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Letzte Aufnahmen

Elysia timida unter der Lupe
Die Biologin Valérie Schmitt berichtet für spektrumdirekt von ihren Forschungsaufenthalten am Meer. In Banyuls sur mer an der französischen Mittelmeerküste erforscht sie das Leben der Meeresnacktschnecken.

Die letzten Tage meines Forschungsaufenthaltes in Banyuls sur mer sind angebrochen, und das Wetter ist sehr plötzlich in herbstlich-stürmisch umgeschlagen. Nach Regen folgt nun tagelang starker Sturm, der eine Flut von immer nachkommenden grauen Wolken über den blauen Horizont fegt. Wegen Sturmgefahr wurden auch die Tauchgänge für meine letzten Tage vor Ort abgesagt.

Filmaufnahmen mit Stereomikroskop | Auf dem Bildschirm ist eine Elysia timida auf ihrer Futteralge Acetabularia acetabulum zu sehen.
Meine Aktivitäten sind jetzt deutlich eingeschränkt, das Meer ist zu aufgewühlt, selbst um nur direkt in einer Bucht ohne Pressluftflasche zu tauchen, und die Lichtverhältnisse für Untersuchungen im Labor mit Tageslicht entpuppen sich als wechselhaft. Ich hoffe, dass die Wetterbedingungen es vor meiner Abfahrt zulassen, dass ich noch einmal zu den Stellen tauchen kann, an denen ich "meine" Schnecken gesammelt habe. Dann kann ich sie wieder unmittelbar auf die Felsen setzen, von denen sie herkommen. In der Zwischenzeit mache ich letzte Beobachtungen und Filmaufnahmen.

Als besonders nützlich erwiesen sich Filmaufnahmen bei meinen früheren Untersuchungen des Paarungsverhaltens der Schnecken. Die Art Elysia timida zeigt ein sehr komplexes Paarungsverhalten mit erstaunlich langen Paarungen von etwa 45 bis 90 Minuten, die zwei verschiedene Phasen aufweisen und eine Art ritualisierten Paarungstanz beinhalten. Die Schnecken führen dabei immer wieder Drehungen um die eigene Achse gegen den Uhrzeigersinn aus – meistens gleichzeitig mit dem Partner –, um dann wieder in die so genannte Kreuzposition zu gehen.

Paarung | Zwei Elysia-timida-Schnecken in der typischen Paarungskreuzposition: Die zwittrigen Schnecken zeigen ein komplexes Paarungsverhalten mit einer Art ritualisiertem Paarungstanz, bei dem sich Drehungen und Kreuzposition abwechseln.
Dabei sitzen die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane der zwittrigen Schnecken auf der rechten Seite im vorderen Körperbereich, so dass sich die Schnecken überkreuz mit der jeweils rechten vorderen Körperseite aneinander setzen, um sich zu paaren. In dieser Position werden die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane gegenseitig miteinander verbunden und die Spermien übertragen. Auf diese Weise können die Zwitter gleichzeitig Spermien abgeben und empfangen, sich also parallel in ihrer weiblichen und männlichen Funktion paaren.

Dieses Mal filme ich jedoch nicht das Paarungsverhalten der Meeresnacktschneckenart Elysia timida, sondern die Nahrungsaufnahme. Elysia timida ernährt sich von der einzelligen Schirmchenalge Acetabularia acetabulum. Die Schnecken stechen dazu mit ihrer Raspelzunge, der Radula, am Schirm oder Stiel in die Alge hinein und saugen den Zellsaft mitsamt Zellorganellen heraus. Die hierbei aufgenommenen Chloroplasten der Alge gelangen unverdaut durch das Verdauungssystem der Schnecke und werden in den Verzweigungen der Mitteldarmdrüse in den Parapodien gespeichert.

Elysia timida unter der Lupe | Die Meeresnacktschnecke Elysia timida im Stereomikroskop auf ihrer Nahrungsalge Acetabularia acetabulum: Die Schnecke saugt den Zellsaft samt Chloroplasten aus der einzelligen Alge und speichert die Zellorganellen als fotosynthetische Endosymbionten in den Verzweigungen der Mitteldarmdrüse in ihren Parapodien.
Wie die Adern eines Blattes durchziehen die Verästelungen der Mitteldarmdrüse die Parapodien. Die hier eingelagerten Chloroplasten können so auch nach dem gleichen Prinzip wie bei einem Blatt auf eine große Fläche verteilt dem Licht präsentiert werden und verleihen den Schnecken außerdem ihre intensive Grünfärbung. Wie stark die endosymbiontischen Chloroplasten im Licht exponiert werden, können die Schnecken durch Öffnen und Schließen ihrer Parapodien variieren.

Zum Vergleich mache ich noch Aufnahmen von der Art Thuridilla hopei, die einige Parallelen zu Elysia timida aufweist und sich andererseits doch in vielen Merkmalen unterscheidet. Nach einigen Stunden hinter der mit dem Stereomikroskop verbundenen Kamera habe ich ausreichend Filmmaterial zusammen. Nun kann ich nur noch hoffen, dass der Sturm nachlässt, damit ich die letzten Schnecken noch zurück ins Meer bringen kann.


Schmitt, V. et al.: Mating behaviour in the sea slug Elysia timida (Opisthobranchia, Sacoglossa): hypodermic injection, sperm transfer and balanced reciprocity. In: Frontiers in Zoology 4(17), 2007.

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