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Eine Welt voller Symmetrien

Der Mathematiker spielt ein Spiel, bei dem er selbst die Regeln erfindet, während der Physiker ein Spiel spielt, bei dem die Regeln von der Natur vorgegeben werden, doch im Lauf der Zeit wurde immer deutlicher, dass die Regeln, welche die Mathematiker interessant finden, dieselben sind, die auch die Natur gewählt hat." So erklärte der britische Physik-Nobelpreisträger Paul Dirac (1902 – 1984) die Gemeinsamkeiten von Physik und Mathematik. Ian Stewart, Professor für Mathematik an der University of Warwick in Coventry, produktiver Sachbuchautor und langjähriger Verfasser der "Mathematischen Unterhaltungen" dieser Zeitschrift, belegt in seinem neuen Buch diese These an einem prominenten Beispiel: den mathematischen Konzepten Symmetrie und Gruppe, die zu Fundamenten der modernen Physik wurden.

Symmetrien sprechen unser Schönheitsempfinden an; sie finden sich in Architektur und Kunst, etwa in der maurischen Festung Alhambra in Granada oder in den Werken Maurits C. Eschers, ebenso wie in der Natur, zum Beispiel an dem Schmetterling, der auf dem Buchumschlag abgebildet ist. Stark abstrahiert, dient das Konzept der Symmetrie den Mathematikern, um die Frage nach der Lösbarkeit algebraischer Gleichungen zu beantworten. Der französische Mathematiker Évariste Galois (1811 – 1832) entwickelte kurz vor seinem tragischen Tod im Duell ein Verfahren, mit dessen Hilfe sich entscheiden lässt, ob die Lösungen einer Gleichung fünften Grades durch algebraische Ausdrücke darstellbar sind oder nicht.

Vor Galois hatten sich bereits Generationen von Mathematikern mit dem Problem beschäftigt, wie Stewart in der ersten Hälfte seines Buchs berichtet. Schon die alten Babylonier konnten quadratische Gleichungen lösen; etliche Jahrhunderte verstrichen, bis der persische Mathematiker Omar Khayyam (um 1048 – 1123) zumindest geometrische Lösungen für kubische Gleichungen mit Hilfe von Kegelschnitten konstruieren konnte. Zur Zeit der Renaissance fanden italienische Mathematiker rein algebraische Lösungen für Gleichungen dritten oder gar vierten Grades und stellten ihre Fähigkeiten in publikumswirksamen Wettbewerben zur Schau.

Schönheit als Prüfstein für die Wahrheit

Den für Galois' Werk zentralen Gruppenbegriff erklärt Stewart geometrisch am Beispiel eines gleichseitigen Dreiecks: Drehen wir es um 120 Grad, erscheint die Figur unverändert, ebenso, falls man das Dreieck um 240 Grad dreht oder es so geschickt umklappt, dass eine Ecke an ihrem Platz bleibt, während die beiden anderen ihre Plätze tauschen. Gemeinsam mit der Identität gibt es für ein gleichseitiges Dreieck insgesamt sechs derartige Transformationen, welche dessen Struktur unverändert lassen. Sie bilden die zugehörige Symmetriegruppe.

An diesem Beispiel zeigt sich die besondere Stärke des Autors: Stewart schafft es, auch vermeintlich sperrige mathematische Konzepte anschaulich und gut nachvollziehbar zu vermitteln; Abbildungen (leider nur schwarz-weiß) erleichtern das Verständnis. Am meisten gefallen hat mir aber die spürbare Begeisterung, mit der Stewart uns die Welt von Mathematik und Physik nahebringt. Droht das Thema doch einmal allzu trocken zu werden, streut der Autor geschickt Geschichten aus dem Leben der beteiligten Mathematiker ein – alle nicht neu, aber immerhin aus neuer Perspektive erzählt. Nur die Übergänge zwischen den lockeren historischen Abstechern und den mathematischen Konzepten hätten etwas eleganter ausfallen können.

Im zweiten Teil des Buchs stehen die Anwendungen von Symmetrie und Gruppentheorie in der Physik im Mittelpunkt. So erklärt Stewart das Konzept der Supersymmetrie mit dem Problem eines widerspenstigen Korkens, der in mehrere verschiedenartige Flaschenöffnungen passen soll (Bild links unten). Oder wie der Physik-Nobelpreisträger Eugene Paul Wigner (1902 – 1995) mit Hilfe der Gruppentheorie fundamentale Gesetze der Quantenmechanik aufstellte. Letztlich lehren den Autor die skizzierten Entwicklungen, dass "die wahre Stärke der Mathematik in der bemerkenswerten Fusion aus dem menschlichen Sinn für Muster ("Schönheit") mit der physikalischen Welt liegt, die sowohl ein Prüfstein der Wirklichkeit ("Wahrheit") als auch eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration ist".

Insgesamt hebt sich "Die Macht der Symmetrie" wohltuend von all jenen Büchern ab, welche mit geradezu psychologischem Eifer die allenthalben grassierende Furcht vor der Mathematik analysieren und zu überwinden versuchen. Alles in allem ein sehr spannendes Buch, wie man es sich für die Mathematik häufiger wünscht.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 12/2009

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