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Mythos Transsibirische Eisenbahn

Was für andere Leute der Reisearchetypus schlechthin ist, scheint auf dem Reisestipendium ganz normal: nicht nur, um die CO2-Bilanz meiner Reise möglichst im grünen Bereich zu halten, sondern auch aus finanziellen Gründen habe ich für die Rückreise aus der Mongolei auf die Transsibirische Eisenbahn gesetzt. Schnell ist sie nicht, aber ausdauernd: Tag und Nacht rattern die Züge immer weiter und legen so seit über 100 Jahren in etwas mehr als einer Woche die Strecke von Vladivostok nach Moskau zurück. Angeschlossen daran sind die Transmandschurische und die Transmongolische Strecke, die beide in Peking ihren Ursprung haben. Auf letzterer bin ich schon nach Ulaanbaatar gereist, und nun ging es weiter nach Russland.

Deutsche Reisebüros verbreiten gern den Mythos, eine Reise mit der Transsib sei ungeheuer schwierig: man müsse deshalb die Fahrkarten in Deutschland kaufen, und solle in einem Rutsch durchfahren und bloß nicht aussteigen, denn sonst komme man nie wieder weg aus Sibirien! Das ist alles Quatsch, einschließlich der horrenden Preise, die man genannt bekommt. In Wirklichkeit geht man einfach entlang der Strecke auf den Bahnhof und kauft sich die Fahrkarte für das jeweils nächste Teilstück, wie man eben möchte. Ich habe die Fahrt von Ulaanbaatar nach Moskau zweimal unterbrochen und kam so in der 2. Klasse für unter 300 Euro weg.

Wie hätte ich auch am Baikalsee einfach so vorbeifahren können! Beim Aussteigen am Bahnhof in Irkutsk war es mir, als sei ich schon mitten in Europa angekommen: gemütliche Holzhäuser, eine echte Straßenbahn und prachtvolle Hausfassaden des 19. Jahrhunderts. Schade, dass es schon so spät im Jahr ist, ich wäre zu gern in den glasklaren See gesprungen, aber bei dem eisigen Wind und Minustemperaturen habe ich das lieber gelassen und mich auf einen Uferspaziergang und ein paar gute Fischessen beschränkt: der schmackhafte "omul" und "sig" sind endemische Arten des Baikal. Selbst eine eigene Seehundart hat der tiefste See der Welt, den "nerpa".

Unterbrechungen sind auf der Fahrt auch deshalb gut, weil die Speisewagen nicht immer besonders gutes Essen und die Züge keine Duschen haben. Aber ansonsten sind sie sehr komfortabel: die Waggons der 2. Klasse bestehen aus neun Abteilen mit je vier Betten, genug Stauraum für das Gepäck und einem Klapptisch. Schaffnerinnen verteilen frisches Bettzeug und Handtücher und sorgen im kohlebeheizten Samowar für stets brühheißes Tee- und Kaffeewasser. Die Leselampen an den Betten sind zugegebenermaßen etwas funzelig, aber lang hält man dem hypnotischen tatammm-tatatammmm-tatatammmm der Schienen eh nicht stand und wird in den Schlaf gewiegt, während vor dem Fenster sibirische Schneelandschaften wie aus Dr. Schiwago vorbeiziehen.

Eva Rosenstock

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