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Kein "normaler Tourist"

Am See von Köyçeğiz
Die große Reise startend, habe ich mich von Milet aus durch Karien nach Lykien, im Westen der türkischen Südküste, vorgearbeitet. Hier reiht sich eine antike Stadt an die andere. Zum größten Teil noch weitgehend unausgegraben, vom Erdbebenschutt bedeckt, fordern sie den Entdeckergeist des Archäologen heraus. Ruinen aus unterschiedlichen Zeiten stehen, malerisch in die Umgebung eingebettet, nebeneinander. Und immer wieder stößt man vor allem auf Gräber unterschiedlicher Formen: steinerne Häuser, reliefgeschmückte Sarkophage, hochaufragende Pfeiler und in Felswände geschlagene Grabkammern, zum Teil ganz schlicht, oft aber auch mit aufwendigen Fassaden. Im Gegensatz zu den Wohnhäusern, deren Spuren sich nur mit geübtem Auge erkennen lassen, wurden die letzten Ruhestätten offensichtlich für die Ewigkeit errichtet.

Ein schon allein topographischer Höhepunkt war die Stadt Pinara mit ihrer 400 Meter steil aufragenden Akropolis (Bild). In die senkrechte Felswand sind hunderte von einfachen Kammergräbern getrieben. Hier wird offensichtlich, warum man diese Grabform "Taubennester" nennt, erinnert der durchlöcherte Fels doch sehr an einen Taubenschlag. Die Bestattungen müssen spektakuläre Ereignisse gewesen sein – der Verstorbene musste zunächst auf den steilen Berg hinaufgebracht werden, um ihn dann an Seilen Dutzende von Metern tief hinabzulassen und in seine letzte Ruhestätte zu manövrieren. Und der Aufstieg auf den Felsen ist tatsächlich extrem anstrengend, wie ich feststellen musste. Oben angekommen wurde ich dann allerdings belohnt vom Triumphgefühl des Bergsteigers, einer grandiosen Aussicht und – kaum nennenswerten Resten von Bebauung.

Allein schon die Fahrten durch die spektakulären Gebirgslandschaften sind ein Genuss. Dabei überraschte mich Lykien durch seine Fruchtbarkeit mit rauschenden Bächen und saftigem Grün. Mein nicht mehr ganz neues Auto leistet mir auf den steilen Bergstrecken und holprigen Pisten, sowie als Schlafplatz treue Dienste. Einmal bot sich mir am See von Köyçeğiz nahe Kaunos ein idyllischer Rastplatz an (Bild). Oberhalb des Ufers saß ich im Schatten eines Baumes, von ferne drang das Gebimmel von Weideglocken herüber. Wenig später sah ich mich von einer neugierigen Herde von Ziegen umringt, vor denen ich meinen Proviant handgreiflich verteidigen musste. Bis auf ein Stück Brot, das ein besonders hartnäckiger schwarzer Bock aus der Tüte stiebitzte, gelang mir dies zum Glück.

Mit den Menschen hier mache ich äußerst positive Erfahrungen. Das wenige Türkisch, das ich beherrsche, trägt bereits dazu bei, dass ich nicht als "normaler Tourist" wahrgenommen werde. Als ich oberhalb der antiken Stadt Tlos mein Auto für die Nacht herrichtete, kam ein Bauer mit seinem Esel vorbei, erzählte mir eine Menge und ließ sich nicht davon stören, dass ich nur wenig davon verstand. Kurz darauf kehrte er zurück, brachte mir eine Flasche frisches Quellwasser und bot mir an, in seinem Haus zu übernachten. Nachdem ich meinte, dies sei wirklich nicht nötig, gab er mir seine Telefonnummer und bestand darauf, dass ich die ganze Nacht über anrufen könne, wenn ich nicht gut schlafen könne, zumal ein Unwetter drohte. Er würde dann vorbeikommen und mich abholen. Da es bei ein paar Regentropfen blieb, kam ich nicht auf das Angebot zurück. Dennoch ermutigen solche Erlebnisse sehr, wenn man so allein in einem fremden Land unterwegs ist.

Nicolas Zenzen

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