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Im Halbschatten der Wissenschaft

Jeder, der mal in einer Redaktion gearbeitet hat, kennt das Phänomen: Unaufgefordert werden Manuskripte eingesandt, die nicht verwendet werden können. Bei uns fallen solche Einsendungen in zwei Kategorien: Einmal sind es Wissenschaftler, die uns einen Text schicken „mit der Bitte um Publikation“, zum anderen sind es Laien oder jedenfalls nicht fachlich Ausgewiesene, die ihre Werke bei uns gedruckt sehen möchten.

Den Wissenschaftlern schreiben wir zumeist, dass sie einem Missverständnis erlegen sind: „Spektrum“ sei keine Fachzeitschrift, bei der man (oft für uns eben auch viel zu fachliche) Artikel zum Abdruck einreichen kann; vielmehr seien wir ein populärwissenschaftliches Magazin, das nach journalistischen Kriterien seine Themen auswählt und erarbeitet.

Schwieriger gestaltet sich der Umgang mit der zweiten Kategorie. Es wäre etwas ungerecht, ihre Vertreter lediglich als Spinner oder Querulanten abzutun, auch wenn sie es einem nicht immer leicht machen. Sie nehmen Ablehnungen nicht hin, rufen an, insistieren und wollen ihre Werke letztlich in Spektrum publiziert sehen, unter Umgehung der einschlägigen Fachpresse, und sind für sachliche Argumente unempfänglich. Weist man sie darauf hin, dass wir über keine ungeprüften wissenschaftlichen Ergebnisse berichten und wir in der Redaktion diese Prüfung auch nicht leisten können, dann sind sie häufig beleidigt.

Der Stuttgarter Wissenschaftshistoriker Armin Hermann hat einmal in dem Buch „Die andere Wissenschaft“ die Wurzeln dieser Szene beleuchtet, indem er von den Alchemisten bis zur Gegenwart zeigte, wie diese „Forscher“ im Schatten oder am Rande der Wissenschaft agierten. Der Status als Außenseiter ist ihnen wichtig – und gerne verweisen sie auf andere „Außenseiter“ wie Alfred Wegener, der Jahrzehnte warten musste, bis seine Theorie der Kontinentalbewegung von der „Schulwissenschaft“ akzeptiert wurde. Auch Esoteriker, Astrologen und andere Alternativforscher tummeln sich in diesen oft eher seichten Gewässern.

Was mich oft verblüfft: mit welch kuriosen Ideen und immensem Zeitaufwand diese Menschen ihre Thesen vertreten. Einmal erhielt ich einen 600-Seiter mit einer neuen physikalischen Theorie. Der Autor würde mich an dem bei Publikation fälligen Nobelpreis mit 25 Prozent beteiligen. Die Adresse des Absenders war eine JVA in Berlin, ich lehnte ab. Die Motive der Autoren sind oft höchst edel und menschheitsbeglückend gedacht. Doch bleiben die Überlegungen meist im Schulaufsatzniveau stecken. Da schickt uns jemand Thesen zum „Treibhausschwindel“ und behauptet: „Der Treibhausschwindel fliegt auf, sobald bedacht wird, welche Folgen die Jahreszeitlosigkeit hat.“ Ein anderer sorgt sich über die „Nützlichkeit von Empfindungen“ und ein Dritter bietet Geld, um sein „Rätsel des Mondgesichts“ zu promoten: „Ich zahle 5000 Euro dem Ersten, der einen wissenschaftlichen grundsätzlichen Fehler findet und mit demselben meine neue erfundene Hypothese widerlegen könnte.“

Ein Weiterer empfiehlt uns seine „Vierphasenregel „Kennenlernen – Erregung – Orgasmus – Abturnphase“ und weiß: „Ein Orgasmus kann vorgespielt werden, die female Ejakulation nicht.“ Und ein Letzter empfiehlt uns seinen Beitrag „Das Letzte zur Vernunft“ mit den Worten: „Dieser Beitrag beschreibt nichts weniger als den Anfang der technischen Realisierung von Vernunft.“ Viele haben Angst um ihren Ideenschatz. „Das Schreiben ist vertraulich!“, mahnt ein Zusender. „Ich berufe mich auf meine freie [sic!] Meinungsfreiheit!“ Und ein anderer, offenbar Physiker, entwirft auf 243 Seiten sein eigenes Teilchenmodell. Im Vorwort distanziert er sich aber deutlich von seinen früheren Kollegen: „Dieses Manuskript ist nicht begutachtet. Unterwerfung unter diesen modernen Trend erinnert an Gedankenkontrolle und hätte bedeutet, eine modische Variante freien Denkens zu unterdrücken.“

Diesen Menschen gemeinsam ist der Anspruch, dass sie die Wahrheit schon gefunden haben, Hinweise auf Lehrbücher hören sie ungern. Ihr Problem ist lediglich die Verbreitung ihrer Wahrheit, also handelt es sich um Missionare in eigener Sache. Als ich noch am MPI für Astrophysik arbeitete, hatte ich einmal dem Besuch eines solchen Zeitgenossen zugestimmt. Auf die Frage, ob er nicht selbst zuallererst seine Thesen einer kritischen Prüfung unterziehen sollte, bevor er versuche, auch andere davon zu überzeugen, erklärte er mir: „Ganz falsch! Wenn ich schon selbst an meiner Theorie zweifeln würde – wie könnte ich dann jemals andere davon überzeugen?“

Reinhard Breuer

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