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Das Neidmotiv – warum wir nie zufrieden sind

Der böse Blick
Der neue Kollege kommt knackig braun aus dem Karibikurlaub zurück ins Büro. Er schnippt sich einen Fussel vom Armani-Anzug und nimmt das neuste Smartphone, das der Markt zu bieten hat, vom Ohr. Als er seine Hand ausstreckt, um sich von seinen Kollegen zur kürzlich erfolgten Beförderung gratulieren zu lassen, blitzt die glänzende Rolex unter dem Ärmel hervor. Da regt sich bei den meisten Zuschauern der Szenerie ein grummelndes Gefühl im Bauch. Und dieses "Das-will-ich-auch"-Empfinden hat einen Namen: Neid. Was wäre eigentlich, wenn es den Neid nicht gäbe: Wäre die Welt ein besserer Ort – oder würde sogar etwas Wichtiges fehlen?

Green eyed monster | In englischsprachigen Ländern wird der Neid als "green eyed monster" bezeichnet.
"Neid ist die Schnittmenge zwischen Vergleich und Unzufriedenheit", definiert Dr. Beate Maria Weingardt, Psychologin und evangelische Theologin, die negativ behaftete Emotion. Er ist ein soziales Phänomen, denn man benötigt mindestens zwei Personen, um ihn entstehen zu lassen: einen Neider und einen Beneideten. Der Neider beobachtet seine Umgebung und vergleicht sich mit anderen. Dabei bewertet er die Unterschiede und glaubt den Kürzeren zu ziehen. "Nur wenn die Saat des Vergleichens auf den Boden der Unzufriedenheit fällt, kann Neid entstehen", so Weingardt, Autorin des 2009 erschienenen Buchs "Das gönn' ich Dir (nicht)".

Neid als Mangelgefühl

Dieses Gefühl kennt jeder. Gegenüber dem flachen Bauch der Freundin wirkt der eigene viel wabbeliger, und sieht man das neue Auto des Nachbarn, erscheint das einst geliebte eigene nur noch als Rostlaube. "Eine Variable des Neides ist das Selbstwertgefühl. Je zufriedener man ist, desto weniger neidisch ist man auch", erklärt Fritz Strack, Emotionsforscher und Professor für Sozialpsychologie an der Universität Würzburg. Denn "Neid beruht auf einem Gefühl des Mangels."


Was ist der Neid?
Ein Neid-Slide von Teresa Koschwitz und Rowena Zehnder


Und solch ein Defizit an Glück, Erfolg und Zufriedenheit gesteht man sich und anderen laut Weingardt nur ungern ein. Deshalb verheimliche man Neid lieber. Zu Recht: "Neider werden als potentiell gefährlich eingestuft. Menschen fürchten den Neid, da er als antisoziale Regung wahrgenommen wird", sagt sie. Das gilt überall auf der Welt: "Keine Ethik, keine Religion, keine in Sprichwörtern niedergeschlagene Volksweisheit, die Moral keiner Fabel, keine Verhaltensregel eines Naturvolkes haben den Neid zur Tugend erhoben", schreibt der Psychologe, Philosoph und Mediziner Helmut Schoeck in seinem Buch "Der Neid und die Gesellschaft", das als Klassiker der Neidforschung gilt.

Vergleich nur mit Ähnlichem

Doch auch wenn Neidgefühle eher unerwünscht sind, Anlässe neidisch zu sein, gibt es viele. "Es gibt keine Dimension, in der man nicht neidisch sein kann, beziehungsweise in der man nicht noch besser sein könnte", sagt der Emotionsforscher Strack. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um materielle Dinge handelt oder Privilegien, Zuwendung oder Anerkennung. Der Wert des beneideten Guts wird dabei rein subjektiv empfunden. Auch Erfolg und Reichtum sind kein Schutz. "Das sehen wir zum Beispiel an der Bonusdebatte", sagt er. Für Außenstehende spiele es im Grunde kaum eine Rolle, ob jemand 2,5 oder drei Millionen verdiene. "Geld bekommt hier einen symbolischen Charakter", so der Professor. Grundsätzlich vergleiche man sich innerhalb der eigenen Leistungsgruppe: "Ich bin nicht neidisch auf das Gehalt von Josef Ackermann, aber ich beneide vielleicht einen Kollegen, der einen Preis bekommt, den ich auch gerne hätte", erklärt der Sozialpsychologe.

Ebenso vielfältig wie die Anlässe des Neides sind seine Ursachen. Der banalste Grund für Neid ist laut Weingardt, dass man sich an Positives zu schnell gewöhnt und es als selbstverständlich empfindet, während "ein Mangel ein Mangel bleibt".

Neid durch Hormone?

Wie stark man diesen Mangel empfindet, können unsere Hormone bestimmen. Das fand eine Forschergruppe um Simone G. Shamay-Tsoory von der Universität Haifa in Israel heraus und veröffentlichte ihre Ergebnisse im Herbst 2009 in der Fachzeitschrift Biological Psychiatry. Ihre These: Oxytozin, das eigentlich durch seine bindungsfördernde Wirkung beim Sex und beim Stillen als "Kuschelhormon" bekannt ist, soll auch Gefühle wie Neid und Schadenfreude verstärken. Um das zu beweisen, starteten die Forscher eine doppelblinde und placebokontrollierte Studie mit 56 Teilnehmern. Aufgabe der Probanden war es – entweder unter Einfluss des inhalierten Hormons oder nach Einnahme eines Placebos –, ein Glücksspiel mit einem (allerdings entgegen ihrem Wissen nicht vorhandenen, sondern nur virtuellen) Teilnehmer zu spielen. Im Vergleich zu den Probanden, die das Placebo einnahmen, reagierten die Teilnehmer unter Oxytozineinfluss deutlich stärker auf das Spielergebnis. Sie waren neidischer, wenn der (imaginäre) Partner das Spiel gewann und empfanden mehr Schadenfreude, wenn er verlor. Die Testreihe zeigte, dass Oxytozin nicht nur positive Gefühle verstärken kann – wie vorher angenommen –, sondern auch in der Lage ist, die Intensität negativer Gefühle wie Neid zu steigern.

Doch Neid ist nicht nur biologisch bedingt. "Er ist eine psychologische Grundbedingung des Menschen", sagt Emotionsforscher Strack. Allerdings scheint Homo sapiens nicht die einzige neidgeplagte Spezies zu sein. Auch Tiere können neidähnliche Gefühle entwickeln, wie eine Studie von Friederike Range vom Department für Neurobiologie und Kognitionsforschung an der Universität Wien zeigt, die im Herbst 2008 in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde. In einem Experiment mit 43 Hunden stellte Range fest, dass die Vierbeiner auf ungleiche Behandlung empfindlich reagierten. Die Testhunde erfüllten unter verschiedenen Versuchsbedingungen kleine Aufgaben wie "Pfötchen geben". Einzeln getestet kamen die Vierbeiner ihren Aufgaben mal mehr, mal weniger gut nach – allerdings unabhängig davon, ob sie belohnt wurden oder nicht. Kam jedoch ein zweiter Hund in den Testraum dazu, spielte die Belohnung plötzlich eine Rolle. Kriegten beide nach Ausführen des Pfötchen-Kommandos ein Leckerli, gehorchten sie weiterhin brav. Belohnte man nur einen der Hunde, obwohl beide die Aufgabe erfüllt hatten, folgte der leckerlilose Vierbeiner den Kommandos nicht mehr ohne Weiteres. Hunde scheinen sich auch mit anderen zu vergleichen, wenn auch auf einer einfacheren Ebene als der Mensch.

Neid scheint also in vielen Lebewesen verankert zu sein. Wo er im Gehirn lokalisiert ist, untersuchte 2007 ein israelisches Forscherteam, darunter auch die schon erwähnte Oxytozin-Forscherin Shamay-Tsoory. Die Wissenschaftler stellten fest, dass der ventromediale präfrontale Kortex, ein Teil des Frontallappens der Großhirnrinde, eine große Rolle bei der Fähigkeit spielt, soziale Emotionen zu verstehen. Zu dieser Überzeugung kamen sie, indem sie 48 Patienten mit unterschiedlichen Verletzungen in der speziellen Gehirnregion, in der sie das Verständnis von Neid vermuteten, einfache Aufgaben stellten. Zur Kontrolle befragten sie außerdem 35 gesunde Vergleichspersonen. Die Forscher legten den Teilnehmern Smileys und Fotos von Menschen vor, die unterschiedliche Gesichtsausdrücke zeigten. Diesen Bildern sollten die Probanden eine von zehn Emotionen zuordnen, darunter Neid und Schadenfreude. Es zeigte sich, dass Patienten mit ventromedialen Läsionen Schwierigkeiten hatten, Neid und Schadenfreude überhaupt zu erkennen. Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler den Sitz des Neides im Gehirn noch weiter einkreisen. Sie fanden heraus, dass die Probanden je nach Lage der Läsion – ob linke oder rechte Hemisphäre – entweder Neid oder Schadenfreude besser oder schlechter wahrnehmen konnten.

Formen des Neides

Dem anatomischen Hintergrund des Neides scheint man also immer mehr auf die Schliche zu kommen. Doch Forscher interessieren sich nicht nur dafür, wo der Neid entsteht, sondern wollen auch wissen, wie er sich im Alltag zeigt. Der Ausprägung des Neides auf der Spur sind Rolf Haubl, Professor für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Universität Frankfurt, und Elmar Brähler, Professor für Medizinische Psychologie und Soziologie an der Universität Leipzig. Sie veröffentlichten im September 2009 ihre Studie "Neid und Neidbewältigung in Deutschland". Ein Jahr zuvor befragten sie 2506 Teilnehmer zu diesem Thema. Dabei unterschieden die Forscher vier Formen des Neides. So zum Beispiel den feindselig-schädigenden Neid, vor dem auch Psychologin Weingardt warnt: "Neid kann aggressionsfördernd sein. Er setzt Spannungsenergie frei, die sich ein Ventil sucht." Sie könne dazu führen, den Beneideten vor anderen schlecht zu machen – und dadurch auf die eigene Stufe herunterzuholen, die als niedriger empfunden wird. Selbstschädigend hingegen ist die zweite Neidform, der depressiv-lähmende Neid. Er tritt laut Emotionsforscher Strack immer dann auf, wenn beneidete Ziele mit den eigenen Mitteln nicht erreichbar sind. "Das frustriert und kann unter Umständen depressiv machen", sagt er. Einen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Neid sieht auch die Studie von Haubl und Brähler. "Je mehr sich ein Mensch als neidisch wahrnimmt, desto geringer ist seine psychische Gesundheit", heißt es darin.

Neid als Motivation?

Bei all diesen Nachteilen fällt es schwer, das negative Image des Neides aufzupolieren. Sozialpsychologe Strack findet dennoch positive Facetten der ungeliebten Emotion: "Neid ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass man anders ist, als man sein will." Nur durch diese Erkenntnis hätte man die Möglichkeit, seine eigenen Ziele klarer zu stecken und auch zu erreichen. Diese dritte Form des Neides ist ehrgeizig-stimulierend, wie Haubl und Brähler sie nennen. Jene Neidausprägung geht laut Studie davon aus: "Was andere mehr an Gewinn haben als ich, haben sie, weil sie sich mehr anstrengen als ich. Strenge ich mich ebenfalls mehr an, bekomme ich auch mehr". In dieser Form ist Neid der Motor unserer Leistungsgesellschaft. Ohne Neid, der uns antreibt anderen nachzueifern, gäbe es kaum Fortschritt.

Triefender Neid
Wer mehr arbeitet, bekommt auch mehr – das empfinden viele Bundesbürger als eine faire Vorgehensweise. Laut der Studie halten die meisten Deutschen nämlich "Leistungsgerechtigkeit für das gerechteste Prinzip der Güterverteilung". Wer an dieses Prinzip glaube, erlebe sich weniger neidisch.

Zusätzlich kann Neid auch als Wachorgan für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten dienen. Das ist zum Beispiel der Fall bei der vierten Neidform, dem empört-rechtenden Neid. Tritt er bei vielen Menschen auf, kann er sogar Missstände aufdecken.

Auch im Sport sei Neid keine lähmende Emotion. "Sportlicher Ehrgeiz ist erstmal ein produktives Gefühl", so Strack. Nur wer aus dem Neid nicht hinauskäme, habe ein Problem.

Neid entsteht meist aus einer eingeschränkten Sichtweise heraus. "Man fokussiert nur einen Ausschnitt, wie mit einem Fernglas", erklärt Beate Weingardt. Doch je mehr man vom Leben anderer mitbekomme, desto mehr würde sich der Blick weiten. Dadurch ergebe sich ein ausgewogeneres Bild. Erst dann würde man feststellen, wie viele Überstunden der Nachbar machen muss, um sich den teuren Mercedes zu leisten, oder wie oft die Freundin ins Fitnessstudio läuft, um die Topfigur zu bekommen.

Doch den Blick zu weiten, ist leichter gesagt als getan. Und so zuckt es schnell an den Mundwinkeln, wenn die wohlgeformte beneidete Freundin plötzlich ein paar Kilo mehr auf den Rippen hat. Schadenfreude schleicht sich ein.

Genüssliche Schadenfreude

Wie Schadenfreude und Neid zusammenhängen, erforschten Wissenschaftler um Hidehiko Takahashi vom National Institute of Radiological Sciences im japanischen Chiba. ”When Your Gain Is My Pain and Your Pain Is My Gain: Neural Correlates of Envy and Schadenfreude” nennt sich die Studie, die Ende 2009 in Science veröffentlicht wurde. Für sie unterzogen sich 19 Studenten einer Magnetresonanztomographie in zwei Durchläufen. In der ersten Runde hatten die Probanden die Aufgabe, sich ein festgelegtes Szenario mit drei anderen Teilnehmern vorzustellen. Ihre virtuellen Partner sollten dabei unterschiedliche herausragende Fähigkeiten aufweisen, die der Studienteilnehmer als mehr oder weniger wichtig einstufte. Nach dem MRT-Scan schätzten die Probanden ihren Neid auf die verschiedenen vorgestellten Personen auf einer Skala ein. Es stellte sich heraus, dass der anteriore cinguläre Cortex im Gehirn stärker aktiviert wurde, je neidischer eine Person war.

Im zweiten Durchlauf der Studie passierte den imaginären Personen in der Fantasie der Studienteilnehmer ein Missgeschick. Je stärker die Probanden die vorgestellte Person beneideten, desto intensiver war auch die Schadenfreude. Sie aktivierte im Gehirn das ventrale Striatum. Das liegt in der Basis jeder Großhirnhälfte seitlich des Thalamus. Dort befindet sich das Belohnungszentrum des Gehirns. Das wird zum Beispiel auch aktiv, wenn man leckeres Essen zu sich nimmt. Das Gefühl der Genugtuung scheint also schmackhaft zu sein. Das Experiment der japanischen Forscher zeigt, dass es Menschen umso mehr freut, wenn einer beneideten Person etwas zustößt, je mehr sie sie vorher beneidet haben.

Tipps gegen Neidgefühle

Um solch eine Schadenfreude und Neid erst gar nicht aufkommen zu lassen, hat Sozialpsychologe Strack einen Trick. "Man kann eine sogenannte 'unit formation', eine übergeordnete kognitive Einheit mit dem Beneideten bilden", erklärt er. Wenn man neidisch auf die vielen Tore des Mannschaftskollegen im Fußball sei, solle man ein Gruppengefühl aktivieren und es als Erfolg für das Team werten. Ein Preis für einen Kollegen wäre somit kein persönliches Scheitern in einer Wettkampfsituation, sondern ein Erfolg für das gesamte Berufsfeld, zu dem man selbst gehört.

Auch am eigenen Wertsystem könne man arbeiten und Materiellem andere Eigenschaften entgegensetzen, meint Weingardt. Dann sei die Intensität des Neides geringer. "Auf viele Dinge muss man nicht neidisch sein, weil man sie für seinen Selbstwert nicht braucht", sagt die Psychologin. Die Devise lautet also: "Good enough" – statt "Simply the best".

Befolgt man diesen Leitspruch, kann man vielleicht auch die Karibikreise in einen Österreichurlaub umbuchen, ohne an Zufriedenheit zu verlieren. Und statt Armani darf es möglicherweise auch ein günstigerer Anzug sein. Schließlich unterscheidet die Kleidungsstücke in erster Linie das kleine Label-Schildchen. Wer allerdings auf eine mögliche Beförderung nicht verzichten will, kann den positiven motivierenden Schwung des Neides nutzen, der uns die Erfolgsleiter ein bisschen weiter nach oben schubst.

Teresa Koschwitz studiert Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt.

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