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AAAS-Jahrestagung: Kreationismus, Drogen und die Google-Story

Antje Heidemann
Wer hier auf der "Triple-A-S"-Konferenz mithalten will, muss früh aufstehen: Als sich um 8.20 Uhr die Fahrstuhltüren zum 25. Stock des Hotel Nikko öffnen, kommen mir schon einige Journalisten wieder entgegen. Das Pressefrühstück, auf dem die Europäische Kommission über das 7. Rahmenprogramm für Forschungs- und Technologieentwicklung informiert, sollte laut Programm von 8 Uhr bis 9 Uhr stattfinden, doch nun bekomme ich nur noch die abschließenden Fragen zu hören und leergegessene Teller zu sehen.

Tagungshotels | Noble Tagungsorte: Im Hotel Hilton (links) und dem Hotel Nikko (rechts) treffen sich derzeit in San Francisco tausende Wissenschaftler, Journalisten und Entscheidungsträger zur Jahrestagung der AAAS.
Allerdings liegt genügend Infomaterial aus, dem zu entnehmen ist, dass das Programm ein Gesamtbudget von über 50 Milliarden Euro hat, was eine Budgeterhöhung von 63 Prozent gegenüber dem Vorläuferprogramm FP6 darstellt. Das Geld ist größtenteils für Forschungsubventionen veranschlagt und soll nationale Forschungsprogramme unterstützen, die einen "europäischen Zusatznutzen" haben. Aber auch individuellen Teams ohne transnationale Zusammenarbeit kann das Programm zugute kommen, wenn dadurch der wissenschaftliche Wettbewerb innerhalb Europas gefördert wird. Außerdem liegt seit dem 9. Februar eine Vereinbarung zwischen der EU und den USA vor, in Zukunft mit Hinsicht auf Umweltaspekte stärker zusammenzuarbeiten.

Dem Programm nach gibt es heute einige interessante Symposien, von denen die meisten mit der Erhaltung unserer Umwelt zu tun haben. Auf dem Weg ins Hilton komme ich am im Flur aufgestellten Frühstücksbuffet des AAAS-Komitees zum "öffentlichen Verständnis von Wissenschaft und Technologie" vorbei. Die Komiteemitglieder waren offenbar weniger hungrig oder besser versorgt als die Journalisten, denn hier ist noch etwas vom Frühstück übrig. Sowieso gibt es auf den Fluren vor den Konferenzräumen überall umsonst eisgekühltes Wasser und Kaffee.

Anti-Evolutionismus diesseits und jenseits des Atlantiks

Bemerkenswert finde ich ein Symposium mit dem Titel "Anti-Evolutionismus in Europa: Ängstlich sein, sehr ängstlich sein oder nicht?". Nach einer nicht lange zurückliegenden Umfrage glaubt ein erstaunlich großer Anteil von US-Amerikanern nicht an die Evolutionstheorie – amerikanische Wissenschaftler fragen sich nun, warum diese Bildungslücke in Europa wesentlich kleiner ist. Das Symposium versucht, jene Frage zu beantworten und festzustellen, ob der Anti-Evolutionismus auch in Europa bald um sich greifen könnte.

Ich als Nichtraucherin entscheide mich jedoch für ein Symposium mit dem Titel: "Abhängigkeit und das Gehirn: Sind wir für den Drogenmissbrauch prädestiniert?" Joanna Fowler vom Brookhaven National Laboratory berichtet über in Tabak enthaltenen Substanzen, die eine Nikotinabhängigkeit verstärken. Sie hemmen das Enzym Monoaminoxidase (MAO), das zum Dopaminabbau beiträgt. So bleibt der durch Nikotin erhöhte Dopaminlevel länger oben. Die erhöhte Konzentration dieses Neurotransmitters wiederum stimuliert das körpereigene Belohnungssystem, was ein Wohlgefühl auslöst und Suchtpotenzial hat. Die Gabe eines MAO-Hemmers half Rauchern dabei, das Rauchen aufzugeben.

Der Wissenschaftlerin zufolge sollten weitere Tabakinhaltsstoffe besser untersucht werden. Fowler weist außerdem darauf hin, dass ein extrem großer Prozentsatz von psychisch Kranken oder Drogenabhängigen raucht und dass dies eine Art der Selbstmedikation sein könnte – also eine unbewusste Maßnahme, einen niedrigen Dopaminspiegel auszugleichen.

Feinheiten des Schnüffelns

Im selben Symposium macht Stephen Dewey – ebenfalls vom Brookhaven National Laboratory – darauf aufmerksam, dass Lösungsmittelschnüffeln unter Jugendlichen relativ weit verbreitet ist, dass aber nicht alle Lösungsmittel gleich wirken. Während Toluol abhängig mache, wäre das bei Aceton nicht der Fall. Häufiges Toluolschnüffeln könne sogar die Gehirnstruktur verändern und den Glukosestoffwechsel des Hirns verlangsamen. Die unterschiedlichen Wirkweisen scheinen mit der für die Substanz typischen Aufnahmerate im Gehirn zusammenzuhängen.

Genug der Drogen, weiter geht es zu einem Symposium über "Emissionsreduktion und Verbesserung der Treibstoffeffizienz von US-Automobilen" – um bei einem Thema von gestern anzuknüpfen. Der Transportsektor ist für ungefähr ein Drittel des CO2-Ausstoßes der USA verantwortlich, und dieser muss nun – daran zweifelt auf dieser Konferenz wohl niemand – möglichst schnell gesenkt werden. Robert Sawyer, erster Redner und Mitglied des California Air Resource Boards bemerkt leicht zynisch, die Notwendigkeit zu handeln errege die Aufmerksamkeit der Kalifornier, beziehungsweise eigentlich hauptsächlich die ihres Gouverneurs Arnold 'Schwurzenegger'.

Es lässt sich heraushören, dass es eine einfache Lösung oder die durchschlagende neue Technologie nicht zu geben scheint. Stattdessen plädieren die Redner dafür, nicht mehr zu lange auf solcherart Komplettlösungen zu hoffen und zu warten, sondern sofort eine Kombination vieler kleiner Schritte und verfügbarer Technologien anzuwenden, die zusammen schon sehr viel erreichen würden. Einer dieser Schritte könnte die Herstellung leichterer Autos sein, ein weiterer die von Hybridfahrzeugen, welche teilweise mit Strom aus der Steckdose aufladbar wären, teilweise mit Ethanol angetrieben würden. Allerdings wies Daniel Kammen von der Universität von Kalifornien in Berkeley darauf hin, dass die Umweltverträglichkeit von Ethanol stark von seiner Herstellungsweise abhänge.

Mageres Interesse für den Nachwuchs

Es ist Zeit für die "American Junior Academy of Sciences Poster Session". In der Austellungshalle befinde ich mich fast alleine. Die wissenschaftlichen Fortschritte der Nachwuchswissenschaftler scheinen ihre älteren Kollegen jedefalls zur Mittagszeit nicht allzu besonders zu interessieren.

Postersession | Leere Hallen: Wie viel Mühe haben so manche Nachwuchswissenschaftler in die Posterpräsentationen ihrer Arbeit gesteckt. Das Interesse der gestandenen Kollegen bleibt leider mager.
Ich will mir ein Poster mit dem angekündigten Titel "Eine Studie zu den Herausforderungen und Vorteilen der Sojabohnenproduktion" ansehen und finde einen Beitrag zum Nährwert von Baumwollsamen vor. Baumwollsamen sind heutzutage demnach weitestgehend Gossypol-frei. Das ist beruhigend für alle, die gerne Baumwollsamen essen und Nachwuchs planen, denn in China testet man Gossypol gerade als Verhütungsmittel bei Männern (worauf auch das Poster verweist). Ob Baumwollsamen wirklich nahrhafter sind als einige andere Samen, konnte mit den angewandten Analysemethoden nicht geklärt werden, ist zu lesen.

Ein anderes Poster klingt sehr interessant. Es ist betitelt mit "Mars und Mikroorganismen: Eine Studie von Bakterien auf dem Mars". Leben auf dem Roten Planeten? Nun, nicht ganz: Unter marsähnlichen Bedingungen – geringerer Luftdruck, andere Luftzusammensetzung und niedrigere Temperatur – wachsen Kulturen des Darmbakteriums Escherichia coli in drei Wochen nur etwas über ein Drittel so schnell wie in Kontrollversuchen, ist das Resultat. Hier hat jemand das Prinzip der Selbstvermarktung verstanden.

Später komme ich mit dem finnischen Direktor für Entwicklung und Evaluation der "Akademie von Finnland" ins Gespräch. Er hat den unglaublich finnischen Namen Paavo Löppönen und spricht ebenso unglaublich gut Deutsch. Unter anderem fungiert er als Wissenschaftsethikberater der finnischen Regierung. In diesen Funktionen hat er gerade die auf einer Analyse der jetzigen Situation Finnlands beruhenden Leitlinien "Finnsight" mit abgefasst. Sie sollen helfen, Schwachstellen des Landes in zehn verschiedenen Bereichen, unter anderem ökologischen, auszugleichen.

Internationaler Empfang | Lockeres Gespräch: Der Direktor der Akademie von Finnland (Mitte, am Fenster) beim internationalen Empfang.
Löppönen nimmt mich anschließend mit zu einem Empfang japanischer und koreanischer Wissenschaftler, denn er ist beruflich direkt nach dieser Konferenz in Japan unterwegs. Das Finnsight-Heft gibt es tatsächlich auch abgefasst auf Japanisch. Auf dem Namensschild eines japanischen Biochemikers und ebenfalls Wissenschaftsethikers am selben Tisch wie wir, steht der Name Rockbill Haklak. Doch bevor ich darüber länger nachgrübeln kann, erscheint Larry Page, Mitgründer von Google Inc., auf dem Podest.

Google trifft Wissenschaft

Er wirkt eher wie ein einfacher Student und ist auch ein bisschen schlecht zu verstehen, aber das Publikum – der Continental Ballsaal 4-6 des Hilton ist gerammelt voll – frisst ihm trotzdem aus der Hand und kichert viel an den richtigen Stellen. Mit Humor und Leichtigkeit erzählt er seine und die Erfolgsgeschichte von Google und projiziert dabei Sätze and die Wand wie "Take positions of power" oder "Try to change the world". Ganz klar wurde er eingeladen, um etwas krea- und provokativen frischen Wind in die Konferenz zu bringen und um neue Denkanstöße zu geben.

Er spricht dann auch Punkte an, die auf dieser Konferenz viel diskutiert werden – doch in einer etwas unkonventionellen Weise. Zum Thema Transport und Autos wirft der Projektor einen Motordrachenflieger an die Wand. Page erklärt, er glaube an Automatisierung oder Fixtransport auf Knopfdruck ohne Fahrer. Aber wenn sie sich schon individuell fortbewegen müssten, dann könnten Menschen in zahlreichen unwegsamen Gegenden doch viel besser solche kleinen Flieger mit teilweisem Autopiloten fliegen als Autos zu fahren. Am Straßenbau könnte dann auch gleich gespart werden. Page fordert praktisch mit dem meisten, was er sagt, dazu auf, quer zu denken. Und liefert gleich noch ein Beispiel aus dem eigenen Haus: "Google Booksearch", die längere Zeit keiner für praktikabel gehalten hat und nun doch routiniert funktioniert.

Ausgezeichnete Journalisten

Nach dem Vortrag findet noch der AAAS Science Writing Award statt, und zwar auf einer Bootsrundfahrt in der Bay. Die nächtliche Skyline und das mit Teppichen und Kronleuchtern ausgestattete Schiff sind beeindruckend, die Anzahl der anwesenden Journalisten ebenfalls.

Der Preis für große Zeitungen geht an Stacey Burling vom The Philadelphia Inquirer für eine Reportage über einen Alzheimer-Patienten, der sein Gehirn der Wissenschaft zur Verfügung stellte; der Preis für kleine Zeitungen an Michelle Nijhuis von den High Country News für eine dreiteilige Reihe über Klimaveränderung in Nordamerika. Craig Canine vom Smithonian gewinnt den Award für die Sparte Magazine für eine Reportage über Bananenhandel und -anbau. Den Online Award bekommt ein ganzes Team an Journalisten, das die Online NewsHour mit Jim Lehrer über das große San Francisco Erdbeben im Jahr 1906 gestaltete und dabei Informationen über den heutigen Stand der Dinge liefert. Da macht sich vor allem ein Gedanke breit: Hoffentlich bleibt die Erde noch lange ruhig.

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