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Tagebuch: Auf Kollisionskurs

Meteoriteneinschlag
Stellen Asteroiden und Kometen eine Bedrohung der Erde dar? In der Heidelberger Villa Bosch diskutierten Astronomen und Geowissenschaftler, Ökonomen und ein Psychologe über eine Frage, die viele weitere nach sich zieht – und bei der noch lange nicht klar ist, wie wir mit den Antworten umgehen sollten.

Als Ulf von Rauchhaupt vor einiger Zeit seinen Artikel über (schöne, wenn auch meist nur faustgroße) Meteoriten für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung fertig geschrieben hatte, diskutierte er mit Redaktionskollegen über die Frage, mit welchem Bild er ihn wohl auf der Titelseite ankündigen könnte. „Meteoriten? Da hätten wir was!“ Das Bild zeigte ein Dutzende Kilometer großes Geschoss im Anflug auf unseren Heimatplaneten, das – wie es Bruce Willis in seinem Film „Armageddon“ gerade noch verhinderte – wohl die halbe Erde in Schutt und Asche gelegt hätte.

Meteoriteneinschlag
Und damit wären wir schon mitten im Thema, wie es zumindest der breiten Öffentlichkeit im Bewusstsein ist. „Einschläge von Asteroiden und Kometen – Gefahr für die Erde?“ lautete der Titel des Symposiums, bei der auch Rauchhaupt zu den Rednern gehörte und die am vergangenen Donnerstag im Studio der Heidelberger Villa Bosch stattfand. Eingeladen hatten Klaus Tschira, Mitgründer der Walldorfer SAP und astronomiebegeisterter Mäzen der Naturwissenschaften, und das Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg.

Friedlich und in weiter Entfernung | Vom Kleinplaneten (13028) Klaus Tschira, der auf einer Umlaufbahn zwischen Mars und Jupiter um die Sonne kreist, geht, so der Gastgeber, "übrigens keinerlei Gefährdung" aus.
Die Titelfrage hat allerdings ihre Tücken. Trifft etwa der erdbahnkreuzende 270-Meter-Asteroid Apophis im Jahr 2036 die Erde, hätte das natürlich gravierende Folgen. Im Fall eines Einschlags ins Meer würden Tsunamis auf die Küsten zurollen, und auf dem Festland würde Apophis rund hundertmal so große Verwüstungen anrichten wie das Tunguska-Ereignis im Jahr 1908.

Fragen über Fragen

Doch wird er die Erde überhaupt treffen? Und wenn ja, wo und in welchem Winkel? Könnten wir das Ereignis verhindern? Müssten wir nicht schon heute und möglichst schnell die nötigen Technologien zur Reife entwickeln? Und wenn Apophis uns verfehlt (wovon wir übrigens fast sicher ausgehen können), stellen dann nicht hundert andere Near-Earth-Asteroids (NEAs) eine Bedrohung dar? Und überhaupt: Wieviele Erdbahnkreuzer schwirren noch unerkannt durch das nahe All? Welche Anstrengungen sollten wir unternehmen, mehr über sie zu erfahren?

Oder machen wir uns nicht einfach viel zu viele Gedanken?

Die Dinosaurier würden sagen: Nein. Wolfgang Stinnesbeck vom Institut für Geowissenschaften der Heidelberger Universität räumte allerdings (nicht zum ersten Mal) mit dem verbreiteten Gedanken auf, der Chicxulub-Krater auf der mexikanischen Yucatan-Halbinsel zeuge von dem für das Massensterben an der Kreide-Tertiär-Grenze verantwortlichen Einschlag – denn dafür ist er wohl rund 300 000 Jahre zu jung. Dem Geowissenschaftler zufolgte sorgte erst ein entsprechend späteres Impaktereignis für das Aussterben von siebzig Prozent aller Lebensformen. Der zugehörige Krater ist indessen noch unbekannt, nur eine weltweite Iridiumanomalie und geschockte Quarze künden von dem Ereignis.

Näher am Heute war Alan Harris, Seniorwissenschaftler am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin-Adlershof. 5600 NEAs habe man bislang entdeckt, meist mit Hilfe kleiner, automatisch gesteuerter Teleskope (und meist in den USA, denn Europa hat sich mit Ausnahme ambitionierter Amateure aus dieser Disziplin praktisch völlig zurückgezogen). Rund 900 der bekannten NEAs seien immerhin größer als ein Kilometer, bei einer geschätzten Population von 1100 bis 1200. Die Zahlen reichen übrigens aus, um (99942) Apophis den weniger drängenden Themen unserer Zeit zuzurechnen, denn das „Hintergrundrisiko“ eines x-beliebigen Einschlags ist größer als die Gefahr, die von diesem Planetoiden ausgeht.

Selten, aber katastrophal

Mit wieviel Einschlägen ist überhaupt zu rechnen? Brocken von mehr als 100 Meter Durchmesser (sie schlagen, wenn sie auf das Festland treffen, einen Krater von zwei Kilometer Durchmesser) kollidieren laut Harris' statistischen Studien etwa alle 5000 Jahre mit der Erde. Ab 200 Meter Durchmesser entsteht ein Vier-Kilometer-Krater, aber nur alle 47000 Jahre. Richtig ernst wird es in Abständen von 600000 Jahren: Dann schlägt ein Geschoss von mehr als einem Kilometer Durchmesser auf, reißt einen Krater von zwanzig Kilometer und beeinträchtigt das Leben auf der gesamten Erde.

Gerade bei der Kenntnis kleinerer Objekte unter 200 Meter Durchmesser ist allerdings noch viel zu tun. Abhilfe erhoffen sich die Forscher von Teleskopsystemen wie PanStarss auf Hawaii (das „binnen zwanzig Jahren alle Objekte bis hinunter zu 120 Meter finden soll“), LSST in Chile oder dem Discovery Channel Telescope, das ab 2010 in Arizona in Betrieb gehen soll. Spannend auch die Arecibo Planetary Radar Facility: Diese Einrichtung am 300 Meter durchmessenden Radioteleskop Arecibo kann Radarstrahlen auf erdnahe Himmelskörper richten und deren Echos analysieren. 2006 beispielsweise machten Forscher mit ihrer Hilfe die ersten detaillierten Bilder eines binären Asteroiden, nämlich des immerhin 1,5 Kilometer großen 1999KW4, den ein eigener Mond umkreist. Ein Exot? Nun ja. Auch die kanadischen Clearwater Lakes sind vermutlich Ergebnis des Einschlags eines solchen binären Asteroiden. Er riss gleich zwei benachbarte Krater, die rund zwanzig beziehungsweise über dreißig Kilometer durchmessen.

Zwei ganz besonderen Objekten widmete sich auch der Organisator der Tagung, Mario Trieloff vom Mineralogischen Institut der Heidelberger Universität. Eines davon ist nämlich der "Mutterkörper" der so genannten L-Chondrite, zu denen 38 Prozent aller auf der Erde gefunden Meteoriten gehören. Der Kleinplanet zerbrach bei einer Kollision mit einem weiteren Objekt im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Chronologische Messungen an den Argonkomponenten der L-Chondrite haben Trieloff und seinen Kollegen mittlerweile erlaubt, den Zeitpunkt des Ereignisses relativ genau zu bestimmen: Es fand, mit einer Unsicherheit von sechs Millionen Jahren, vor 470 Millionen Jahren statt. Einige Millionen Jahre später begannen etliche seiner Bruchstücke die Erde zu erreichen, wo sie heute zum Beispiel in schwedischem Kalkgestein zu finden sind.

Vielleicht sollte man ja doch über Abwehrmechanismen nachdenken? Dafür braucht es eigentlich nicht viel, sagt Michael Khan, Missionsanalytiker am Europäischen Raumflugkontrollzentrum: ein kleiner „Schubs“ und viel, viel Zeit. Einfach wird es trotzdem nicht. Die Energie eines „kinetischen Impaktors“ könnte in einem steinernen "Schutthaufen" verpuffen, denn nicht jeder NEA ist massiv und leicht berechenbar. Vielleicht aber wird der "Wirkfaktor" des Impaktors sogar vervielfacht, weil der Einschlag Brocken herausschleudert, die den Himmelskörer zusätzlich beschleunigen?

Kosmischer "Traktor" als Retter?

Die ohnehin unschöne Option nuklearer Sprengsätze wirft ebenfalls Probleme auf: Deren Zündung müsste auf Bruchteile von Sekunden genau im nahen Vorbeiflug erfolgen, sonst ist die Wirkung zu gering. Die dritte Alternative wiederum, ein „Gravitationstraktor“, klingt am Harmlosesten. Flöge ein eine Tonne schweres Raumschiff rund ein Jahr lang neben einem 50-Meter-Himmelskörper her, könnte es ihn durch seine Schwerkraft ausreichend von seiner Bahn ablenken, um die Kollision mit der Erde zu vermeiden – zumindest dann, wenn die Gefahr zwei Jahrzehnte im Voraus bekannt ist und sich die kleine Ablenkung über die Zeit hinweg in ausreichendem Maß "aufschaukeln" könnte. Allerdings: Ein solches Projekt bedürfte einer nukleargetriebenen Sonde. Das entsprechende, einst reichlich mit Forschungsgeldern bedachte Prometheus-Projekt der NASA läuft aber derzeit auf Sparflamme.

Wenn alles nichts hilft, hilft vielleicht wenigstens eine Versicherung. Doch Eberhard Faust von der GeoRisikoForschung der Münchener Rückversicherungsgesellschaft wiegelte freundlich ab. Über Versicherungsschutz zu reden, mache keinerlei Sinn: Zum einen gehört es zu den Prinzipien von Versicherungen, nur unvorhersehbare Gefahren abzusichern (und der Einschlag eines Asteroiden gehört zunehmend zu den vorhersehbaren Ereignissen). Zum anderen setzt das Geschäftsmodell voraus, dass ein großes "Kollektiv" Prämien bezahlt, im Schadensfall aber nur ein kleiner Teil des Kollektivs betroffen ist, was bei Impakten ja nicht immer der Fall ist. Beruhigend immerhin: Feuer, Explosion und ähnliche Schäden seien ja bereits jetzt in vielen Policen berücksichtigt ...

Von Ökonomen sollte sich, wer Schutz vor Apophis & Co. sucht, übrigens generell nicht viel versprechen. Timo Goeschl vom Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Heidelberg berichtete unter anderem von Ted Nordhaus' Gedankenexperiment aus dem Jahr 1999. Gegeben der Fall, wir wüssten heute definitiv, dass der Staat Florida in zweihundert Jahren von einem Himmelskörper ausgelöscht wird, und gegeben außerdem, wir schätzten seinen Wert zu jenem Zeitpunkt auf zwei Billionen US-Dollar. Was würden wir heute tun?

Der Ökonom sagt: Wir müssen diesen künftigen Wert Floridas abdiskontieren, also herausfinden, was diesem Wert heute entspricht. Das aber sind gerade einmal 2,66 Millionen Dollar. (Wer nachrechnen will: Goeschl nahm eine Diskontrate von 7 Prozent für öffentliche Projekte an und dividierte entsprechend 1012Dollar (den künftigen Wert Floridas) durch 1,07200 (die Diskontrate hoch die Zeitdauer in Jahren)). Doch wer wollte heute eine Mission finanzieren, die um ein Vielfaches teurer wäre als der zu schützende Wert?

Warum sollen wir uns überhaupt Mühe geben?

So gelangte Goeschl direkt zur (offenbar noch unbeantworteten) „Schlüsselfrage“ der Katastrophenökonomik: Welches Opfer sollte welche Generation erbringen, um das „optimale“ Ausmaß an Prävention zu erbringen? Oder etwas volksnäher ausgedrückt: Warum in aller Welt sollen wir heute eine – aller Voraussicht nach ohnehin reichere – zukünftige Generation finanziell subventionieren?

Unschwer zu erkennen, spielen bei solchen Fragen weitere Faktoren eine Rolle. Der "Risikowahrnehmung aus psychologischer Sicht" widmete sich denn auch Joachim Funke vom Psychologischen Institut der Universität Heidelberg und sie wäre in diesem Zusammenhang ein eigenes Kapitel wert. Doch schon eine simple Feststellung ist psychologisch äußerst vielsagend: "Die Risikowahrnehmung im Zusammenhang mit Asteroideneinschlägen", so Funke, "hat bislang kein Psychologe erforscht ..."

Thilo Körkel

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