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News: Turbo im Ohr

Selbst für Spezialisten ist der Hörvorgang eine recht haarige Angelegenheit, weil das Gehör sehr sensibel ist und kompliziert noch dazu. Außerdem spielen Haarzellen eine wichtige Rolle: Diese Zellen im Innenohr, mit filigranen Härchen an der Oberfläche, wandeln die Schallwellen in elektrische Reize um, die angeschlossene Nerven dann ins Gehirn leiten. Eine besondere Sorte von Haarzellen setzt diese Impulse gleichsam als Verstärkung in Vibrationen um. Jetzt fanden Wissenschaftler heraus, dass molekulare Motoren diesen Zelltyp in Schwingungen versetzen, sodass sie in der Frequenz der eingetroffenen Schallwellen vibrieren.
Die meisten Tiere, und insbesondere die Säuger, hören auf dieselbe Weise: Der Schall dringt über die Ohrmuschel in den Schädel ein und versetzt das Trommelfell in Schwingungen. Von dort werden die Schallwellen über die Mittelohrknochen Hammer, Amboss und Steigbügel zur Schnecke (Cochlea) geleitet, in deren Innerem das eigentliche Transformationsorgan für den Schall sitzt, das Corti-Organ. Dessen Sinneszellen, die äußeren und inneren Haarzellen – beim Menschen sind es zwischen 16 und 23 Tausend pro Ohr –, werden von so genannten Stützzellen eingerahmt und tragen an ihren oberen Enden die mit der Deckmembran verwachsen Härchen.

Treffen Schallwellen auf die Unterseite der Sinneszellen, dann wird dieser mechanische Reiz durch den gesamten Zellverband weitergeleitet. Diese Bewegung verschiebt die Haarzellen relativ zur Deckmembran und endlich wird der Nervenreiz ausgelöst und zum Gehirn geleitet, das dann interpretiert, ob es sich bei dem Geräusch um eine Opernarie oder das Pfeifen eines Teekessels handelt. Erstaunlicherweise stehen die äußeren Haarzellen mit sehr viel weniger Nerven in Kontakt als die inneren. Dafür gelten die äußeren als mechanische Verstärker für eintreffenden Schall. Das gewährleistet erst die Empfindlichkeit und Frequenzauflösung unseres Gehörs.

Peter Dallos und seine Kollegen von der Northwestern University fanden jetzt heraus, dass molekulare Motoren die äußeren Zellen im Gleichtakt mit den Schallwellen vibrieren lassen und dadurch den Verstärkereffekt bewirken. Die inneren Haarzellen besitzen das notwendige Motor-Protein Prestin hingegen nicht und können somit auch nicht selbstständig schwingen (Nature vom 11. Mai 2000).

Die Biologen analysierten die beiden Haarzell-Typen aus den Ohren von Wüstenspringmäusen auf molekulare Unterschiede und fanden in den äußeren fünf Proteine, welche die inneren nicht aufwiesen. Als sie diese näher untersuchten, stießen sie gleich beim ersten Anlauf auf das Prestin, dass sie nach der in der Musik verwendeten Tempobezeichnung Presto – schnell – benannten. Schließlich kann das Eiweiß bis zu 80 000 mal pro Sekunde hin und her schwingen ohne dabei – und das versetzte Dallos und seine Mitarbeiter erst richtig in Aufregung – auch nur ein Molekül des zellulären Energielieferanten Adenosintrophosphat (ATP) zu verbrauchen, wie es die übrigen bislang bekannten Motor-Proteine Kinesin, Dynein und Myosin, das für die Muskelbewegung verantwortlich ist, in großen Mengen tun.

Offenbar macht sich das Prestin den elektrischen Impuls zu Nutze, den die Haarzelle erzeugt, um das Signal zu den Nerven zu leiten. Um das zu überprüfen, bauten die Wissenschaftler das Prestin-Gen in kultivierte menschliche Nierenzellen ein, die sich normalerweise nicht rühren. Legten sie an die manipulierten Nierenzellen eine Spannung, fingen sie unmittelbar an zu vibrieren. "Wir haben ein Molekül gefunden, das elektrische Energie direkt in eine mechanische Kraft umsetzt", erläutert Dallos, der seit über dreißig Jahren das Gehör untersucht. "Damit könnte man in der Zukunft vielleicht sogar Maschinen im molekularen Maßstab bauen." Die anderen Motor-Proteine sind für solche Zwecke weniger geeignete Kandidaten, schon weil sie viel langsamer sind und außerdem chemische Energie in Form von ATP benötigen.

Doch solche nanotechnologischen Anwendungen will der Wissenschaftler anderen überlassen. Mit seinen Kollegen plant er derzeit Säugetierexperimente, bei denen das Prestin-Gen gezielt ausgeschaltet wird. So wollen sie herausfinden, wie der Hörvorgang funktioniert, wenn der Verstärker-Effekt durch das Prestin wegfällt. Außerdem möchten sie das Protein exakter charakterisieren und erklären, wie die Bewegung zustande kommt.

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