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Kathedrale von Beauvais: Gescheiterte Gigantomanie

Vier Jahre lang galt die Kathedrale von Beauvais als das höchste Gebäude der Welt – dann fiel sie in sich zusammen. So sah die Krönung der Gotik in voller Größe aus.
Eine detaillierte Zeichnung einer gotischen Kathedrale mit einem hohen Turm, umgeben von mittelalterlichen Gebäuden und einer Stadtlandschaft. Die Architektur zeigt filigrane Verzierungen und große Fenster. Im Hintergrund erstrecken sich Felder und Wälder. Menschen sind als kleine Figuren in den Straßen zu sehen. Die Szene vermittelt ein historisches Stadtbild.

Die Kathedrale von Beauvais

Scheinbar schwerelos streben die Kathedralen der Gotik himmelwärts, schaffen lichtdurchflutete Innenräume unter mächtigen Gewölben. Das verlangte nach Geld, architektonischer Präzision und Wagemut. Doch mitunter wurde aus Wagemut ein verhängnisvoller Übermut – wie im Fall der Kathedrale von Beauvais.

Deren Geschichte begann vor genau 800 Jahren mit einem verwegenen Plan, ersonnen vom Bischof der nordfranzösischen Stadt: Seine Kirche sollte die größten Kathedralen der Welt noch einmal an Größe übertrumpfen. Es dauerte bis 1272, dann stand immerhin der Chor. Auf nur sechs Pfeilern ruhte das mit rund 47 Metern bis heute höchste gotische Chorgewölbe. Doch neun Jahre später erwies sich die Konstruktion als zu gewagt: Ein Sturm brachte den Chor teilweise zum Einsturz. Der Wiederaufbau, bei dem die Architekten sechs weitere Pfeiler hinzufügten, war erst ein halbes Jahrhundert später abgeschlossen.

Weitere Baumaßnahmen wurden zunächst durch die Pest und Kriege verhindert. Erst ab 1500 erhielt die Kirche ein Querschiff und einen monumentalen, 153 Meter hohen Vierungsturm. Doch wieder verkalkulierten sich die Baumeister: Nur vier Jahre hielt der Turm, dann gab seine Unterkonstruktion nach. 1573 brach er zusammen. Mit dem Turm kollabierten zugleich alle Ambitionen, die Kathedrale zu vollenden. Wegen des fehlenden Langhauses sind bis heute Sicherheitsmaßnahmen notwendig.

Die aquarellierte Tuschezeichnung von Jean-Claude Golvin zeigt die Kathedrale in der kurzen Phase zwischen 1569 und 1573, als sie dank ihres Turms für vier Jahre das höchste Gebäude der Welt war. Der französische Architekt und Archäologe, der durch seine künstlerischen Rekonstruktionszeichnungen zahlreiche Bücher vor allem zum alten Ägypten und zur römischen Antike bereichert hat, wählte ganz bewusst die Vogelperspektive, um vor Augen zu führen, wie das sakrale Gebäude mit seiner monumentalen Größe die Stadt überragte.

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