Direkt zum Inhalt

News: Keine Wunder, aber Fortschritt

Von den 4000 Patienten, die in den letzten zehn Jahren an Studien zur Wirksamkeit von Gentherapien teilgenommen haben, konnte keiner wirklich geheilt werden. Eine niederschmetternde Bilanz? Einige neue Untersuchungen deuten das Potential der Gentherapie an. Allerdings ist die Hoffnung zerstoben, mit Hilfe von Genen viele Krankheiten wirklich an der Wurzel packen und heilen zu können. Zudem haben sich die Ziele geändert. Standen vor zehn Jahren noch die klassischen Erbkrankheiten im Zentrum der Forschung, so sind es heute die großen Zivilisationskrankheiten wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Vor fast zehn Jahren unternahm der Arzt W. French Anderson, einer der Pioniere der Gentherapie, erstmals den Versuch, eine Erbkrankheit mit Hilfe von Genen zu behandeln. Der damals vierjährigen Ashanti Da Silva fehlt das Enzym Adenosindesaminase (ADA), das eine wichtige Rolle für die Funktion des Immunsystems spielt. Weil das ADA-Gen nicht richtig funktionierte, war das Mädchen extrem anfällig für Infektionskrankheiten, sie mußte quasi unter sterilen Bedingungen leben. Verpackt in entschärfte Adenoviren schleuste Anderson intakte ADA-Gene in die Zellen des Kindes ein. Seither führt Da Silva ein relativ normales Leben. Ob sie dies den therapeutischen Genen zu verdanken hat oder den ADA-Enzymen, die sie weiterhin einnimmt, ist aber bis heute nicht klar.

In Tierversuchen funktioniert die Gentherapie prächtig. So wurden Tausende von Mäusen damit von Tumoren geheilt – aber noch keiner der menschlichen Probanden, die an den gentherapeutischen Studien teilnahmen. Besonders niederschmetternd war die Nachricht vom Tod des Jesse Gelsinger im September 1999. Der 18jährige Amerikaner litt an einer erblichen Stoffwechselkrankheit: Er konnte das Leberenzym Ornithin-Transcarbamalyase (OTC) nicht produzieren. Adenoviren sollten intakte OTC-Gene in seine Leberzellen schmuggeln. Über 30 Milliarden Viren injizierte das Team unter James Wilson vom Institute for Human Gene Therapy in Philadelphia dem jungen Mann direkt in die Blutbahn. Nur wenige Stunden danach fiel er ins Koma, vier Tage später war er tot.

Ob die benutzten Adenoviren tatsächlich schuld an dem tragischen Todesfall waren, müssen die Pathologen noch herausfinden. Bekannt ist jedoch, daß diese als Genfähren benutzten Schnupfenviren bei Menschen häufig Immunreaktionen auslösen, selbst wenn sie gentherapeutisch entschärft wurden und sich nicht mehr vermehren können.

Noch immer sind die Genfähren (Vektoren) das größte Problem für die Gentherapeuten. Retroviren, Adenoviren, Lentiviren und Adeno-assoziierte Viren (AAV) sollen therapeutische Gene in die Körperzellen transportieren. Das Herpes-Virus, welches zu den Lentiviren zählt, befällt fast ausschließlich Nervenzellen und eignet sich daher besonders gut zur Therapie von Demenzerkrankungen oder Gehirnkrebs. AAV sind – trotz ihres Namens – nicht mit den Adenoviren verwandt. Sie kommen ubiquitär bei Menschen vor, verursachen jedoch keine Erkrankung.

Von Natur aus sind Viren wie geschaffen für die Gentherapie, haben sie doch in Millionen von Jahren gelernt, sich Einlaß in die menschlichen Körperzellen zu verschaffen. Das Konzept ist bestechend simpel, doch es funktioniert nicht so einfach, wie man noch vor zehn Jahren dachte. Das hat drei Gründe:

  1. Die Infektionsraten sind zu gering. Dies gilt besonders für ruhende, sich nicht teilende Zellen wie Neuronen.
  2. Viele Viren infizieren nicht spezifisch nur die von den Gentherapeuten anvisierten Zellen. Selbst Keimbahnzellen bleiben mitunter nicht verschont. Gelangen die fremden Gene in Spermien oder Eizellen, können sie an die nächste Generation vererbt werden. Solche Keimbahn-Therapien sind in vielen Ländern verboten.
  3. Die therapeutischen Gene werden nicht lange genug exprimiert, weil entweder das Immunsystem die infizierten Zellen vernichtet oder die Zellen selber die Eindringlinge hinauswerfen.

Zur Lösung dieser Probleme arbeiten die Forscher an den Eigenschaften ihrer Vektoren. "Für jede Art der Gentherapie muß man einen passenden Vektor suchen", meint Stefan Kochanek von der Universität zu Köln. So ist das adeno-assoziierte Virus zwar kaum immunogen, verursacht auch keine toxischen Effekte, kann jedoch nur kleinere DNA-Stücke (bis 4500 Basenpaare) aufnehmen. Die modernsten Versionen von Adenoviren tragen überhaupt kein einziges eigenes Gen mehr. So getarnt entgehen sie besser dem Immunsystem, und die fremden Gene sind länger aktiv. Gewebe- oder Organ-spezifische Rezeptoren, die in die Virushüllen gepflanzt werden, sollen die Vektoren zu den Zielzellen leiten (man spricht von Tropismus) und so die Infektionseffizienz steigern.

Die Pharmaindustrie ist vor allem an den nicht-viralen Liposomen interessiert, denn die Fettkügelchen sind nebenwirkungsfrei und ungefährlich. Doch sie manövrieren sich viel zu selten in die Zellen. Eine Chimäre aus Liposom und Virus, das sogenannte Komplexosom, soll dieses Problem lösen.

Einige Forscher verzichten ganz auf Genfähren jeglicher Art. Reine DNA direkt in die Muskeln oder ins Herz spritzen Forscher von der School of Medicine der Tufts University in Boston. Das Wachstumsgen VGEF soll dort die Neubildung von Blutgefäßen anregen, um die Blutversorgung zu verbessern. Christoph Kalka berichtete, daß nur wenige Wochen nach einer Behandlung mit VGEF durch schlechte Durchblutung verursachte Wunden an Füßen und Beinen von mehreren Patietenten verheilten – und so eine Amputation vermieden werden konnte. Zuvor waren alle konventionellen Therapien gescheitert. Auch Angina-Pectoris-Patienten habe eine Therapie mit VGEF geholfen, so Kalka.

Über 300 Gentherapie-Studien mit 4000 Patienten wurden inzwischen weltweit durchgeführt. Die meisten davon sind Phase I-Studien. Bei dieser ersten von drei Runden, die ein Therapeutikum vor der Zulassung bestehen muß, wird lediglich die Verträglichkeit des Verfahrens getestet. Aussagen über Wirksamkeit können aufgrund des Entwurfs der Studie nicht gemacht werden. Dazu werden zu wenige Patienten getestet, die außerdem meist auch todkrank sind, eine Heilung oder Verbesserung des Zustandes mithin eher nicht zu erwarten ist. Nur 30 Prozent der Studien sind schon in Phase II, befassen sich also mit dem Thema Wirksamkeit. Dazu gehört auch eine Multicenter-Studie zum Eierstockkrebs an der Frauenklinik der Universität Freiburg. Wo in Deutschland welche Gentherapie-Studien gemacht werden, kann man nicht nachschlagen – anders als in den USA gibt es hierzulande kein zentrales Register.

Rund 70 Prozent aller Gentherapie-Studien befassen sich mit dem Thema Krebs. Es gibt verschiedene Therapie-Strategien. Häufig ist das Ziel der Behandlung, die Tumorzellen gezielt in den Selbstmord zu schicken. Bei vielen Krebsarten ist der entscheidende Schalter p53, der geschädigte Zellen zum Selbstmord (Apoptose) veranlaßt, defekt. Eingeschleuste intakte p53-Gene sollen die Tumorzellen töten. Weil aber die Genfähren etwa nur einen Millimeter tief in die Geschwulste eindringen, können größere Tumore so nicht behandelt werden. Daher werden mit p53-Gentherapien nicht die Primärtumore behandelt (die werden operativ entfernt), sondern übriggebliebene Zellen des Krebsherdes oder metastasierende Zellen.

So versuchen etwa David Kirn und seine Mitarbeiter von der Firma Onyx im kalifornischen Richmond metastasierende Gesichts- und Halstumore in den Griff zu bekommen. In einer Phase-I-Studie zeigte sich, daß Adenoviren mit p53-Genen, die in die Tumore gespritzt wurden, bei solchen Krebspatienten im Endstadium alleine nicht wirksam genug sind. Doch die Gentherapie machen die Krebszellen für eine nachfolgende Behandlung mit dem Chemotherapeutikum Cisplatin super-empfindlich. Geheilt habe er noch keinen Patienten, aber "viele [der über 200 behandelten Patienten] leben 18 Monate nach dieser Kombinationstherapie noch immer, während die Lebenserwartung mit konventioneller Therapie nur drei Monate ist", sagt Kirn. Eine Phase-II/III-Studie habe die zuständige amerikanische Gesundheitsbehörde FDA gerade genehmigt. Außerdem seien Studien an Patienten mit Dickdarm-, Lungen- und Eierstockkrebs gestartet worden.

Andere Arbeitsgruppen versuchen, das Immunsystem auf die Krebszellen, die sich trickreich vor den Immunzellen verstecken, aufmerksam zu machen und so einen Selbstheilungs-Effekt auszulösen. An einer solchen Therapie zur Heilung der chronisch lymphatischen Leukämie (CLL) arbeiten Thomas Kipps und seine Mitarbeiter von der University of California in San Diego. CLL ist die häufigste Leukämieform bei Erwachsenen. Dabei vermehren sich die B-Lymphocyten unkontrolliert. Die Krebszellen können der Immunabwehr entgehen, weil der CD40/CD154-Signalweg, der normalerweise das Immunsystem in Gang setzt, nicht funktioniert. CD40 ist ein Oberflächenmolekül der B-Zellen, CD154 der passende Ligand auf den T-Lymphocyten. Die Interaktion zwischen diesen Molekülen aktiviert das Immunsystem. Die Arbeitsgruppe von Kipps entnahm CLL-Patienten einige entartete B-Zellen und transformierte sie mit dem CD145-Gen. Wieder im Patienten zurück aktivierten die veränderten Krebszellen cytotoxische T-Zellen, die nicht nur die mit CD154 markierten Krebszellen zerstörten, vielmehr wurden sie auch auf nicht transformierte entartete B-Zellen aufmerksam. Innerhalb von nur fünf Tagen reduzierte sich bei den Probanden die Zahl der Krebszellen. "Aus dem Blutbild waren sie verschwunden", so Kipps auf der 7. Tagung der Europäischen Gesellschaft für Gentherapie. Auch die zuvor erheblich vergrößerten Lymphknoten schrumpften wieder. Andere Arbeitsgruppen versuchen, Krebszellen mit Tumor-spezifischen Antigenen zu markieren und so die Immunzellen anzulocken.

Den wohl bemerkenswertesten Erfolg einer Gentherapie stellte Alain Fischer vom Hopital Necker in Paris vor. Der Forscher behandelte Kinder mit der angeborenen schweren Immunschwäche SCID (severe combined immunodeficiency). Den Kindern fehlt das Gen für den sogenannten GammaC-Rezeptor. Das GammaC-Protein ist Bestandteil zahlreicher Interleukin-Rezeptoren, die wichtige Vermittlerrollen bei der Differenzierung unreifer Immunzellen spielen. Ein Defekt in GammaC bewirkt eine vollständige Blockierung der Entwicklung von T-Zellen und Killerzellen (NK-Lymphocyten). Die Patienten müssen vor jeder Infektion verschont werden und in steriler Umgebung leben. Die französische Arbeitsgruppe hat unreife Lymphocyten der Kinder entnommen, ein intaktes GammaC-Gen eingeführt und den Kindern in die Blutbahn injiziert. Inzwischen leben zwei behandelte Kinder ohne weitere Therapie zu Hause und sind gegen Infektionen gerüstet. Weil aber unklar sei, wie lange die Gene aktiv bleiben, müßten sie immer wieder getestet werden, betonte Fischer.

Noch im Versuchsstadium die der Plan, winzige Mutationen in Genen gezielt zu korrigieren. Der Vorteil dieser als Chimäroplastie bekannt gewordenen Methode ist, daß nicht ein vollständiges Gen in die Zellen eingeführt werden muß, sondern nur ein etwa 30 Basenpaar kleines Stück Nukleinsäure. Diese Kombination von RNA und DNA korrigiert genau das durch ihre Sequenz vorgegebene und ausgewählte Gen. Unbeabsichtige Nebeneffekte, wie sie bei der willkürlichen Integration von Fragmenten in das menschliche Genom auftreten können, lassen sich so vermeiden.

Erfunden wurde die Chimäroplastie von einem der Altmeister der Gentherapie, R. Michael Blaese von der Firma Kimeragen in Newtown. Die gezielte Genkorrektur funktioniert bei niederen Organismen genauso wie bei Pflanzen, Tieren und menschlichen Zellen. Das chimäre Nukleinsäuremolekül entspricht in seiner Sequenz genau dem Zielgen – mit einer Ausnahme, nämlich der Mutation, die korrigiert werden soll. Diese Methode ist vor allem bei solchen Erkrankungen sinnvoll, bei denen es aussreicht, ein paar Prozent der für den gestörten Stoffwechselprozeß wichtigen Zellen zu korrigieren, um einen stabilen Krankheitszustand zu erreichen. Hämophilie IX etwa ist ein Beispiel dafür. Blaese plant jetzt, erbkranke Amish People mit Chimäroplastie zu behandeln. Weil diese Volksgruppe in Amerika sozial isoliert lebt, hat sich bei ihr das Crigler-Najjar-Syndrom verbreitet. Aufgrund eines Gendefektes kann bei solchen Patienten die Leber das Bilirubin nicht abbauen, was bereits im Kindesalter zu schweren Organ- und Gehirnschädigungen und bald zum Tod führt.

Obwohl nur wenige der auf der Gentherapie-Tagung in München vorgestellten Studien Anlaß zu Optimismus geben, sind die Forscher noch immer zuversichtlich, "einige zuvor tödliche Krankheiten in einen chronischen, gut kontrollierbaren Zustand zu überführen", resümierte Bernd Gänsbacher von der Technischen Universität München.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.