Hirnkartierung: Brillant verdrahtet

Ein Meilenstein in Sandkorngröße
Wissenschaftler des MICrONS(Machine Intelligence from Cortical Networks)-Konsortiums haben den bislang umfangreichsten funktionellen Schaltplan eines Säugetiergehirns erstellt. Möglich wurde dies durch die Zusammenarbeit von mehr als 150 Fachleuten vom Allen Institute, der Princeton University, der Harvard University, dem Baylor College of Medicine, der Stanford University und vielen anderen. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten dabei nicht das gesamte Gehirn einer Maus, sondern lediglich einen winzigen Teil der Sehrinde. Das Volumen von einem Kubikmillimeter hat in etwa das Ausmaß eines Sandkorns. Trotz der geringen Größe enthält der rekonstruierte Schaltplan 84 000 Neurone, eine halbe Milliarde Synapsen und etwa 5,4 Kilometer neuronale Verbindungen – und setzt damit neue Maßstäbe.
Die Fachleute zeichneten zunächst die neuronale Aktivität aus der Sehrinde einer Maus auf, die auf einem Laufband rannte und dabei Bilder betrachtete. Das Nagetier wurde genetisch so verändert, dass seine Neurone immer dann fluoreszierende Proteine freisetzten, wenn sie aktiv waren. Anschließend machte das Team mittels Volumenelektronenmikroskopie außergewöhnlich detaillierte Bilder von Synapsen und den dazugehörigen Neuronen im Nanobereich. Eine künstliche Intelligenz rekonstruierte das Ganze zu einer dreidimensionalen Struktur. Im Folgenden wurden die neuronalen Aktivierungen präzise mit den elektronenmikroskopischen Aufnahmen in Deckung gebracht. So entstand ein umfangreicher funktioneller Schaltplan.
Den Forschenden gelang es damit, neue Zelltypen sowie neue Organisations- und Funktionsprinzipien zu entschlüsseln. Ihre Ergebnisse haben sie in einer Sammlung von zehn Studien in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlicht. Das Schaltbild und die dazugehörigen Daten, die über den MICrONS-Explorer frei zugänglich sind, haben eine Größe von 1,6 Petabyte (das entspricht 22 Jahren ununterbrochener HD-Videos) und bieten nie zuvor gesehene Einblicke in die Hirnfunktion und die Organisation des visuellen Systems. Zu den Einschränkungen zählt jedoch, dass die Daten von einem einzigen Tier einer einzigen Art stammen und daher zunächst nur eingeschränkt verallgemeinerbar sind. Auch handelt es sich nur um eine kleine Region des Gehirns. Um komplette Schaltkreise zu untersuchen, sind umfassendere Karten erforderlich – wofür die Technik aber erst weiter verbessert werden muss.
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