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Ein Rezept für die Traum-Apotheke

Allan J. Hobson (Jahrgang 1933) hat sich Großes vorgenommen. Er möchte ein altes, aber misslungenes Projekt Sigmund Freuds (1856 – 1939) endlich zum Erfolg führen: die Gründung der Psychologie und insbesondere der Traumtheorie auf ein neurowissenschaftliches Fundament. Wenn es nach ihm ginge, dann würde die immer noch einflussreiche Psychodynamik Freuds durch eine aktuelle "Neurodynamik " ersetzt, deren Grundzüge Hobson vorstellt. Das ist kein bescheidenes Unterfangen; doch der Autor verfügt über jahrzehntelange Erfahrung als Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School und gilt als einer der bedeutendsten Schlafforscher unserer Zeit.

Nach der Auffassung Hobsons vermitteln sowohl die wissenschaftliche als auch die subjektive Untersuchung von Träumen Einsichten in die Funktionsweise des Bewusstseins – bei Gesunden wie bei psychisch Kranken. Wir alle, so der Autor weiter, erleben in unseren Träumen Amnesien oder psychotische (Wahn-)Vorstellungen, und gesunde Menschen unterscheiden sich von den kranken lediglich dadurch, dass sie im Wachzustand davon verschont bleiben. Die zu Grunde liegenden Arbeitsprozesse des Gehirns seien jedoch prinzipiell von gleicher Art. Daher widmet Hobson sich ausführlich den neurobiologischen Grundlagen, erklärt und veranschaulicht die Arbeitsweise zentraler Stoffwechselsysteme und macht deutlich, zu welchen Problemen Funktionsstörungen führen.

Am provokantesten ist wohl seine Kritik an Freuds Idee der Traumdeutung und damit auch an der psychoanalytischen Praxis. Da Freud nicht über das neurowissenschaftliche Wissen unserer Zeit verfügte, sei sein Versuch einer neurobiologisch fundierten Psychologie zum Scheitern verurteilt gewesen und seine "verfehlte" Traumtheorie nur ein magerer Ersatz für das große Projekt.

Freud und die moderne Neurowissenschaft

Hobson ist jedoch selbst ein erklärter Liebhaber von Traumtagebüchern. Nur bedürfen Träume seiner Theorie zufolge keiner Deutung, da sie auf spontanen Aktivierungen des Gehirns basieren. Wie in einem Wörterbuch übersetzt er psychodynamische Begriffe in eine neurowissenschaftliche Sprache und will damit zeigen, dass die psychoanalytische Erklärung überflüssig ist. Beispielsweise seien Emotionen als Traumphänomen nicht Folge einer "sekundären Abwehrreaktion des Ich", sondern "Primäraktivierungen des limbischen Systems".

An dieser Stelle wird deutlich, dass der deutsche Text eine beinahe zehn Jahre alte Vorlage wiedergibt. Gerade im Bereich von Bewusstseinsforschung und Psychopharmakologie haben Theorien jedoch eine kurze Halbwertszeit. So erfuhr Hobson seit dem Erscheinen der Originalausgabe seines Buchs 2002 viel Widerspruch, und zwar nicht nur von Psychoanalytikern. Auf der internationalen Bewusstseinskonferenz in Tucson (Arizona) 2006 wurde eigens eine "Dream Debate" zwischen ihm und Mark Solms organisiert, auf der Freuds Traumtheorie zur Disposition stand. Solms, der ebenfalls neurowissenschaftlich arbeitet, verteidigte dort die Kompatibilität zentraler Annahmen Freuds mit den Ergebnissen der heutigen Neurowissenschaft. Die anschließende Abstimmung unter den mehreren hundert Teilnehmern gewann er haushoch. Die Kontrahenten zeigten sich anschließend versöhnt; ob Hobson seitdem zumindest ein Stück von seinem Standpunkt abgerückt ist, verrät uns das Buch auf Grund seines Alters leider nicht.

Darüber hinaus lässt die Übersetzung selbst zu wünschen übrig. Flüchtigkeitsfehler und sogar übersehene Steuerzeichen für den Satz lassen auf mangelnde Sorgfalt schließen. Eigenwillige Fachausdrücke wie "Frischgedächtnis " statt des geläufigen Wortes "Kurzzeitgedächtnis " wirken verwirrend. Und da, wo der Autor die absurde Behauptung aufzustellen scheint, die Einnahme eines bestimmten Antidepressivums könne zu Depressionen führen, hat der Übersetzer schlicht zwei Begriffe verwechselt, die heimtückischerweise dieselbe Abkürzung haben: Nicht die wiederkehrende kurze Depression (recurrent brief depression, RBD), sondern die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (REM sleep behavior disorder, RBD) war gemeint.

Zudem ist der Titel irreführend: Es geht in dem Buch nicht um das "optimierte Gehirn" im Sinn der aktuellen Debatte um das "Gehirndoping", die Verbesserung des Denkens und Fühlensdurch neurowissenschaftliche Mittel. Die "Traum-Apotheke" ("dream drugstore ") des Originaltitels ist eine Metapher für das Gehirn und seine biochemische Konfiguration, in der Bewusstsein entsteht und durch Eingriffe verändert werden kann.

Hobsons Buch hat noch einen weiteren Schwerpunkt, der eher zeitlos und damit auch von obiger Kritik weniger betroffen ist: bewusstseinsverändernde ("psychedelische") Drogen. In Anlehnung an die psychonautische Bewegung aus den 1950er und 1960er Jahren diskutiert er die psychedelische Wirkung von Substanzen wie LSD, dem aus Kakteen gewonnenen Meskalin oder dem Psilocybin aus bestimmten halluzinogenen Pilzen. Die durch sie ausgelösten biochemischen und subjektiven Veränderungen macht er für die wissenschaftliche Analyse nutzbar und integriert sie in sein Bewusstseinsmodell. Gleichzeitig warnt er vor einem unbedachten Einsatz sowohl von Drogen als auch von Psychopharmaka, zwischen denen er ohnehin keine scharfe Grenze zieht. Beide könnten neben akuten Problemen auch zu bleibenden Schlafstörungen führen.

Das Buch hat ein interessantes Thema, ist unterhaltsam geschrieben und profitiert vom Erfahrungsreichtum des Autors. Insoweit ist es durchaus empfehlenswert. Allerdings hätte ich wegen der mangelnden Aktualität und der Schwächen der Übersetzung doch ernsthafte Zweifel, ob mir das Werk 30 Euro wert wäre.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 5/2011

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