesetzt wurde er zur Behandlung von Weichteilsarkomen. Die Wissenschaftler, die diese Forschungsergebnisse vorstellten, sprachen von einer bei Weichteilsarkomen ersten erfolgreichen Therapie zur Unterbrechung der Blutzufuhr (siehe auch "Amputation nicht mehr notwendig").

Auch auf einem anderen Gebiet kommen monoklonale Antikörper zum Einsatz. Herzeptin ist ein Präparat aus monoklonalen Antikörpern, welches gezielt an sogenannte HER2-Rezeptoren an der Oberfläche von Brustkrebszellen bindet. Doch das Medikament wirkt ausschließlich bei Patientinnen, die eine stark erhöhte Anzahl dieser Rezeptoren aufweisen (siehe auch "Gesteigerte Überlebensrate durch Behandlung mit Herceptin").

Die Vorstellung, Tumoren könnten "Selbstmord" begehen, mag auf den ersten Blick etwas seltsam erscheinen. Doch genau in diese Richtung geht die Forschung ebenfalls – auf den verschiedensten Wegen vom Einsatz des Tumornekrosefaktors über spezielle Enzyme bis zu Veränderungen von Zellsignalwegen (siehe auch "Der 'Kick' zum Selbstmord").

Eine Wunschvorstellung besteht für die Mediziner auch darin, künftig ganz auf bestimmte Patienten zugeschnittene individuelle Behandlungen entwickeln zu können (siehe auch "Krebs – das heißt andere Gene"). Beim Erreichen dieses Zieles soll ihnen die Gentechnologie weiterhelfen, indem sie eine möglichst genaue Analyse des genetischen Materials eines Patienten ermöglicht.

Doch dies alles sind nur einige der Ansätze. Insgesamt wurden noch viele andere neue Forschungsideen auf dem Gebiet der Krebsbehandlung vorgestellt. Die Wissenschaftler vergaßen aber auch nicht, daß der Kampf gegen den Krebs nicht erst bei der Therapie anfängt. So wurde ein europäisches Projekt zum Thema Vorsorgeuntersuchungen auf Prostatakrebs vorgestellt, welches zeigte, daß der Krebs durch diese Untersuchungen wesentlich früher entdeckt werden konnte (siehe auch "Vorsorge nützt"). Auch in bezug auf eine Frühdiagnose von Brustkrebs zeigen sich Erfolge. Ein normaler Bluttest kann nach Aussage Wiener Ärzte bei unklaren Befunden zusätzliche Hinweise geben. Im bisherigen Einsatz zeigte sich eine hohe bei der Auffindung von frühen Veränderungen (siehe auch "Nun aber ganz genau").

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