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Wenn das tägliche Brot krank macht

Als der englische Mediziner Samuel Gee Ende des 19. Jahrhunderts Kindern mit einer chronischen Verdauungsstörung geröstete Brotscheiben als Diät verschrieb, ahnte er nicht, wie sehr er ihnen damit schadete. Denn es sollte noch viele Jahrzehnte dauern, bis Forscher erkannten, dass just ein Getreidebestandteil, das Protein Gluten, für ihre schmerzhaften und teilweise todbringenden Symptome verantwortlich war.
Böses Brot
Seit der Mensch Getreide anbaut, gibt es vermutlich auch Fälle von Zöliakie – einer Autoimmunkrankheit, die den Darm zerstört und durch den Verzehr von Gluten ausgelöst wird. Für die Betroffenen verändert die Diagnose das ganze Leben: Um Gluten zu vermeiden, müssen sie auf alle Produkte verzichten, die auch nur Spuren der meisten gängigen Getreide enthalten. Medizinprofessor Alessio Fasano von der University of Maryland in Baltimore berichtet in der Mai-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" von den neuen Erkenntnissen über Ursachen und Mechanismen dieser Krankheit, die Wissenschaftler erst in den letzten zwanzig Jahren zu verstehen begonnen haben.

Heute gehen Mediziner davon aus, dass Zöliakie durch drei Faktoren bedingt wird: erstens durch das Gluten als Stimulus von außen, zweitens durch die ungewöhnlich durchlässige Darmwand der Betroffenen und drittens durch die überschießende Reaktion des Immunsystems. Bereits wenn einer dieser Faktoren unterbunden wird, sollten die Symptome aufhören. Bisher ist Zöliakie die einzige bekannte Autoimmunkrankheit, die sich durch Gabe oder Wegnahme einer Umweltkomponente – in dem Fall Gluten – tatsächlich quasi an- und abschalten lässt. Damit ist sie auch als Modell für andere Autoimmunkrankheiten hochinteressant.

Im Gegensatz zu anderen Proteinen wird Gluten im Darm nur unvollständig abgebaut. Da die Darmschleimhaut von Zöliakiepatienten selbst große Molekülreste passieren lässt, erkennt das übersensible Immunsystem diese als fremd und bekämpft sie. Die daraus resultierenden chronischen Entzündungen schädigen nach und nach die Zotten des Dünndarms, mit schwerwiegenden Folgen: Durch die geschädigte Darmwand kann der Körper nicht mehr genug Nährstoffe aufnehmen. Möglicherweise spielt eine "undichte" Darmschleimhaut auch bei anderen Autoimmunkrankheiten wie Typ-1-Diabetis oder multipler Sklerose eine entscheidende Rolle.

Obwohl Zöliakie genetische Ursachen hat, muss sich das Leiden nicht gleich in der Kindheit bemerkbar machen. Wenn sich im Laufe des Lebens die Zusammensetzung der Bakterienbesiedelung im Darm verändert, kann dies die Glutentoleranz aufheben und die Krankheit ganz plötzlich ausbrechen lassen. Es gibt jedoch auch Anlass zur Hoffnung: Ausgewählte Darmmikroben könnten sich zur Behandlung eignen oder gar vor der Krankheit schützen. Auch weitere innovative Behandlungsansätze, die Alessio Fasano beschreibt, könnten das Leben der Zöliakiepatienten künftig erleichtern.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, Mai 2010
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