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News: Sind Bakterien Links- oder Rechtshänder?

Von vielen chemischen Verbindungen gibt es zwei spiegelbildliche Formen, ähnlich wie die linke und die rechte Hand. Diese Spiegelbilder, Enantiomere genannt, können völlig unterschiedliche Wirkungen in Organismen haben, wenn zum Beispiel Enzyme sie nicht daran binden können. Eine Untersuchung verschiedener Pestizide erbrachte, daß eine Veränderung der Umweltbedingungen sich deutlich darauf auswirkt, welche Enantiomere von bodenbewohnenden Bakterien abgebaut werden. Diese Erkenntnis könnte weitreichende Folgen für die Festlegung von Grenzwerten und Gefahrenabschätzungen zum Schutz der Umwelt haben.
Eine Studie der University of Georgia in Athens unter der Leitung von David Lewis warnt nun davor, daß diese sogenannte Chiralität bei der Bewertung von möglichen Umweltschäden nicht ausreichend berücksichtigt wird und es womöglich in der Vergangenheit auch zu Fehleinschätzungen gekommen ist (Nature vom 28. Oktober 1999). Viele organische Chemikalien – seien es Pestizide, Medikamente oder Weichmacher für Kunststoffe – werden zwar auf ihre Umweltauswirkungen getestet, aber diese Tests werden nicht unbedingt für beide Enantiomere einzeln durchgeführt. Und nur bei einem geringen Teil der Chemikalien werden die Enantiomere vor der Vermarktung getrennt, da dieser Prozeß sehr kostspielig ist.

Doch die Chiralität kann sich auf die Abbaurate der Verbindungen durch Mikroorganismen in der Umwelt auswirken. "Aufgrund unserer Studie gehen wir davon aus, daß globale Umweltveränderungen wie die Abholzung tropischer Regenwälder, Eutrophierung und globale Erwärmung die Risiken deutlich verändern, die von vielen Schadstoffen ausgehen – indem die Auswirkungen von manchen schlimmer, von anderen aber geringer werden", erklärt Lewis. "Ohne das Wissen, wie chirale Schadstoffe davon betroffen sind, werden die Umweltstandards zur Reduzierung der Schadstoffbelastung eigentlich ins Blaue hinein formuliert."

Die Wissenschaftler untersuchten in verschiedenen Bodenproben den Abbau der Herbizide Dichlorprop und Methyl-Dichlorprop sowie des Insektizids Ruelene oder Crufomat, das in den USA zwar verboten, in anderen Ländern aber noch im Handel ist. Die Bodenproben stammten von einer Hochebene in Norwegen, aus einem achtzig Jahre alten laubabwerfenden Mischwaldbestand in den USA und aus der Gegend von Porto Velho in Brasilien.

Die mikrobiellen Lebensgemeinschaften der Bodenproben reagierten völlig unterschiedlich auf eine Veränderung der Umweltbedingungen. Eine verbesserte Versorgung mit anorganischen Nährstoffen, wie sie zum Beispiel durch Düngereinsatz entsteht, beeinflußte die Selektivität für die einzelnen Enantiomere von Methyl-Dichlorprop weder in Brasilien noch in den USA, obwohl die Flächen dort zum Teil schon seit 1988 gedüngt werden. In Laborversuchen führte dagegen die Zugabe von organischen Nährstoffen, die zum Beispiel aus Gülle oder Klärschlamm stammen können, bei den Bodenproben aus Brasilien und Nordamerika zu einer ausgeprägten Veränderung darin, welches Spiegelbild bevorzugt wird. Die norwegischen Böden zeigten allerdings keine Beeinflussung. "Es sieht so aus, als ob verschiedene Formen der Umweltveränderungen verschiedene genetisch verwandte Gruppen der Mikroorganismen aktivierten", erzählt Eric Wommack, der die genetischen Untersuchungen der Studie machte.

"Die unterschiedlichen Auswirkungen zum Beispiel von anorganischen und organischen Nährstoffen auf die Selektivität für die einzelnen Enantiomere wirft neue Fragen zur Verwendung von behandeltem Klärschlamm in der Landwirtschaft auf", meint Lewis. "Dieser Klärschlamm verändert die Enantioselektivität. Damit könnte der Schlamm die mikrobiellen Umsetzungsraten von einigen der Enantiomere von Pestiziden verändern und ihre Effektivität im Gelände verringern. Andererseits könnten manche Enantiomere länger in der Umwelt persistieren und so eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung und die Umwelt darstellen." Diese Fragen stellen sich gemäß Lewis auch für Chemikalien, die in der Umwelt angeblich in die endokrinen Systeme von Tieren eingreifen.

"Ich glaube nicht, daß es wirklich so teuer ist, daß es unmöglich ist, Pestizide aus nur einem Enantiomer herzustellen", meint Lewis. "Ich glaube, in manchen skandinavischen Ländern verkaufen sie solche bereits. Es wird mehr und mehr technisch machbar sein. Aber zuerst müssen wir mal die damit verbundene Toxizität verstehen, und bisher wissen wir ja noch nicht einmal darüber etwas."

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