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Hoffnung für die Vögel

Von den rund 260 heimischen Vogelspezies werden 110 auf der Roten Liste der bedrohten Arten geführt, 30 stehen unmittelbar vor dem Aussterben. Bei solcher Ausgangslage hätte Daniel Lingenhöhl durchaus ein Untergangsszenario entwerfen können. Doch der Wissenschaftsjournalist und passionierte Ornithologe zieht lieber eine differenzierte Bilanz der aktuellen Entwicklung, um zu einem Wandel in unserem Verhalten zu ermutigen.
In neun reichhaltig bebilderten und mit jeweils eigenen Literaturverzeichnissen versehenen Kapiteln werden alle für den Vogelschutz relevanten Themen erörtert. Lingenhöhls umfassende und allgemein verständliche Darstellung bietet neben detaillierten Problembeschreibungen stets auch konkrete Lösungsvorschläge. Allein schon wegen der Vielzahl vorgestellter Vogelschutzmaßnahmen, die vergleichsweise wenig kosten und dennoch viel bewirken, lohnt die Lektüre.
Ursächlich für den drohenden Artenschwund ist der Verlust an naturbelassenen Lebensräumen. Vor allem die fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft schadet der heimischen Vogelwelt. Hinzu kommen die Jagd, das ausgreifende Freizeitverhalten sowie zunehmend auch die Veränderungen durch den Klimawandel.
Dass Vogel- und Naturschützer nicht nur lokale, sondern auch globale Herausforderungen zu bewältigen haben, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass allein aus Europa und Sibirien jeden Winter mehr als 200 Vogelarten mit rund fünf Milliarden Individuen westund südwärts ziehen. Mindestens 200 Millionen dieser Zugvögel werden bereits innerhalb des EU-Gebiets – insbesondere in Spanien, Frankreich und Italien – Opfer der Jagdleidenschaft. Noch größer ist der Blutzoll auf dem Balkan und im Nahen Osten.
In Frankreich landen – trotz offiziellen Fangverbots – jede Saison mindestens 65 000 Ortolane (Emberiza hortulana) auf den Tellern der Gourmets; in Unterfranken ist der Bestand dieser Ammernvögel binnen 20 Jahren um mehr als 70 Prozent gesunken. Aber auch Deutschland bietet Anlass zur Empörung: In der Jagdsaison 2007/2008 erlegten heimische Waidmänner mehr als 18 000 Waldschnepfen (Scolopax rusticola), obwohl diese Spezies auf der Roten Liste steht.
Vielerorts sind die beharrlichen Kampagnen der Vogelschützer jedoch von Erfolg gekrönt und sorgen für eine bessere Umsetzung der EU-Vogelschutzrichtlinie: So wurde auf Malta – wohl erstmals seit der Zeit der Ritter – inzwischen die Frühjahrsjagd verboten. Slowenien stellte die Bejagung der Zugvögel völlig ein; in Belgien ist der Fang von Singvögeln nunmehr endgültig verboten. Und die Niederlande haben die Jagd auf Gänse, die als Gäste aus der Arktis im Wattenmeer überwintern, zumindest eingeschränkt.
Nicht nur der Mensch geht auf Vogeljagd: In Großbritannien beispielsweise gibt es rund neun Millionen Hauskatzen, in deren Fängen jährlich zwischen 100 bis 275 Millionen Vögel verenden. Ein Glöckchen um den Hals der Stubentiger, so eine Studie der University of Glasgow, würde bereits genügen, um die Opferzahlen zu halbieren.
In Deutschland schießt man weniger auf Vögel, und die Katzendichte ist deutlich geringer als anderswo. Aber dafür werden hier zu Lande naturnahe Lebensräume geradezu systematisch zerstört. Das "Schweigen der Felder" ist vor allem eine Folge der industriellen Landwirtschaft. Chlororganische Gifte wie DDT sind zwar erfreulicherweise inzwischen verboten, doch auch die neuen Chemikalien sind fatal. Sie vergiften nicht mehr die Vögel selbst, sondern vernichten ihre Nahrungsgrundlage. 2007 waren in Deutschland 660 verschiedene so genannte Pflanzenschutzmittel zugelassen. 41000 Tonnen davon wurden auf die Fläche ausgebracht – 15 Prozent mehr als im Jahr 2000.
Geradezu in den "Schwitzkasten" gerät die Vogelwelt durch den Klimawandel. Die globale Erwärmung bringt den Rhythmus der Natur durcheinander, verschiebt Verbreitungsgebiete und verändert das Zugverhalten. Kurzund Mittelstreckenzieher wie Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros), Star (Sturnus vulgaris) und Stieglitz (Carduelis carduelis) passen sich an, indem immer mehr Individuen bei milder Winterwitterung auf den Zug ans Mittelmeer verzichten.
Eine andere Anpassungsstrategie besteht darin, früher aus den Überwinterungsgebieten heimzukehren und entsprechend früher zu brüten. Denn infolge des Klimawandels verlagert sich das massenhafte Auftreten vieler Raupenarten nach vorne. Nur wenn die Vögel diesem Trend folgen, haben sie eine Chance, das Nahrungsmaximum noch zur Aufzucht ihrer Jungen zu nutzen.
Im Vergleich zu 1960 haben bereits 24 Arten ihre Ankunft vorverlegt – im Schnitt um 8,6 Tage. Feldlerchen (Alauda arvensis) kehren sogar einen ganzen Monat früher ins Brutgebiet zurück, Mehl- und Rauchschwalben (Delichon urbicum und Hirundo rustica) immerhin zwei Wochen. Zusätzlich lassen sich die Weibchen immer weniger Zeit, sich von den Strapazen des Zugs zu erholen, beeilen sich mit dem Eierlegen und bringen entsprechend schwächeren Nachwuchs hervor.
Manchen Vögeln misslingt die Anpassung an den vorverlegten Zeitplan ihrer Nahrungsquelle. Durch diese Desynchronisation sind manche Populationen der Trauerschnäpper (Ficedula hypoleuca) zusammengebrochen – Bestandsrückgang bis zu 90 Prozent.
Auch ohne Klimawandel bilden Feldvogelarten die am stärksten bedrohten Artengruppe. Sie sind die eigentlichen Modernisierungsverlierer. Dabei ist es oftmals recht einfach, bedrängten Bodenbrütern zu helfen, etwa durch Anlegen von "Feldlerchenfenster" – kleineren Flurstücken, die inmitten großer Felder von der intensiven Bewirtschaftung ausgespart bleiben. Die besten Erfolge bringt eine Rückkehr zu extensiveren Formen der Landwirtschaft. So wurde 2001 in Schleswig-Holstein eine größere Versuchsfläche auf Ökolandbau umgestellt – und schon ein Jahr später waren dort dreimal so viele Feldlerchen zu finden.
Obwohl sich in den letzten 30 Jahren die Lage der heimischen Vogelwelt insgesamt dramatisch verschlechtert hat, gibt es beachtliche Erfolge zu vermelden. So konnten sich Waldvogelbestände erholen, etwa durch den Erhalt totholzreicher Bestände, die Ausweisung zusätzlicher Schutzzonen sowie die Umwandlung von Monokulturen in Mischwälder.
Naturschutz bringt also etwas. Manch düsterer Prognose zum Trotz nahmen in den vergangenen beiden Jahrzehnten in Deutschland Weiß- und Schwarzstorch (Ciconia ciconia und Ciconia nigra), Fischadler (Pandion haliaetus), Blaukehlchen (Luscinia svecica), Eisvogel (Alcedo atthis), Uhu (Bubo bubo) und Kolkrabe (Corvus corax) in ihren Beständen zu. Diese Arten stehen entweder nicht mehr auf der Roten Liste oder sind kurz davor, wieder herausgenommen zu werden. Erreicht wurde dies durch konsequente Schutzmaßnahmen, teilweise in enger Zusammenarbeit mit Jägern, Anglern, Freizeitsportlern und Landwirten.
Auch für den Naturschutz gilt: Zustimmung erhält nur, wer stimmig argumentiert. Lingenhöhls überzeugende Darstellung bietet nicht nur wertvolle Hilfen zur Argumentation, sondern auch zum Handeln.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 8/2011

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