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AAAS-Jahrestagung: Von Robotern, Stress und Fischblicken

Antje Heidemann
Gleich beim Betreten des Seminarraums bemerke ich einen recht großen Gecko an der Fensterscheibe. Es handelt sich aber nicht um einen gewöhnlichen Gecko, denn obwohl er das Fenster hochkrabbeln kann, lebt er nicht. Er ist ein Roboter und Roboter sind das Hauptseminarthema heute.

Sangbae Kim aus dem Biomimetics Labor der Universität Stanford ist besonders stolz auf die Füße seines "Stickybots", die es diesem ermöglichen, an der Scheibe zu haften, ohne permanent festzukleben – genauso wie bei den echten Reptilien. Der Wissenschaftler erklärt, dass die Füße aus mehreren Lagen des Kunststoffs Polyurethan bestehen, von denen die unterste mit feinsten ausgerichteten Kunststoffhärchen besetzt ist. Das haarige Material ist speziell für diesen Zweck im Biomimetics Labor entwickelt worden.
Stickybot | Sangbae Kim, Biomimetic Labor, Stanford Universität präsentiert Stickybot.


Die feinen Plastikhaare schmiegen sich so dicht an die Fensteroberfläche an, dass molekulare Wechselwirkungen des Nahbereiches zwischen beiden Oberflächen greifen: die Van-der-Waals-Kräfte. An sich sind diese Anziehungskräfte sehr schwach, aber da die Härchen zahlreich sind, ist hier die Quantität dafür verantwortlich, dass Stickybot nicht abstürzt.

Ein Besucher zupft der falschen Echse am Schwanz, die jedoch selbst dann am Fenster haften bleibt. Der Doktorand Kim kann sie aber senkrecht zur Glasoberfläche problemlos von dieser abziehen. Die Härchen lösen sich dabei nämlich schrittweise und liegen nicht mehr in ihrer ganzen Länge am Glas an, was die Haftung stark verringert.

Auf dem Boden trapst im Eiltempo ein anderer, fernsteuerbarer Roboter zwischen den Zuschauerreihen hindurch, der mit seinen sechs Beinen an ein großes Insekt erinnert. Dieser kastenförmige Edubot heißt so, weil er hauptsächlich Studenten als Anschauungsobjekt dient.
Edubot | Spaziergang durch die Zuschauerreihen


Roboter als Hausgenossen bald selbstverständlich

Dass Roboter schon sehr bald vielseitig geforderte Hausgenossen sein könnten, vermutet David Calkins von der San Francisco State University. Wer so genannte Homerobots braucht? Alle, glaubt er, was die meisten Zuschauer zum Lachen bringt. Viele Anwendungen von Homerobots wären seiner Meinung nach denk- und sind teilweise auch schon praktizierbar.

Sie könnten alte und vergessliche Patienten daran erinnern und ihnen dabei helfen, die richtigen Medikamente zur richtigen Zeit einzunehmen, über Kamera und Monitor einen direkten Austausch mit einem Arzt erlauben und physiologische Mess- wie Blutdruckdaten übertragen. Sie könnten als Spielgefährten oder Haustierersatz fungieren, Sehbehinderten Bücher vorlesen und zur besseren Akzeptanz und Nutzung von modernen Technologien wie dem Internet beitragen, indem sie angelaufen kommen und auch E-Mails einfach vorlesen oder digital gesendete Fotos von alleine zeigen. Eltern könnten Roboter als Überwachungsmittel nutzen, körperlich Behinderten könnten Roboter unter anderem in Form von intelligenten Rollstühlen helfen. Die künstlichen Hausgefährten könnten außerdem die Sicherheit im Haus vergrößern und sogar Küchenchefs abgeben.

Es gibt schon jetzt Haustierersatz mit Gesichtserkennung, der entsprechend seiner Behandlung einen eigenen "Charakter" entwickelt: den "Aibo", einen Roboterhund, und den "Pleo", einen kleinen Saurier, zum Beispiel. Beide können sogar Gefühle ausdrücken. Die Entwicklung zielt darauf ab, dass sie Gefühle anhand von Gesichtszügen auch erkennen.

Haustierersatzroboter können inaktive Senioren, aber auch psychisch Kranke ablenken und zu neuen Aktivitäten anregen. Am Beispiel seiner Großmutter beschreibt Calkins rührend, wie diese, nachdem ihre Katze verstorben war und sie nicht erneut ein Haustier verlieren wollte, einen "unsterblichen" Aibot ins Herz schloss.

Calkins konzentriert sich nicht auf die möglicherweise negativen Auswirkungen elektronischer Kameraden, sondern sieht eher, wie diese neuen Hausgenossen sinnvoll eingesetzt von Nutzen sein können. Auf Bedenken hin bemerkt er sinngemäß, dass sich das Leben der Menschen schon immer mit der Technik verändert hat und dies nicht unbedingt schlecht sei, sondern einfach zusätzliche Türen öffne. Technische Schwierigkeiten stellen besonders das Zeigen von Gefühlen, Geh- und Balancefähigkeit, die Aufladbarkeitskapazität, Wireless, intelligentes und kraftvolles Greifen und die Leistungsfähigkeit des Computers dar.

Skilanglauf und Helium-3 auf dem Mond

Nach so viel künstlicher Intelligenz ganz etwas anderes: In einem der Presseräume steht Harrison Schmitt, der Mann, der als letzter Apollo-Astronaut auf dem Mond war, Journalisten Rede und Antwort. Wie es sei, sich auf dem Mond fortzubewegen, will jemand wissen. Bei der Fortbewegung wäre er nicht gehopst, wie seine Kollegen, sondern hätte sich eher wie ein Skilangläufer bewegt – nur, dass er dabei nicht geglitten sondern geschwebt sei. So konnte er eine Geschwindigkeit von 10 bis 12 Kilomenter pro Stunde erreichen, erzählt der damit nicht nur letzte, sondern auch schnellste Mann auf dem Mond. Und wie man wieder anhält? Man stemmt die Hacken in den Boden.

Harrison berichtet weiterhin über die eventuelle Möglichkeit, vom Sonnenwind stammendes Helium-3 aus dem Mondboden zur Energiegewinnung auf der Erde zu nutzen. Bei der Kernfusion dieses schweren, aber nicht radioaktiven Helium-Isotops mit Deuterium – schwerem Wasserstoff – wird viel Energie frei, wie mit kleinen Testreaktoren am Fusionstechnologie-Institut der Universität von Wisconsin in Madison schon bestätigt wurde.

Stressfrei lebt sich’s länger

Mittags bei einer "Topical Lecture": Schon fünf Minuten vor Vortragsbeginn platzt der kleine Ballsaal im Hilton fast aus allen Nähten. Alle Plätze sind belegt, Zuhörer sitzen auf dem Boden im Mittelgang und stehen hinten dicht gedrängt bis auf den Flur hinaus. Robert Sapolsky, Professor für Neurologie und Neurologische Wissenschaften an der Universität Stanford hält einen Vortrag über die Zusammenhänge von Stress und Gesundheit.

Die Darbietung des Professors, der mit seiner Haupt- und Gesichtshaarpracht ein bisschen an Reinhold Messner nach einer Himalaya-Expedition erinnert, wirkt eher wie Stand-up-Comedy denn wie ein wissenschaftlicher Vortrag, obwohl es an wissenschaftlichem Inhalt nicht mangelt. Alle amüsieren sich köstlich, was zeigt, dass Wissenschaft durchaus nicht trocken sein muss.

Sapolsky illustriert die Notwendigkeit der physiologischen "Stressantwort" des Körpers in lebensbedrohlichen Situationen mit so schönen Beispielen wie: “Wenn dich gerade ein Löwe jagt, mach deine Antikörper abends am Lagerfeuer, wenn es noch einen Abend geben sollte..." Oder auch: "Wenn du um dein Leben rennst, verschieb deinen Eisprung auf später!” Denn die Stressantwort stellt alle zur sofortigen Lebensrettung unnötigen Vorgänge im Körper ab und mobilisiert stattdessen Energien zur Flucht oder zum Kampf.

Die Essenz ist, dass die westliche Zivilisation heutzutage wesentlich stärker unter den gesundheitlichen Folgen von Stress leidet als unter Infektionskrankheiten, wie es in der Dritten Welt der Fall ist. Fast alle so genannten Zivilisationskrankheiten – wie Diabetes Typ 2, Formen von Demenz, Depressionen, koronare Herzkrankheiten, Impotenz – können stressbedingt sein. Und zwar durch chronischen Stress, ausgelöst durch Daueralarm, der auf einer Fehleinschätzung der "Lebensbedrohlichkeit" von Situationen wie dem Warten in Kassenschlangen oder von nach dem Anrempeln durch andere beruht.

Sapolsky macht sich ein wenig über unsere manchmal fast panische Lebensführung lustig und hält damit dazu an, alles ein bisschen zu relativieren und entspannter durch das Leben zu gehen – zum Wohle der Gesundheit. Tierexperimenten nach, tragen das Herauslassen von Frust, das Gefühl von Vorhersehbarkeit und der Verbesserung der Lebenssituation – relativ unabhängig vom Ausganszustand – sowie soziale Unterstützung und Eingebundenheit zu reduzierten Stressleveln bei.

Mitten im Vortrag fängt jemand an, die Zwischenwand zum nächsten Ballsaal lautstark zur Seite zu schieben. Als Sapolski fragt, was denn da vor sich gehe, ist die Antwort: "Stressreduktion!" Allerdings reicht selbst der zweite Saal nicht für alle noch Stehenden aus.
Überfüllt | Stress beim Stress-Vortrag


Zum Energieproblem

Abends liefert Steven Chu, Direktor des Lawerence Berkeley National Laboratory, der Miterfinder der optischen Pinzette und Nobelpreisträger in Physik, einen ebenfalls sehr humorvollen Einstieg in seine Einschätzung des Energieproblems und möglicher Lösungen. Als erstes zeigt und kommentiert er seinen E-Mail-Austausch mit Larry Page, der darum bat, den Termin des Hauptvortrags mit ihm zu tauschen – und es letztendlich auch tat.

Chu betont, wie notwendig es ist, sofort zu handeln und den Energieverbrauch und insbesondere den CO2-Ausstoß zu verringern, um die weltweiten Klimaveränderungen noch in den Griff zu bekommen. Dies gilt vor allem für die USA, da diese mit Abstand am meisten Energie pro Kopf konsumieren – ungefähr doppelt so viel wie die EU. Chu zufolge könnten Wind und Sonnenenergie zur Problemlösung sinnvoll beitragen. Die Ausbeute von Solarzellen müsste sich jedoch noch verbessern.

Auch das Ersetzen von Benzin durch aus Zellulose gewonnenen Ethanol als Treibstoff sei ein Schritt in die richtige Richtung, da bei der Verbrennung von Ethanol weniger CO2 entsteht. Wichtig seien gute Enzyme zur Degradation von Zellulose, wozu sich Enzyme von Termiten anbieten. Als Rohstoff eigne sich das extrem schnell und hoch wachsende afrikanisch/asiatische Wildgras Miscanthusa.

Wie gestern schon festgestellt wurde: Es sind gar nicht so sehr unsere Energiereserven, die knapp werden, es ist unsere intakte Umwelt, die knapp wird.

Feiern mit Fischblick

Anschließend findet die "Northern Californian Science Writers Association Party" im Gebäude der Kalifornischen Akademie der Wissenschaften statt. Die Hälfte des Erdgeschosses ist ein Aquarium mit vielen Becken, so dass man bei Livemusik und mit Drinks in der Hand die verschiedensten Fischarten bestaunen kann.
Party mit Fisch

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