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Nebel - Wasserquelle in der Wüste

In den Sanddünen der Küste Namibias versuchen Forscher, mit feinen Kunststoffnetzen Wasser aus den regelmäßig vom Atlantik herantreibenden Nebeln zu gewinnen.


Auf einer Patrouillenfahrt tastet sich das Motorboot "Oryx" der namibischen Naturschutzbehörde im dichten Nebel die schroffe Felsenküste entlang. Von der nur etwa eine halbe Seemeile entfernten tosenden Brandung dringt kein Laut durch die weiße Wand. Kein Wunder, daß vor der Einführung des Radars immer wieder Fischerboote und Frachter auf ihrem Weg nach Angola im Nebel die Orientierung verloren und zu dicht an Land gerieten. Sie strandeten am nördlichsten Abschnitt der Namib-Wüste, der "Skelett-Küste".

Was für die einen Gefahren birgt, ermöglicht anderen das Überleben. Die ungewöhnlich reichhaltige, einzigartige Tier- und Pflanzenwelt dieser Wüste hat ihre Strategien entwickelt, den Nebel als Wasserquelle zu nutzen. Der Volksstamm der Topnaars, der von den Früchten des Gurkenbaums lebt, einer einheimischen Wüstenpflanze, soll dank einfacher Technik bald ebenfalls dazu in der Lage sein.

Auf einer Länge von mehr als 2000 Kilometer erstreckt sich diese Wüste über die gesamte Länge Namibias bis hinunter zum Olifantsfluß in Südafrika. Im Norden reicht sie bis San Nicolau in Süd-Angola hinein. Ein Gebiet, etwa halb so groß wie Deutschland, bedeckt von dürrem Strauchwerk, Flechten, Steinen oder kaum bewachsenen Sanddünen. Denn Regen ist mehr als selten, und die meisten Flüsse führen nur wenige Tage im Jahr Wasser, nämlich dann, wenn es im 200 Kilometer entfernten Bergland ausdauernd regnet. Fast das ganze Jahr über sind die Flußbetten staubtrocken und nur tiefwurzelnde Pflanzen wie der Kameldorn-Baum (Acacia erioloba) gelangen an das begehrte Naß.

Dieser unwirtliche Charakter prägt die Landschaft seit Äonen. Vermutlich schon vor 80 Millionen Jahren herrschte dort ein halbtrockenes bis trockenes Klima (im Fachjargon semi-arid bis arid). Doch immerhin erreichten Regenwolken, die sich über dem Südatlantik gebildet hatten, das Landesinnere. Vor etwa neun bis sieben Millionen Jahren setzte jedoch der Benguela-Strom ein; er bringt seitdem kaltes Tiefenwasser aus der Antarktis an die Oberfläche und führt es dann entlang der Küste Namibias nordwärts.

So entsteht über dem Meer eine thermische Inversion: Verdunstendes Wasser ist relativ kalt und kann nur bis zu einer Grenzschicht aufsteigen, über der dann wärmere Luft liegt. Deshalb bilden sich zwar Nebel-, aber kaum Regenwolken. Und solche, die über dem weit entfernten Indischen Ozean entstehen und sich der Wüste von Osten nähern, werden von den in der Namib dominierenden Westwinden gebremst. Deshalb herrscht dort ein hyper-arides Klima mit nur 20 Millimeter Regen pro Jahr.

Nebel, quasi eine am Boden aufliegende Wolke aus Tröpfchen mit einer Größe zwischen 1 bis 40 Mikrometer, bringt aber an 60 bis 200 Tagen im Jahr bis zu 180 Millimeter Niederschlag. Namibische Wissenschaftler erheben seit dem Jahr 1962 entsprechende Daten in einem 20000 Quadratkilometer großen Gebiet der zentralen Namib. Ihr Stützpunkt ist die Wüstenforschungsstation "Gobabeb", der "Feigenbaum am Wasser" in der Sprache der Topnaars.

Meist entsteht der Nebel, wenn von Westen einströmende feucht-warme Atlantikluft an der kalten Meeresoberfläche vor der Küste abkühlt. Die relative Luftfeuchtigkeit steigt und beim Erreichen des Taupunktes kondensiert der Wasserdampf zu feinen Tröpfchen. Dieser Advektionsnebel, der meistens als Strato-Cumulus-Wolke unter der Inversionsschicht liegt, kann je nach Höhe und Windverhältnissen weit ins Innere der Namibwüste gelangen. Irgendwann berührt er den Boden bis zu 60 Kilometer weit von der Küste entfernt und bis zu einer Höhe von 400 Meter über dem Meeresspiegel, denn das Land steigt von West nach Ost allmählich an.

Viele Tiere der Namib entwickelten im Laufe der Jahrmillionen Strategien, den Nebel zu nutzen. Der Schwarzkäfer Onymacris unguicularis, der Gecko Palmatogecko rangei und die Sandviper Bitis peringueyi trinken seine Tropfen, die an ihrem Körper kondensieren. Der Käfer zum Beispiel krabbelt dazu bei Nebel auf einen Dünenkamm und stellt sich ihm mit dem Hinterende entgegen. Die Wassertropfen, die sich an seinem Chitinpanzer niederschlagen, saugt er auf (Bild nächste Seite oben). Die Termite Psammotermes allocerus und die Spinne Leucorchestris arenicola trinken Tröpfchen von Sandkörnern oder Wasser, das in den Boden eingedrungen ist. Dasselbe macht der Schwarzkäfer Lepidochora kahani, der sogar eigens Rillen in den Sand schaufelt, in denen der kondensierte Nebel zusammenläuft. Einige Käferlarven und das Silberfischchen Ctenolepisma longicaudata absorbieren Wasser gar über ihre Tracheen genannten Atemöffnungen aus der bei Nebel mit Wasserdampf gesättigten Luft.

Nur wenige mehrjährige Pflanzen trotzen der anhaltenden Dürre. Den Großteil der für die Tierwelt der Sandwüste überlebenswichtigen pflanzlichen Biomasse produzieren das Dünen-gras Stipagrostis sabulicola, der Dünenzwergstrauch Trianthema hereroensis und die Bleistiftpflanze Arthraerua leubnitziae. Das Gras reckt seine nur 1 bis 20 Zentimeter tief liegenden Wurzeln bis 20 Meter weit in die Umgebung, um so auch an Wasser zu gelangen, das bei Nebel von den Blättern tropft und oberflächlich in den Boden eindringt. Der Zwergstrauch und die Bleistiftpflanze nehmen den Nebel nicht über die Wurzeln, sondern direkt über Blätter und grüne Stammpartien auf. Kondensiertes Nebelwasser, das unter schützende Steine läuft, ernährt dort Fensteralgen und Schnecken. Die auffälligsten Nutz-nießer des Nebels sind allerdings die erstaunlich üppigen und artenreichen Flechten der Namib, die den Boden mitunter großflächig bedecken (Bild nächste Seite).

Angesichts des "Einfallsreichtums", mit dem Tiere und Pflanzen den Nebel nutzen, erstaunt, daß die etwa 200000 Menschen in der Namib (bis auf etwa tausend leben sie in den beiden Küstenstädten) ihren Wasserbedarf fast ausschließlich aus dem Grundwasser der Flüsse decken. Diese Ressource scheint allmählich zu versiegen: Viel mehr Wasser wird entnommen, als durch Niederschläge ausgeglichen werden kann.

In den letzten Jahren sank beispielsweise der Grundwasserspiegel unter dem Flußbett des Kuiseb jährlich um einen halben Meter. Besonders stark bedroht diese Entwicklung die dort siedelnden Topnaar, ehemalige Nomaden. Ihre Wasserversorgung erfolgt durch provisorische Brunnen oder Bohrlöcher mit von der Regierung bereitgestellten Dieselpumpen oder Windrädern. Das Wasser ist öfters brackig und oft genug sind die Pumpen defekt, so daß die Topnaar lange auf Wasser warten müssen.

Wenn es gelänge, den Nebel zumindest für die ländliche Bevölkerung nutzbar zu machen, so überlegten die Forscher von Gobabeb vor wenigen Jahren, dann könnte deren Situation verbessert und gleichzeitig die überzogene Wasserentnahme aus den Flüssen gemindert werden. Mittlerweile ist man tatsächlich auf dem besten Weg, dieses Problem in Zusammenarbeit mit den Topnaar zu lösen. Als Vorbild dient dabei ein vergleichbares Projekt in der Atacama-Wüste Chiles: Die Anwohner des an der Pazifikküste gelegenen Dorfes Chungungo leben unter ähnlichen Bedingungen wie die Topnaar und decken bereits seit 1986 beinahe ihren gesamten Süßwasserbedarf mit Nebelfängern.

Um zu ermitteln, wieviel Nebelwasser an verschiedenen Orten in der Namib tatsächlich zu erwarten ist und welche Qualität es hat, wurden in der Nähe von drei Siedlungen entlang des Kuiseb – Swartbank, Klipneus und Soutrivier – kleine Test-Kollektoren aufgestellt. Diese Nebelfänger bestehen aus einem ein Quadratmeter großen Rahmen, über den ein spezielles Polypropylen-Netz in zwei Lagen so gespannt wird, daß seine Zickzack-Struktur senkrecht zum Boden ausgerichtet ist. Kondensiertes Nebelwasser läuft dann in ein Auffanggefäß ab. Der Kollektor ist in zwei Metern Höhe montiert, so daß er Tieren und Pflanzen den bodennahen Nebel als Quelle läßt.

Auf Hügeln lag der Ertrag pro Nebelereignis zwischen 1 und 14 Liter je Kollektor, im Durchschnitt bei 3,3; der mögliche Ertrag variiert also von Dorf zu Dorf. Im Laufe eines Jahres kamen so immerhin 400 Liter je Quadratmeter zusammen. Wie die Messungen zeigten, weisen die Frühlingsmonate September und Oktober sowie der März die meisten Nebelereignisse und die höchsten Erträge auf. Fast immer war das Nebelwasser von deutlich besserer Qualität als das Grundwasser. Lediglich nach einer längeren Trockenphase spült der erste wieder ankommende Nebel Staub und Salzablagerung vom Netz in den Auffangbehälter, und der Ertrag eignet sich dann nur zur Versorgung des Viehs und zur Bewässerung der Felder.

Parallel zu diesen Versuchen wurden die Einheimischen befragt, wie hoch der Wasserbedarf jedes Dorfes ist, wie die Anwohner ihr Wasser derzeit speichern, wie sie damit haushalten und wofür sie es verwenden. Auch diese Faktoren variieren von Dorf zu Dorf erheblich, zumal manche Topnaar in Städten arbeiten und in unregelmäßigen Zeitabständen pendeln – die Anwohnerzahl fluktuiert dann zwischen 10 und 40. Außerdem wurde die Anzahl der Rinder festgestellt, denn diese benötigen täglich doppelt soviel Wasser wie eine Person zum Trinken, Waschen und für den Haushalt.

Das Netz eines Nebelfängers, wie er in Chile genutzt wird, ist 12 Meter breit und 4 Meter hoch, die wirksame Fläche mithin 48mal so groß wie bei den Testkollektoren. Wieviele davon ein Dorf benötigt und wie groß der Wasserspeicher sein muß, um die maximal 17 Tage nebelfreie Zeit zu überstehen, wollen die Forscher von Gobabeb aus all diesen Daten ermitteln. Ein typisches System könnte so aussehen: Ein großer Nebelkollektor leitet Wasser der ersten Spülung in ein 120-Liter-Auffangbecken, weitere Flüssigkeit gelangt in den 600 Liter fassenden Hauptspeichertank, aus dem die Haushalte und das Kleinvieh versorgt werden. Ein ebenso großer zweiter Behälter nimmt Überschuß auf, um die Rinder zu tränken. Verschiedene Filter halten grobe Verunreinigungen fern. Die Topnaar begrüßen diese alternative Wasserressource, zumal die Netze mit einfacheren Mitteln zu warten sind als Dieselpumpen und Windräder. Sie versprechen sich von der neuen Alternative mehr Selbständigkeit. Eine gute Aufklärung und Begleitung des Projekts ist dabei aber erforderlich, denn aus den Befragungen ging auch hervor, daß die Einheimischen versucht sind, mit einem größeren Wasserangebot auch mehr der Prestige bringenden Rinder zu halten. Mit den schlichten Nebelnetzen, die das Nebelwasser "passiv", also ohne künstliche Energiezufuhr, gewinnen, sind die Möglichkeiten dieser Technik noch nicht erschöpft. In Gobabeb werden derzeit weitere Versuche geplant, um den Ertrag der Kollektoren beispielsweise durch Kühlen von Netzen zu steigern. Solche Kollektoren würden sich für Bereiche der Wüste eignen, die am Rande des Nebelgebietes liegen, ebenso aber auch für die Küstenstädte mit ihrem wesentlich höheren Wasserbedarf.

Noch ist es Zukunftsmusik, aber vielleicht wird die Besatzung der "Oryx" ja in ein paar Jahren auf ihren Patrouillenfahrten an großen Nebelkollektoren vorbeikommen, die davon zeugen, daß die Einwohner der Namibwüste von der Natur gelernt haben, Nebel als zuverlässige Wasserquelle zu nutzen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2000, Seite 38
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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