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Den Himmel auf den Kopf

Durchnässt
Das Klima an Madagaskars Westküste ändert sich im Jahresverlauf: Von April bis November ist es trocken, und die Nächte sind kühl. Von Dezember bis März hingegen regnet es oft, und es ist gleich bleibend warm. Im Januar und Februar ist zudem Zyklonzeit in ganz Madagaskar. Die Wirbelstürme rasen über den Indischen Ozean heran und bringen Regenmassen und oftmals Verwüstung über die Küstenregion. Im Januar 2009 zerstörte ein Zyklon hunderte Häuser und Hütten in Morondava, überschwemmte ganze Viertel brusthoch, riss Strommasten um und schnitt die Stadt für Tage von der Außenwelt ab.

Regenzeit | Schwere Zyklone setzen immer wieder Madagaskar unter Wasser und behindern das Fortkommen auf der "Straße".
Am vergangenen Wochenende begann die Zyklonsaison 2010. Wie wir aus einem batteriebetriebenen Radio im Camp hören, liegt das Sturmzentrum bei Belo sur Mer, einem kleinen Küstendorf südlich von Morondava. Wir liegen in der Peripherie des Sturms – fünf Tage lang prasselt aus einer geschlossenen, tiefgrauen Wolkendecke beinahe pausenlos Regen auf uns herab. Das Camp wirkt von Tag zu Tag kleiner und beengter: Ringsum schließt uns der dichtbelaubte Wald ein, jetzt hängt auch noch der Himmel tief und schwer über uns und droht, in guter Gallier-Manier auf uns herabzufallen. In den ersten beiden Tagen fahren wir noch einige Male in den Wald und versuchen, unsere Beobachtungen fortzusetzen. Oft ist es jedoch gar nicht möglich, die Gruppen per Telemetrie zu suchen, da das elektronische Equipment im tropfenden Wald bei den ständigen Schauern nicht einsetzbar ist. Oft werden wir auch von einem Regenguss überrascht und kehren klatschnass ins Camp zurück.

Wasser im Auto | Bisweilen muss der Wagen durch so tiefe Pfützen, dass Wasser ins Innere eindringt.
Am dritten Regentag beginnt es zusätzlich heftig zu stürmen, jetzt wird es regelrecht gefährlich im Wald – ständig fallen irgendwo morsche Baumstämme mit lautem Krachen ins Unterholz. Der Kirindy-Fluss tritt über die Ufer, überschwemmt ganze Waldareale. Stellenweise fließt er geräuschvoll über Steine, bereits aus hunderten Metern Entfernung hört man sein Rauschen, das an die Lärmkulisse einer gut befahrenen Autobahn erinnert.

Land unter | Auch im Wald zeigen sich die Folgen der Regenzeit: Flüsse und Bäche treten über die Ufer und setzen das Gelände unter Wasser.
Alle Tiere verkriechen sich und lassen das Unwetter weitere 48 Stunden über sich hinweg ziehen. Nur die Amphibien (die in Madagaskar ausschließlich in Form von Fröschen vertreten sind, es gibt keine Kröten, Molche oder Salamander) sind vollends in ihrem Element und genießen die Wassermassen. Sobald sich irgendwo eine neue Pfütze bildet, ist sie auch schon gesäumt von quakenden Fröschen und hüpfenden Huckepackpaaren. Wenig später füllen glibberige Laichballen die temporären Gewässer. Besonders nachts ist die Aktivität der Amphibien nervtötend: In extremer Lautstärke quaken und schnattern sie im Wald. Mein Zelt ist umgeben von bestimmt fünfzig paarungswütigen Fröschen, der Krach ohrenbetäubend. Nach einer Stunde vergeblicher Einschlafversuche ziehe ich um in die Assistentenhütte, die nicht ganz so arg umlagert ist.

Skorpion | Der Regen treibt auch unerwünschte Hausgenossen aus ihrem Versteck.
Am Freitag verlassen wir den Wald, es ist Zeit für ein Wochenende in Morondava, um T-Shirts, Schlafsack und Schuhe zu trocknen, die bereits angefangen haben zu schimmeln. Der Sturm ist vorüber, der Himmel hoch und blau, dennoch liegt noch ein Stück Arbeit vor uns: Die Sandpiste nach Morondava ist übersät mit tiefen, schlammigen Pfützen. Statt knapp zwei Stunden brauchen wir dann auch dreieinhalb für die sechzig Kilometer in die Stadt. Mehrmals fahren wir uns fest. Einmal stehen wir so tief im Wasser einer Pfütze, das es ins Wageninnere dringt und unsere Füße umspült. Fahrer Bary klettert schließlich aus dem Fenster und stellt manuell den Vorderradantrieb ein, so gelangen wir letztendlich wieder aufs Trockene. Nicht alle haben allerdings so viel Glück wie wir: An einer überspülten Brücke steht ein Taxibrousse, das auf einen Betonsockel im Wasser aufgefahren ist, mit gebrochener Achse.

In Morondava legen wir uns und unsere Kleidung in die Sonne und den Wind – langsam verdampft die tagelang angestaute Feuchtigkeit. Doch das Leben in der Stadt ist nicht nur komfortabel: Als ich abends barfuß durchs Haus laufe, ruft mich Léon und zeigt mir einen großen, dunkelbraunen Skorpion auf dem Fußboden seines Zimmers: "Zieh Dir lieber etwas an die Füße, das ist der fünfte, den ich heute hier finde, der Regen treibt sie aus ihren Verstecken."

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