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Tierischer Sex

"Vorsicht! Dieses Buch ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet. Es enthält explizite Darstellungen sexueller Handlungen und einschlägiges Vokabular", warnt der Text auf dem Rückendeckel und fährt fort: "Zur Nachahmung nur bedingt empfohlen". In der Tat: Ein Doppelpenis zur Einführung in eine doppelte Vagina und die überlange Version, mit welcher der Jüngling an der halben Familie vorbei die alte Dame begatten kann, klingen eher nach schlüpfriger Internetwerbung als nach Wissenschaft.

Ganz so schlimm ist die Sache nicht: Tobias Niemann schildert in "Kamasutra kopfüber" das originelle Fortpflanzungsverhalten diverser Tierarten – vom Nordopossum, bei dem Männlein wie Weiblein über besagte doppelte Geschlechtsorgane verfügen, über Fledermäuse, die es kopfüber hängend von hinten tun, bis hin zum Maulwurf, der seine Geschlechtspartnerin nach der Begattung mit einer Art Keuschheitspfropf zustöpselt, damit auch ja kein anderer mehr zum Zuge kommt. Reine Naturbetrachtungen also.

Der Autor ist selbst Biologe und als Geschäftsführer eines interdisziplinären Forschungszentrums für Neurowissenschaften eher mit anderen Themen befasst. Aber die Vielfalt der Fortpflanzungsrituale auf unserem Planeten hat es ihm ganz offensichtlich angetan. Und er hat Spaß daran, seine tierischen Protagonisten in herrlichster Weise menscheln zu lassen. Der amüsantschlüpfrige Unterton garantiert lautes Lachen während der Lektüre.

Ganze Familien der Pantoffelschnecke – unter Austernzüchtern besser als Austernpest bekannt – verbacken sich zu einer Art Turm. Ganz zuoberst sitzt der jüngste Vertreter der Sippe, ein Männchen, das aber schon mit der nächsten Generation langsam, aber sicher verweiblichen wird. In den Schichten darunter stecken Schnecken, die beide Geschlechter tragen, aber unfruchtbar sind. Ganz unten dann als Familienälteste das fruchtbare Weibchen, das es nun zu begatten gilt – und zwar an sämtlichen anderen Generationen vorbei, mit dem eingangs erwähnten Riesenpenis.

"Zur Nachahmung nur bedingt empfohlen" ist auch das Leben des Riesenanglers. Ein männlicher Vertreter dieses Tiefseefischs lässt von einem einmal gefundenen Weibchen nie mehr ab; er verwächst für den Rest seines Daseins mit ihr, und seine Organe verkümmern – bis auf das eine.

Insgesamt 77 der originellsten Paarungsmethoden im Tierreich hat Niemann in seinem Buch zusammengetragen. Viele davon sind mit lustigen Illustrationen des österreichischen Grafikers Günther Mattei geschmückt. Bei durchschnittlich eineinhalb Seiten pro Tier bleibt allerdings kein Raum für große Erklärungen. "Kamasutra kopfüber. Die 77 originellsten Formen der Fortpflanzung" eignet sich eher als kurzweilige Gutenacht- oder Zwischendurchlektüre denn als Werk zur Wissenserweiterung.

Wer mehr erfahren möchte, wird bei Markus Bennemanns "Evolution im Liebesrausch" fündig. Auch Bennemann hat (unter anderem) Biologie studiert und als freier Autor bereits einen Band veröffentlicht, in dem er Tötungsdelikte im Tierreich aufdeckt ("Im Fadenkreuz des Schützenfisches. Die raffiniertesten Morde im Tierreich").

Anders als Niemann beschränkt er sich nicht auf das schlichte Beschreiben, sondern bemüht auch wissenschaftliche Untersuchungen. So erfahren wir etwa, dass die Leipziger Primatologen Gottfried Hohmann und Barbara Furth das gängige Bild von den Bonobos hinterfragen. Ihrer Ansicht nach verdanken die berühmten Zwergschimpansen ihr entspannt-paradiesisches Leben, bestimmt durch "Love, Peace and Happiness", schlicht der Tatsache, dass sie es sich leisten können. Sie leben in einer Umgebung, in der es Nahrung in Hülle und Fülle gibt. Herrscht dagegen Mangel, so halten sie es wie ihr größerer Verwandter, der Gemeine Schimpanse: Sie werden gemein! Plötzlich steigt auch hier der Aggressionspegel, und mit dem Kopulieren in allen (Lebens-) Lagen ist es schnell vorbei. Auch wenn ein Weibchen fruchtbar ist und es nicht mehr allein um nette Liebesspiele geht, sondern um die Weitergabe der Gene, verstehen die Bonobos keinen Spaß mehr.

Dem wissenschaftlichen Anspruch entsprechend ist Bennemanns Buch etwas anders aufgebaut. Statt einzelne Tierarten und ihre Praktiken abzuklappern, gliedert sich "Die Evolution im Liebesrausch" nach sexuellen Vorlieben mit Kapitelüberschriften wie "Ewige Jungfrauen", "Transvestiten" oder "Samenräuber" und behandelt im jeweiligen Kapitel gleich mehrere Vertreter, die dazu etwas beizutragen haben.

Auch Bennemann fehlt es nicht an Wortwitz und dem Hang zu zweideutigen Formulierungen, so dass der Leser auch hier genug zu lachen hat. Kleine Kostprobe gefällig? Die männlichen Strauße gehören zu den wenigen Vögeln (wer hat eigentlich den bescheuerten Begriff "vögeln" erfunden?), die eine Art Penis ihr Eigen nennen können. Den lässt er dann auch "während der Balzdarbietungen stolz vor- und zurückwippen". Kommt der Riesenvogel dann endlich zur Sache, "macht er zunächst noch seine rhythmischen Seitwärtsbewegungen, geht jedoch bald dazu über, dermaßen erregt die weißen Endfedern seiner schwarzen Flügel zu schütteln, dass bald auch noch das dümmste Gnu kapiert, was die beiden Strauße dort treiben." Und was tut die Henne so lange? Sie hackt mit dem Schnabel einen Halbkreis aus kleinen Einkerbungen in den Boden! Mit diesem Wissen, so meint Bennemann, könne man sogar bei der nächsten Safari prahlen.

Wenn Sie mehr über tierischen Sex erfahren wollen, dann schmökern Sie am besten in beiden Büchern. Keines vermag das andere wirklich zu ersetzen, und lustig sind sie beide allemal.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 12/10

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