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News: Nobelpreis für Chemie 2000

Kunststoffe leiten keinen Strom - das haben die meisten von uns so gelernt. Nicht umsonst dienen sie schließlich als Isolierung für Kabel an elektrischen Geräten oder auch in der Wand. Doch fallen auch beim 'Plastik' ein paar Verbindungen aus dem Rahmen: Sie leiten - nach ein paar Veränderungen - den elektrischen Strom fast so gut wie Kupfer. Für die Entdeckung und die Entwicklung dieser außergewöhnlichen Materialien erhalten der Amerikaner Alan J. Heeger, der Neuseeländer Alan G. MacDiarmid und der Japaner Hideki Shirakawa den Nobelpreis für Chemie des Jahres 2000.
Kunststoffe sind Polymere, das heißt, sie bestehen aus langen Ketten aneinander gereihter, sich wiederholender Molekülabschnitte. Anders als in einem Metall können sich die Elektronen hier nicht frei bewegen. Das macht Kunststoffe zu guten Isolatoren, in denen sich Ladungen nicht bewegen können und somit kein Strom fließt.

Aber ein kleiner Eingriff ändert dieses Bild von Grund auf. Zunächst einmal muss ein Kunststoff, der elektrischen Strom leiten kann, aus so genannten konjugierten Doppelbindungen bestehen, bei denen abwechselnd immer eine Einfach- und eine Doppelbindung aufeinander folgen. Als zweite Voraussetzung muss die Struktur des Polymers gestört sein – entweder, indem ihm Elektronen durch Oxidation entzogen oder durch eine Reduktion hinzugefügt werden. Das erreichen Wissenschaftler, indem sie das Material mit Fremdatomen füttern, was sie als "dotieren" bezeichnen.

Die Entdeckung leitfähiger Kunststoffe war eigentlich mehr ein Zufall. Hauptakteur ist das Polymer Polyacetylen, ein flaches Molekül, das in einer cis- und einer trans-Form auftreten kann. Zu Beginn der 70er Jahre fand der japanische Chemiker Hideki Shirakawa einen neuen Weg, Polyacetylen herzustellen, wobei er bestimmen konnte, in welchen Anteilen die beiden Konformationen des Moleküls auftreten. Als er eines Tages aus Versehen die tausendfache Menge des Katalysators zugab, bildete sich an den Wänden des Reaktionsgefäßes zu seiner großen Überraschung ein silberner Film aus nahezu reinem trans-Polyacetylen. Bei einer anderen Reaktionstemperatur erhielt er hingegen einen ähnlichen, aber kupferfarbigen Film aus cis-Polyacetylen.

Als Alan MacDiarmid auf einer Tagung von Shirakawas Entdeckung hörte, lud er den Chemiker zu einem Forschungsaufenthalt ein. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit modifizierten sie das Polymer, indem sie es mit Jod-Dampf oxidierten. Da sie wussten, dass sich die optischen Eigenschaften durch den Oxidationsprozess verändert hatten, baten sie Alan Heeger, einen genauen Blick auf die Filme zu werfen. Und als sie die elektrische Leitfähigkeit des Jod-dotierten trans-Polyacetylens maßen, stellten sie überrascht fest, dass sie um einen Faktor von zehn Millionen gestiegen war. 1977 publizierten sie diese Ergebnisse in ihrem Artikel Synthesis of electrically conducting organic polymers: Halogen derivates of polyacetylen (CH)n im Journal of the Chemical Society, Chemical Communications. Damit schufen sie die Grundlage für ein heute weit gespanntes Forschungsfeld mit zahlreichen Anwendungen von organischen lichtemittierenden Dioden bis hin zu antistatischen Materialien.

Doch was passiert eigentlich in dem Polymer? Zunächst einmal muss man bei den Molekülen zwei Bindungstypen unterscheiden. Da sind zum einen die so genannten sigma-Bindungen, welche die direkten Verbindungen zwischen den einzelnen Kohlenstoff-Atomen darstellen. Sie sind ortsgebunden. Daneben gibt es aber noch die so genannten pi-Bindungen in den Doppelbindungen, die lokal weniger fixiert sind. Wenn nun vorher Elektronen entfernt oder hinzugefügt wurden, können sich die Elektronen der pi-Bindungen rasch entlang der Molekülkette bewegen. Engpässe und Schwierigkeiten in diesen Materialien treten so nur dann auf, wenn die Elektronen an den Enden der Ketten oder an Grenzflächen auf ein neues Molekül überspringen müssen. Darum müssen die einzelnen Stränge schön dicht gepackt eng nebeneinander liegen.

Wird das Polyacetylen mit Jod-Dampf oxidiert, entzieht das Halogen dem Polymer ein Elektron, und es entsteht ein negativ geladenes Jod-Ion. Das Polyacetylen trägt nun eine positive Ladung und ist damit zu einem so genannten Polaron, einem radikalischen Kation geworden. Das verbleibende einzelne Elektron der vorherigen Doppelbindung kann sich jetzt rasch bewegen. Die positive Ladung hingegen ist durch elektrostatische Kräfte stärker an den Ort gebunden.

Wenn das Polymer sehr stark oxidiert wird, können sich die Polaronen zu Paaren zusammenlagern, die als Solitonen bezeichnet werden. Diese Solitonen sind nicht nur für den Ladungstransport innerhalb der Kette verantwortlich, sondern auch für das Überspringen von positiven oder negativen Ladungen von einer Kette zur nächsten.

Alan J. Heeger

Alan J. Heeger wurde am 22. Januar 1936 in Sioux City geboren, studierte an der University of Nebraska und promovierte 1961 an der University of California in Berkeley. Von 1962 bis 1982 wirkte er als Professor an der University of Pennsylvania, bevor er einem Ruf an die University of California in Santa Barbara folgte, wo er bis heute am Institute for Polymers and Organic Solids lehrt. Hinzu kommt eine Gastprofessur an der University of Utah. 1990 gründete er die UNIAX Corporation. Heeger ist an über 600 wissenschaftlichen Publikationen beteiligt und ist Inhaber zahlreicher Patente.

Alan G. MacDiarmid

Alan G. MacDiarmid kam 1927 in Neuseeland zur Welt, studierte zunächst an der University of New Zealand, bevor er 1953 an der University of Wisconsin, 1955 an der University of Cambridge und 1990 an der Linköping Universitet forschte. Seit 1988 lehrt er als Professor für Chemie an der University of Pennsylvania. Er ist Autor oder Mitautor von rund 600 Publikationen und Inhaber von 20 Patenten.

Hideki Shirakawa

Hideki Shirakawa ist Jahrgang 1936 und promovierte am Tokyo Institute of Technology. 1966 ging er an das Institute of Materials Science der University of Tsukuba, wo er seit 1982 als Professor lehrt und forscht.

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