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News: Konflikte sind schlimmer als Scheidung

Kinder und Jugendliche aus Familien mit beiden Elternteilen, in denen Konflikte überwiegen, weisen oft eine stärkere Belastung durch Probleme auf als ihre Altersgenossen aus Trennungsfamilien. 'Die Entwicklung der Familie hängt also viel stärker von den innerfamiliären Konflikten als von Belastungen durch Scheidungen oder Trennungen ab', fassen Jenaer Psychologen ein Zwischenergebnis einer umfassenden Studie zusammen.
Der Pädagogische Psychologe Peter Noack von der Friedrich-Schiller-Universität Jena untersucht seit einem Jahr gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Christine Krettek und Kollegen aus München, wie sich Familien nach einer Trennung der Eltern entwickeln. Ein aktuelles Problemfeld, denn inzwischen geht fast jede dritte Ehe in Deutschland in die Brüche. 1997 gab es rund 190 000 Scheidungen, von denen über 150 000 Kinder betroffen waren.

Es gibt zwar Hinweise auf eine etwas höhere Belastung von Kindern, die mit einem alleinerziehenden Elternteil oder Stiefeltern aufwachsen. Doch diese Nachteile entspringen weniger der Familienstruktur als den widrigen Begleitumständen, etwa Konflikten bei der elterlichen Trennung oder materiellen Problemen. Die Beobachtung solcher Schwierigkeiten, die auch in so genannten Kernfamilien – bei denen beide Elternteile gemeinsam leben – gegeben sein können, bildete den Ausgangspunkt für die von der DFG geförderte Untersuchung von rund 600 willkürlich ausgewählten ost- und westdeutschen Familien.

Die Jenaer Psychologen erforschen vor allem die Gleichaltrigenbeziehungen der Kinder und Jugendlichen, die in den verschiedenen Familientypen aufwachsen. Unterm Strich zeigte sich, daß Ähnlichkeiten zwischen den Untersuchungsgruppen vorherrschen und Unterschiede eher die Ausnahme sind. Das gilt für enge Freundschaften wie für Kontakte im weiteren Gleichaltrigenumfeld. "Dieses 'Nicht-Ergebnis' ist aufschlußreich", erläutert Noack. "Belastungen in der eigenen Familie hätten eine verstärkte Hinwendung zu Gleichaltrigen ebenso bewirken können wie Probleme mit den Kameraden", benennt er eine Ausgangshypothese. "Das ist praktisch nicht der Fall".

Es existiert allerdings eine Ausnahme: "Söhne und Töchter aus Kernfamilien mit starken häuslichen Konflikten erleben systematisch weniger Anerkennung seitens ihrer Freunde als die übrigen Kinder und Jugendlichen", hat Noacks Team ermittelt. Ein weiterer Befund weist auf die Bedeutung der Randbedingungen des familiären Zusammenlebens hin. So berichteten Mädchen und Jungen aus westdeutschen Kernfamilien über eine größere Zahl von Gleichaltrigen in ihrem persönlichen Umfeld, die anspruchsvolleren Freizeitaktivitäten nachgehen, als jene aus Trennungsfamilien. Dieser Unterschied besteht auch bei jenen, die in Ostdeutschland befragt wurden, allerdings ungeachtet des Familientyps. Die Aktivitäten der Bekannten spiegeln auch die Freizeitmöglichkeiten der Befragten. "Offenbar scheinen damit unter den ökonomisch im Mittel vorteilhafteren Lebensbedingungen in Westdeutschland finanzielle Nachteile von Trennungsfamilien auf die Freizeitgestaltung der Kinder und Jugendlichen durchzuschlagen, während in dieser Hinsicht in Ostdeutschland keine Unterschiede resultieren", analysiert Noack.

Eine zufällige Beobachtung stimmt den Jenaer Psychologen nachdenklich. "Im Vergleich schildern die ostdeutschen Kinder und Jugendlichen sowohl die Qualität ihrer Freundschaften als auch ihr weiteres Gleichaltrigenumfeld weniger günstig, als es in Westdeutschland der Fall ist", erzählt Noack. Ob sich in diesem Ergebnis eine zurückhaltendere Darstellung der eigenen Person und ihrer Umwelt ausdrückt, oder ob tatsächlich weniger enge Beziehungen unter den gegebenen Lebensbedingungen aufgebaut und gepflegt werden, sollen weiterführende Analysen der Psychologen klären. Dasselbe gilt für die Frage längerfristiger Effekte des familiären Hintergrunds auf die psychosoziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, zu deren Klärung zwei weitere Befragungen im Rahmen der laufenden Längsschnittuntersuchung beitragen sollen.

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